Augen in Erstaunen

Über Fragen des Wissens

In “Geschichte des Dramas” beginnt Erika Fischer-Lichte mit dem berühmten Zitat aus dem Apollotempel in Delphi: γνῶθι σεαυτόν (erkenne dich selbst). Beim Lesen dieser Aussage muss man entweder eintreten oder umkehren. Um sich selbst zu erkennen, muss man anderen Menschen begegnen. Diese conditio humana wird Fischer-Lichtes Meinung nach durch das Theater selbst gut interpretiert. Durch die Schauspieler_innen können wir darüber nachdenken, wer wir sind und wie wir diesen Zustand reflektieren. Im Grunde bringt uns das Theater als soziale Institution zusammen, um unsere Identität zu erforschen – eine Tradition, die bis in die Antike zurückreicht.[1]

Was für ein Zufall, dass wir zum 60-jährigen Jubiläum des Theatertreffens um die Frage herum reisen: Who has the privilege to not know…? Darüber hinaus möchte ich, inspiriert von Apollon, eine weitere und dionysische Frage stellen: Who is left fatally isolated by the state of not-knowing? Dass ich diese Frage stelle, liegt daran, dass jede einzelne Neugier auch und vielleicht besonders die Neugier über uns selbst, uns mit den anderen verbindet. Dies liegt daran, dass das wahre Zeichen des Alterns in Augen, die nicht mehr staunen können und nicht in faltigen Gesichtern liegt.

Ich freue mich sehr darauf, Aufführungen nicht nur in der Dunkelheit der Theatersäle zu erleben, sondern sie gleichermaßen mit den Menschen, die nicht da waren, sowie mit denen, die neben mir sitzen, zu erkunden. An jedem Treffen fasziniert mich der Austausch sowohl mit Berliner_innen als auch mit anderen Erdbewohner_innen. Wenn ich über mögliche, vom Theatertreffen moderierte Dialoge zwischen Bühne, anderen Kunstformen und dem Leben nachdenke, würde ich mir wünschen, dass “Hamlet” mich auf dem Festival begleitet, der sich über bloße “Worte, Worte, Worte” beschwert …


[1] Fischer-Lichte / Erika: Geschichte des Dramas: Epochen der Identität auf dem Theater von der Antike bis zur Gegenwart. Augsburg: Francke Verlag 1990, S.4.)

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