Was tun wir hier eigentlich?

Bevor es losgeht: Wir Blogger_innen versuchen den Spagat, Teil des Festivals zu sein und gleichzeitig kritisch darüber zu berichten.

„Zeitung vielleicht?“ fragt die freundliche Stewardess in meiner AirBerlin-Maschine von Wien nach Berlin. Als ich nicke, drückt sie mir die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in die Hand. Ein paar Reihen vor mir sitzt Claus Peymann, und ich überlege, ob ich das als gutes (?) Omen werten soll. Ich fliege zum Theatertreffen, als Blogger. Drei Wochen lang soll ich mit meinen sechs Blog-Kolleg_innen über das Festival berichten. Während des Fluges entdecke ich in der Zeitung einen Essay des österreichischen Schauspielers Peter Kern, der im großmauligen Feuilletonstil das Stadttheater in die Krise schreibt. Keine Kreativität gebe es mehr am Theater, meint Kern, alles sei verflacht vom neoliberalen Spätkapitalismus und der Meinungshoheit des einfallslosen Kritiker-Establishments. Kerns Feindbilder: Theater heute, Franz Wille und das Theatertreffen.

Kerns Polemik wirft einen prominenten Schlagschatten auf das sonst so einhellige Lob für die diesjährige Auswahl der Theatertreffen-Jury. Kerns Polemik zwingt mich aber auch zur Positionsbestimmung. Schließlich sind wir Blogger_innen auch Teil dieser großen Kulturmaschinerie namens Theatertreffen – Teil dessen, was Kern als hochsubventioniertes Elitenprojekt abkanzelt. Wie nun damit umgehen? Wo wollen wir uns als Blogger_innen verorten, auf dem großen Spektrum zwischen braver Hofberichterstattung und entzaubernder Kritik? Wie bewältigen wir den Spagat, gleichzeitig Kulisse zu sein, und über ebendiese Kulisse zu berichten? Wie selbstreflektiert, wie politisch engagiert können wir aus dem Bauch des Festivals heraus sein? Wie können wir das Vertrauen, das uns als Doch-Nicht-Presse von den beteiligten Künstler_innen entgegengebracht wird, in spannende Beiträge umwandeln? Wie reagieren wir also auf die Kritik von Peter Kern?

Vielleicht stellt das Blog aber auch eine Chance dar, den Diskurs auf eine andere Ebene zu verlagern. Eine Chance, den besserwisserischen Pauschalurteilen der alten Herren über Stadttheater, Subventionsstrukturen und Theaterfeuilleton zu entfliehen. Und stattdessen dem Theater im Kleinen nahe zu kommen. Eine Chance, einfach mal Fragen aufzuwerfen, und nicht bereits im Vorhinein alle Antworten zu kennen. Auch mal Probleme zu diskutieren, ohne gleich die Schuldigen an den Pranger zu stellen. Eine Chance, über unsere eigenen Rollen nachzudenken, als Kritiker_innen, als Theatermacher_innen, als Akteur_innen in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen. Eine Chance, das Medium Blog als demokratischen, immer offenen Raum zu nutzen, um vielfältige, differenzierte Meinungsbildung zu ermöglichen. Einfach nur zurückrotzen kann schließlich jede_r.

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Leopold Lippert, geboren 1985 in Mistelbach (Österreich), studierte Anglistik und Amerikanistik in Wien und Washington, DC. Nach einigen Unijobs arbeitet er momentan an seiner Dissertation zu Amerikanisierung und Performance. Er lebt in Wien, schreibt über Theater in wissenschaftlichen Zeitschriften, beim Online-Magazin fm5.at und auf seinem Blog.

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