Was machen wir hier eigentlich?

Woher kommst Du, Theatertreffen-Blog? Und wohin gehst Du?

Zum zweiten Mal also darf ich als Co-Kuratorin das Theatertreffen-Blog begleiten: Vergangenes Jahr, das pandemische Zeitalter in frischer Erinnerung und in digitalen Medien nunmehr versierter, beschäftigte uns die Frage, welche Möglichkeiten für den Kulturjournalismus in den sogenannten sozialen Medien liegen. Getreu dem learning by doing Prinzip machte sich das Theatertreffen-Blog auf die Suche nach Antworten in digitalen Erprobungsräumen. Was zunächst spielerisch einfach anmutete, erwies sich als äußerst diffizil: auf über 5 digitalen Plattformen unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen und dabei allen Veranstaltungen des Theatertreffens, in der Berichterstattung, gerecht zu werden, war nicht nur zeitintensiv, was die Quantität der Beiträge betraf, sondern forderte auch eine ausgeklügelte Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Medium und seinen Potenzialen ein. Zweifelsohne erwiesen sich die diversen Internet-Plattformen als Chance, Theaterjournalismus niedrigschwelliger und unterhaltsamer zu denken; sie blieben aber zugleich Neuland, das noch zum ausgiebigen Testen einlädt.

Und mit den neuen Medien ergaben sich auch neue strukturelle Fragen: Wen kann man auf diesen Plattformen überhaupt erreichen, wenn das Festival sich nicht zeitgleich um mehr Offenheit und den Abbau von Barrieren bemüht? Wie lassen sich Menschen online für das Festival begeistern, ohne dass Theaterjournalismus dafür zu einem Werbetool mutiert? Und was überhaupt kann Theaterjournalismus alles sein im Zeitalter von Reels und Foto-Dumps?

Zweifelsohne sind das Fragen, die auch weiterhin einer Erforschung würdig sind. Seit letztem Jahr hat sich unsere Gegenwart jedoch um Einiges fundamental verändert, die Grundlagen unseres Miteinanders massiv verschoben: politisch durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, den Krieg in Syrien und die fortwährende Frauen*revolution im Iran, ökologisch durch die fortschreitende Klimakrise, die sich etwa in verheerenden Erdbeben – man denke an die Katastrophe in der Türkei und Syrien zu Beginn des Jahres – manifestiert. In diesen Zusammenhängen stellt sich die Frage nach der Bedeutung und Wirkung von Theater im deutschsprachigen Raum noch einmal neu: nach den Inhalten, den Erzählungen, den Ästhetiken, den Anliegen, aber auch den Protagonist*innen und Macher*innen von Theater. Aber auch die Funktion von Theaterkritik kann neu befragt werden, insbesondere die des Theatertreffen-Blogs, welche festivalbezogen stattfindet und dieses Jahr einem Theatertreffen begegnet, dass einerseits versucht, marginalen künstlerischen Perspektiven einen Veräußerungsraum zu ermöglichen, andererseits aber, die mehrjährige Tradition des Festivals nicht aus den Augen verlieren möchte. An dieser Schnittstelle möchte das Theatertreffen-Blog nun anknüpfen und folglich auf essayistische Art und Weise Fragen, die das Festival und unsere Gegenwart beschäftigen, erörtern. Weniger Live-Berichterstattung also, dafür mehr Analyse und Verknüpfung von Sinnzusammenhängen. Dazu sind, auch in dieser Ausgabe, fünf Blog-Stipendiat*innen eingeladen, erfahrene und aufstrebende, die mit einer Expertise, welche weit über den deutschsprachigen Raum hinaus reicht, das Festival, aus variierenden Perspektiven heraus, betrachten werden.  
Übrigens: seit letztem Jahr hat, zumindest wirkt es so in meinem Horizont, auch die öffentliche Beschäftigung mit dem Bereich des Theaterjournalismus zugenommen. Es wird nun häufiger debattiert und geschrieben über die Funktion und Notwendigkeit von Theaterkritik (die Notwendigkeit kann ich nur bejahen!), wie auch über die wünschenswerte Unabhängigkeit von Theaterkritiker*innen. Das ist eine wichtige und notwendige Debatte und ich freue mich, dass sie nun mehr Aufmerksamkeit erhält. Zweifelsohne zähle ich nicht zu den „unabhängigen“ Journalist*innen, arbeite als Regisseurin und Autorin an zahlreichen Stadttheatern. Dennoch freue ich mich, auch dieses Jahr das Blog begleiten zu können, als Schnittstelle zwischen Institution und Journalismus, als Person, die Positionen wechseln und dadurch bei der Annäherung von Perspektiven vielleicht ein wenig behilflich sein kann. Und natürlich,  um die zahlreichen Beiträge der diesjährigen Stipendiat*innen zu lektorieren. 😉

Ich freue mich, auf ein – ästhetisch, wie diskursiv – fruchtbares Theatertreffen 2023!

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