Raus mit euch!

Theater ist immer ein wenig wie die berühmte Katze im Sack oder die überzititierte Forrest Gump’sche Pralinenschachtel: Ob man die Inszenierung, für die man Karten gekauft hat, dann schließlich mag oder nicht, lässt sich vorher nicht sagen, selbst wenn man den Regisseur und dessen Handschrift kennt. Was tun, falls man dem, was auf der Bühne passiert, nichts abgewinnen kann? Ganz klar: einfach abhauen!

In Nicolas Stemanns Inszenierung „Die Kontrakte des Kaufmanns“, die heute abend tt-Premiere feiert, ist das Rein- und Rausgehen ausdrücklich erlaubt. Anlass genug für ein Plädoyer fürs Aufstehen.

Dann geh doch, wenn’s dir nicht passt! Hau doch ab! Ja, es mag etwas rotzig klingen, aber ich halte das für eine gute Empfehlung ans Publikum. Ich gehe oft ins Theater – und oft gefallen mir auch Sachen nicht, die ich dort sehe. Dann gehe ich raus.

Keine Angst, ich bin nicht eine von diesen respektlosen Personen, die sich demonstrativ vor sich hin fluchend durch die Reihen quetschen und mit lautem Türknallen abziehen, während an der Rampe gerade ein Schauspieler seinen Monolog hervorhaucht. Und ich bin auch nicht wie dieser Kritiker, über den folgende Geschichte kolportiert wird: Premiere im Burgtheater, alle sitzen, das Licht geht aus. Als sich der Vorhang hebt, steht der Kritiker auf, zischt „Schon falsch!“ und verlässt den Saal. (Falls mir jemand sagen kann, ob das wirklich passiert ist, und wer es war, bin ich übrigens dankbar!)

Nein, ich bin natürlich schon bereit, der Inszenierung eine Chance zu geben. Aber wenn ich nach dreißig Minuten merke, dass das, was mir jetzt schon nicht gefällt, noch vier Stunden so weitergehen wird, dann bin ich für die Variante „Polnischer Abgang“: eine gute Stelle abwarten (Umbau, laute Musik, Fechtszenen), zügig und kommentarlos rausgehen. „Uff“ sagen, nachdem man die Tür zum Parkett leise hinter sich geschlossen hat. Und dann etwas machen, was einen mehr bereichert als Theater, das einem nichts sagt.

Es gibt übrigens eine Sache, die ich noch weniger mag, als vier Stunden gelangweilt in Theatersesseln zu sitzen: Zuschauer, die auch gelangweilt oder genervt sind, und trotzdem nicht gehen und damit die Sitznachbarn in den Wahnsinn treiben, die gerne das Stück sehen möchten. Warum tun sie das? Weil sie viel Geld für die Karten bezahlt haben und es jetzt absitzen müssen? Als ich beispielweise „Othello“ (Regie: Luk Perceval) in der Neuübersetzung von Feridun Zaimoglu gesehen habe, saß neben mir eine Frau, die offenbar vorher nicht wusste, auf was sie sich einließ, und jedes Mal, wenn Wörter wie „ficken“ oder „scheißschwul“ fielen, ein lautes „Tss, tss, tss“ ausstieß. Zwei Stunden lang. Ich hatte das dringende Bedürfnis, sie nach draußen zu begleiten, ihr zu sagen: „Gute Frau, das ist offenbar nicht Ihre Art von Theater, muss es ja auch nicht, gehen Sie nach Hause, sehen Sie ein bisschen fern oder lesen Sie ein gutes Buch.“ Habe ich natürlich nicht gemacht. Aber das nächste Mal stecke ich ihr vielleicht einen kleinen Zettel mit dieser Empfehlung zu. Wenn ich denn selbst noch geblieben bin.

Hier geht es zu Kai Krösches Gegen-Plädoyer fürs Dableiben.

–––

Judith Liere

Alle Artikel