Applaus Applaus

Über das Theatertreffen-Publikum
Ein Stück ist nicht zu Ende, wenn es zu Ende ist. Auch die Inszenierung ist nicht zu Ende, wenn das letzte Wort auf der Bühne gesprochen ist. Applaus wird geprobt und der Regisseur ist aufgefordert, genau zu überlegen, wie er an dieser Stelle mit dem Publikum umgeht. Die konkrete Umsetzung am Abend der Vorstellung ist dann aber meist den Darstellern und ihrem Gespür überlassen: Wenn gebuht wird, muss man sicher nur einmal zum Verbeugen auf die Bühne. Für die Zuschauer ist diese Applaus-Inszenierung meist nicht wahrnehmbar, weil subtile Mittel benutzt werden. Bei Herbert Fritsch ist das anders. Er legt seine Mittel offen. Bei ihm endet das Gesamtkunstwerk erst, wenn der letzte Zuschauer den Saal verlassen hat. Für die Schauspieler gibt es genaue Reihenfolgen, Wege, Bewegungen und Gesten, die sie einzuhalten haben. Auch bleiben sie bei Fritsch klar in ihren Rollen. Sophie Rois verbeugt sich also in „Die (s)panische Fliege“ nicht als Sophie Rois, sondern als ihre Figur Emma Klinke.

Applaus für „Die (s)panische Fliege“ von Herbert Fritsch. Von links: Harald Warmbrunn, Sophie Rois, Christine Urspruch, Werner Eng, Hans Schenker, Christoph Letkowski, Betty Freudenberg, Stefan Staudinger, vorn: Wolfram Koch, Inka Löwendorf, Bastian Reiber, Mandy Rudski. Foto: Thomas Aurin


Ovationen für Familie Klinke
Für die Zuschauer wurde diese inszenierte Applausordnung auch beim Theatertreffen zum Fest. Obwohl Herbert Fritsch Musik einsetzt und obwohl irgendwann das Saallicht nach oben gefahren wurde (beides eigentlich Applaus-Killer), wollte das Publikum nicht nach Hause. Es applaudierte frenetisch und spielte mit, als wäre jeder weitere „Vorhang“ eine Zugabe. Unser Blogger Adrian Anton beobachtete eine ältere Zuschauerin mit Dutt, die so enthusiastisch applaudierte, dass ihr fasst die Perlohrringe von den Ohren rutschten.
Wem klatscht man eigentlich?
Ganz anders geht es dem Publikum bei „Hate Radio“. Für manche ist das „Reenactment“ des Genozids in Ruanda mehr eine Installation als Theater. Trotzdem ist das kollektive Element des Theaters gegeben – es gibt Anfang und Ende. Man geht da zusammen durch. Das, was gezeigt wird, fordert einen als Zuschauer in der Auseinandersetzung. Die manipulativen Mittel, die der Radiosender RTLM 1994 in Ruanda einsetzte, werden auf die Bühne gebracht und lassen eindringlich nachfühlen, wie gewaltschürend sie gewirkt haben.

Erlösender Applaus bei „Hate Radio“ von Milo Rau. Foto: Piero Chiussi.


Applaus als Katharsis
Am Ende des Stückes gibt es spürbar einen Moment der Stille, in dem man sich als Zuschauer fragt, was man jetzt beklatschen soll. Deswegen wirkt es geradezu als Erlösung, wenn die Darsteller aus ihrer Box kommen und sich applaudieren lassen. Sie holen sich gleichsam als Menschen eine Würdigung dafür, dass sie sich die letzten zwei Stunden dieser Anstrengung ausgesetzt haben. Man darf also ihre Leistung beklatschen und nicht den Genozid. Und ein wenig kann man mit dem Klatschen auch abschütteln, was man da mit angesehen hat. Trotz Applaus und Publikumsgespräch gab es Zuschauer, die die Nacht, nachdem sie das Stück gesehen hatten, nicht schlafen konnten.
Das kritische Festival-Publikum
Mancher hat den Eindruck gewonnen, die Berliner wären besonders kritisch. Es gab durchaus Zwischenrufe und Buhs, nicht nur bei Theatertreffen-Premieren. Auch beschrieben Schauspieler das Festivalpublikum als verwöhnt und schwer zugänglich. Aber gerade Inszenierungen wie „Ein Volksfeind“ und „Before Your Very Eyes“ haben gezeigt, dass auch Stücke, die eher als „Randerscheinungen“ gehandelt wurden, sich zu Publikumslieblingen entwickeln können. Nach einer nicht-repräsentativen Umfrage unter Bloggern, Talenten und Jury-Mitgliedern, waren die Inszenierungen aus Bonn und Gent die beiden Applaus-Abräumer – neben Platonov.

Applaus für die Kinder von „Before Your Very Eyes" von Gob Squad. Foto: Piero Chiussi.


Berliner Überheblichkeit
Vielleicht hängt es ja doch mit dem Rahmen eines Festivals zusammen, wie geklatscht wird. Mit entsprechend Respekt ist man offenbar aus Hamburg angereist. Bei den Salzburger Festspielen gab es für den Faust I + II kein einziges Mal stehende Ovationen. Wenn die Stemann-Truppe den Marathon in Hamburg am Thalia Theater spielt, hingegen fast immer. Nun ist das zwar ein Heimspiel und die Hamburger dürfen zu Recht stolz sein auf „ihren“ Faust, aber gewöhnlich ist Ekstase ganz und gar nichts für Hanseaten. Bis an der Alster mal jemand vom Stuhl springt, muss schon eine ganze Menge passieren.
Kill your Applaus
In Berlin ist auch eine ganze Menge passiert und entsprechend groß war das Bedürfnis nach acht Stunden Faust „Danke“ zu sagen für diese schauspielerische Großtat. Das war deutlich spürbar. Aber Nicolas Stemann traute offenbar den Berliner Zuschauern mit Opernglas nicht zu, dass sie das Haus rocken wollten. An beiden Abenden gab es schon nach Faust I einige Bravos. Und beim Schlussapplaus war der Druck dann groß. Aber das Publikum bekam nicht die Ruhe, man hörte ihm nicht zu. Applaus muss sich auch entwickeln und entfalten dürfen. Wenn auf der Bühne aber schon die Premieren-Party los geht und dann auch noch Musik eingespielt wird, findet man gar keine Zeit aufzustehen. Hier hätte man sich aus Zuschauersicht mehr Sensibilität bei der Applausordnung gewünscht.

Jubel bei Faust I+II von Nicolas Steman. Foto: Piero Chiussi.


Zuschauer lieben Einzelapplaus
Auch wenn eine Inszenierung mit 66 Beteiligten alles andere als eine Solonummer ist, wären Zuschauer dankbar gewesen, hätte man ihnen die Möglichkeit zum Einzelapplaus gegeben. Den gab es aber nicht beim Faust. Es war hinterher mitunter zu hören, dass man gerne die Schauspieler intensiver gewürdigt hätte. Wenn etwa Sebastian Rudolph eine geschlagene Stunde lang monologisch in den Faust hineinführt, als wär’s ein Spaziergang und als hätten wir die Worte nie zuvor gehört, dann will man dem auch applaudieren. „Standing-Ovations“ hat das Faust-Ensemble also verspielt. Wie schade.

Premierenfeier von Faust I+II: Nicolas Steman, Sebastian Rudolph, Philipp Hochmair. Foto Piero Chiussi.


Zugabe
Mancher hatte auch nach zwölf Stunden „Borkmann“ noch nicht genug und dachte darüber nach, wie er sich in die nächste Aufführung schmuggeln könnte. So viel klatschen kann man nach einem halben Tag Theater gar nicht, wie man möchte. Aber, wie sagte einst ein weiser Mann (war’s Herr Peymann?): „Nach dem Theatertreffen ist vor dem Theatertreffen“. Bei diesem ganz besonders, weil das nächste das 50. sein wird und von einem Jubeljahrgang erwartet man sich zu Recht Bejubelnswertes.
Fabian Krüger vom Platonov-Ensemble sagte beim Künster-Gipfel so schön: „Wenn ich mein Publikum nicht spüre, mich dahin nicht ausdehnen kann, dann habe ich meinen Beruf verfehlt“. Und dabei geht es um eine Empfindsamkeit und nicht um ein Anbiedern. Wir möchten an dieser Stelle auch als Blogger „Danke“ sagen und uns verbeugen. Auch wir freuen uns über den Kontakt zum lesenden Publikum und neigen huldvoll unsere Köpfe. In diesem Sinne beschrieb Brecht nicht nur, wie es einem Zuschauer beim Schlussapplaus geht: „Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen“. Genau das kann Theater. Genau das haben wir mit dem Blog versucht zu schaffen.
Auf ein spannendes Theatertreffen 2013.

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Gudrun Pawelke arbeitet seit vielen Jahren im Bereich der Kulturkommunikation, war und ist für große Häuser und kleine Produktionen kommunikativ beratend tätig und: brennt für Theater. Sie unterrichtet und gibt Workshops zum Thema Gestaltung, Kreativität und Inszenierung von Information. Sie schreibt für Fachmagazine und ist seit 1996 Mitglied im Type Directors Club New York.

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