Sekt und Doughnuts

In unregelmäßigen Abständen berichten wir in der Rubrik „Sex und Brez’n“ von den Fest- und Feierlaunen des Theatertreffens (hier Folge 1 zur Festivaleröffnung und Folge 2, eine englischsprachige Perspektive). Heute in Folge 3: ein Rückblick auf das Ambiente des Stückemarkts (Bericht von drei Tagen szenischen Lesungen hier) und das große Jubiläumsgala-Bergfest vergangenen Samstag. Unsere Bildergalerie mit den Spielstätten von 50 Theatertreffen finden Sie hier, eine Hörcollage der Videobustour hier.

Doughnuts …

Von Bordverpflegung war ja schon einmal die Rede. Die Snacks in der Pan Am Lounge sind zwar auch in Folie eingeschweißt, aber keine Spur von labrigen Sandwiches und Tomatensaft, stattdessen: vietnamesische Sommerrollen, Hähnchensalat, Tofubaguette. Und Doughnuts. In pink und blau. An der Bar nippen Gäste am erdbeerfarbenen „Capote“, einer fingerhutgroßen Gin-Mélange. Wie auf transatlantischen Flügen üblich, bezahlt man in Dollars. Den Währungswechsel übernimmt eine der Stewardessen, ein Umstand, der manchen Besucher grummeln lässt. Dabei war die Dame mit dem Bauchladen (der Bauchladen als Leitmotiv des Theatertreffens?) immer genau da, wo sie gebraucht wurde, also zur rechten Zeit am rechten Ort, also ganz anders als im Billigflieger.

Der mit dem Bauchladen im Garten des Festspielhauses. Foto: Eva Biringer

Der mit dem Bauchladen im Garten des Festspielhauses. Foto: Eva Biringer

Euros gegen Dollars. Foto: Eva Biringer

… und sein Pendant in der Pan Am Lounge. Foto: Eva Biringer

… und Sekt

Die Gala zum Bergfest – wie fesselt man die Leute nach einer Woche Theatermarathon einen weiteren Abend an die Sessel? Indem man die Moderation der wunderbaren Sandra Hüller überlässt. Selbst in diesem sehr pinken Kleid aus dem Kostümfundus, das an jeder anderen Frau die Occupy Barbie Dreamhouse-Initiative auf den Plan gerufen hätte, macht la Hüller eine gute Figur. Mindestens so gut wie in dem bisschen Nichts, das sie zwei Tage vorher trug. Mehrmals entschuldigt sie sich für ihre vermeintliche Unprofessionalität, schließlich ist es ihr erster Auftritt dieser Art – dabei liebt sie das Publikum. So sehr, dass eher mäßige Beiträge (wie der fünfzigfache Videoeinspieler des zweiten Theatertreffenleiters, der Jürgen Kuttners Videoschnipselvortrag einleitete, und die von behäbiger Rückversicherung der eigenen Werte getragene Stimmung) nicht weiter ins Gewicht fallen.

Diese Selbstreferentialität, die dem Theatertreffen immer mal wieder zum Vorwurf gemacht wird (hier etwa von Thomas Oberender in einem Gespräch mit Deutschlandradio), nimmt sich heute Abend angenehm unernst. Jürg Kienberger singt in Marthaler-typischer Endlosschleife das Danke-Lied, 36 Strophen, mit Publikumsunterstützung, Elfriede Jelinek zetert als Puppe auf dem Sofa (dahinter steht eine coole Frau: Suse Wächter). Herbert Fritsch, Patrycia Ziółkowska und Ilse Ritter plaudern über ihre schönsten Theatertreffenmomente (aus der Serie „Meine liebsten Zwischenrufe“: Herbert Fritsch: „Wer bin ich bloß?“, Zuschauer: „Das Opfer des Regisseurs!“). Grandios ist Jürgen Kuttners Videoschnipselvortrag mit Einspielern von Joseph Beuys‘ kurzer Karriere als Leadsänger und dem Müllmann-Lied aus der Sendung mit der Maus. Es muss unbedingt einmal der Frage nachgegangen werden, ob bei diesen Sternstunden des bundesdeutschen Fernsehens die zeitliche Distanz das Komische generiert oder ob es sich schon damals um Realsatiren handelte. Vielleicht finden die Gäste der Gala zum 100. Theatertreffen die heutige Veranstaltung im Rückblick genau so skurril wie wir heute die Erfindung der Beifallstäbchen.

Wohlwollender Applaus (ohne Beifallstäbchen).

Anschließend öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf die Tanzfläche, über der ein imposanter Kronleuchter baumelt (ebenfalls pink). Die Schlange zum Buffet ist lang, aber geduldig (Zucchini-Apfel-Salat, Kartoffel-Lachs-Salat, Mini-Buletten, indisches Curry, rote Grütze mit Beerensauce). Bis Mitternacht bringt das „Theatre Composers Orchestra“ dem Geburtstagskind Thomas Oberender lauter Ständchen, dann führt Lars Eidinger durch seine Plattensammlung und seine Lieblingszitate. Bei jedem Klassiker (Jackson Five!) jaulen die Tänzer begeistert auf.

PS: Sandra Hüller erleidet während ihrer Moderation einen Schwächeanfall. Abgesehen davon, dass wir Theaterparallelexistenzen uns fragen, ob das inszeniert ist (ist es nicht!), gibt es darüber nichts zu sagen. Außer, dass sie nach einer 10-minütigen Pause weitermoderierte.

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Eva Biringer, geboren 1989 in Albstadt-Ebingen, studierte Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft in Berlin und Wien. Nach Hospitanzen bei der Zeit, dem Standard und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung lebt sie in Berlin und schreibt unter anderem für Nachtkritik.

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