Blau gekachelte Hölle

Ersan Mondtags Wiesbadener Inszenierung von „Double Serpent“ befragt hochstilisiert Darstellungsweisen von Gewalt und Lust. Die Grausamkeit bricht aus dem spießigen Leben heraus

Gewalt ist das Thema, das sich wie ein roter Faden durch das diesjährige Theatertreffen zieht: In „Sancta“ verletzen sich Frauen gegenseitig und selbst, „Die Gewehre der Frau Carrar/Würgendes Blei“ vermittelt dagegen die Gewalt eines undefinierten Krieges nur über Sprache. Die Inszenierung von „Bernarda Albas Haus” bringt häusliche Gewalt 1:1 auf die Bühne, beispielsweise schlägt die Mutter ihrer Tochter ins Gesicht. Ersan Mondtag pendelt im Gegensatz dazu zwischen expliziter Gewaltdarstellung und Andeutung.

In „Double Serpent” muss der junge Connor, verkörpert durch Timur Frey, seinen Adoptivvater zu dessen illegaler Arbeit als Organhändler begleiten. Im Keller spielt der Junge das Spiel „Double Serpent“, in dem eine Schlange durch blinkendes Futter am Leben erhalten werden muss, ohne sich selbst zu fressen. Sein Trauma, welches unter Anderem durch das Miterleben dieser operativen Eingriffe erzeugt wurde, verarbeitet er in gewaltvoll ausgelebter Sexualität weiter. Der Theatertext von Sam Max verhandelt die Grenzen von konsensuellem SM-Sex, Missbrauch und sexualisierter Gewalt.

Puppenhafte Bewegungen

Die Schauspieler in dem blau gefliesten Horror-Spa-Tempel deuten die Figuren nur an, schneiden etwa Grimassen, anstatt natürliche Reaktionen zu zeigen. Außerhalb der Dialoge bewegen sie sich puppenhaft. Auch das Kostümbild von Teresa Vergho wirkt so künstlich, aufgesetzt wie das unheimliche Grinsen von Connor und seinem imaginären Freund Eric. Die Spieler tragen ihre faltenlose Kleidung wie Schaufensterpuppen.

Bereits der Theatertext schafft durch feine Formulierungen die Grundlage für die unheimliche Stimmung. Als Felix andeutet, Connor einen Blowjob zu geben, spricht dieser in seiner Kinderstimme mit Eric und verwebt so die Sexualität im Erwachsenenalter mit seiner Kindheit. Dort beginnt auch seine Faszination für gewaltvolle Spiele.

Macht getriebene Rollenspiele

Connor spielt mit seinem imaginären Freund Eric, dargestellt von Jonas Grundner-Culemann, Macht getriebene Rollenspiele: Die Vorstellung davon, so klein zu sein, dass Connor seinen Freund in den Mund nehmen und ihn herunterschlucken könnte, wird auf einem großen Fenster im Hintergrund des Bühnenbilds gezeigt. Diese Projektion von Luis August Krawen in Videospiel-Ästhetik wirkt wie ein ironisch überspitzter Kommentar zu den echten Menschen auf der realistisch anmutenden Bühne.

Wie Marionetten führt der pulsierende Sound von Benedikt Brachtel die Figuren durch den Abend. Die Bewegungen sind präzise choreografiert, sie wiederholen sich. Es ist ein unheimlicher Tanz. Doch durch die akkurat mit den visuellen Ereignissen auf der Bühne synchronisierten Soundeffekte bleibt kaum Raum für eigene Interpretationen. Als Grundner-Culemann in seinem extatischen Monolog auf den in rotes Licht getauchten Höhepunkt zusteuert, ist die wummernde Musik eine überflüssige Sehne im Spannungsbogen, den der Schauspieler auch durch seine Stimme allein hätte aufziehen können. Auch das Vogelzwitschern und der Gesang einer Eule auf das Stichwort „Vollmond” wirken plakativ. Die selten abbrechende musikalische Untermalung überhöht künstlich die filmische Ästhetik, die schon durch die helle Rahmung der Bühne und das klar ausgearbeitete Lichtdesign ganz eindeutig transportiert wird.

Grausamkeit bricht heraus

Rainer Caspers und Steffen Hilbrichts Lichtdesign komplementiert die Kostüme. Das knallige Rot im diffusen Operationskittel-grünen Licht lässt die Schauspieler mit ihren übermalten Augenbrauen noch karikativer wirken. Connors „Fake Dad”, gespielt von Felix Strüven, trägt einen braven pinken Pullunder unter seiner gallig-gelb verschmierten Metzgerschürze und steht so sinnbildlich für das spießige Leben, aus dem die Grausamkeit herausbricht.

Zu der rein männlichen Besetzung gehören auch vier nackte Statisten, die immer wieder als Verkörperung von Gefahr auftreten. Ihre Nacktheit steht neben den handlungsgebenden Figuren und unterstützt so die gegenüberstellende Bildsprache Mondtags. Dadurch, dass Sexszenen in Kleidung lediglich angedeutet werden, wirken sie stilisiert und verfremdet.

Die starken Bilder der Inszenierung ergänzen die bizarr grausame Geschichte, die Sam Max kreiert hat, ohne Gewalt nur zu reproduzieren. Das Unbehagen bricht gnadenlos über die Zuschauer*innen herein. So wird „Double Serpent” zur Projektionsfläche für männliche Gewalt, Macht und Sexualität. „Die Hölle ist echt” und sie ist männlich.

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Luise Helene Otto

Luise Helene Otto (sie/ihr), geboren 2003, studiert Theaterwissenschaft sowie Sprache, Literatur und Kultur an der LMU in München. Parallel arbeitet sie für den Studierendenradiosender M94,5. Dort leitete sie ein wöchentliches Kulturmagazin. Erste Erfahrungen mit Theater machte sie bei TheaterTotal in Bochum. Seit 2022 ist sie Teil des MK:ollektivs an den Münchner Kammerspielen und des Open House Kollektivs des PATHOS Theater München, bei denen sie schreibend und konzeptierend an Theaterabenden mitarbeitet. Während einer Regieassistenz an der Freien Bühne München vertiefte sie ihr Interesse für inklusives Theater. Für die Theaterfestivals Spielart und Radikal Jung schrieb sie Theaterkritiken und zuletzt war sie Teil der Voyager Werkstatt für Kulturjournalismus.

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