Theater muss sich ändern: Jugendliche an die Macht!

Junge Menschen sollten früh mitbekommen, dass Theater auch mit ihren Interessen zu tun haben kann. Es gilt, die Grenzen zwischen Popkultur und sogenannter Hochkultur einzureißen

Ehrlichkeit kann beängstigend sein, und Jugendliche sind manchmal das ehrlichste Publikum, das man haben kann. Sie reagieren impulsiv und haben noch nicht gelernt, welche ungeschriebenen Verhaltensregeln wo und wann gelten. 2023 erfuhr ich diese Ehrlichkeit das erste Mal selbst im Theater an der Parkaue, am jungen Staatstheater Berlin. Ich performte mit elf anderen Spieler*innen zum Thema und gleichzeitigen Titel unseres Stückes „Macht Pause“, in dem es darum ging, sich den Leistungs-Zwängen der Gesellschaft zu widersetzen, die uns nicht gut tun.

Wir waren die erste Produktion mit jungen Menschen am Haus, die die gleichen Bedingungen hatte wie ausgebildete Schauspielende. Das Publikum bestand aus Jugendlichen mit unterschiedlichen Hintergründen. Auf alles, was wir auf der Bühne machten, wurde mit Geräuschen und Bemerkungen in unterschiedlichen Sprachen reagiert. Manchmal wurde in auch in Momenten gelacht, die eigentlich unpassend dafür schienen. Zum Beispiel, als eine Performerin und ich über für uns schmerzhafte Erfahrungen unserer Familien sprachen. Im Nachgespräch war aber gerade die Gruppe von Jungs, die gelacht hatte, beeindruckt, dass wir so persönliche Einblicke gegeben hatten. Die scheinbar abgeneigtesten Zuschauer entpuppten sich manchmal als die größten Fans.

Rein und Rausgehen während der Vorstellung möglich

Unsere Vorstellungen nannten sich „Relaxed Performances“. Diese ermöglichen dem Publikum, eine entspanntere Atmosphäre zu erleben, als das normalerweise im Theater üblich ist. Es muss nicht geschwiegen werden, die Tür wird durch einen dunklen Vorhang ausgetauscht, damit man während der Vorstellung rein und raus gehen kann, ohne Aufsehen zu erregen. Außerdem wird der Saal nur zu 80% ausverkauft, damit es die Möglichkeit gibt, während der Vorstellung auch mal den Platz zu wechseln. Insbesondere behinderte Menschen oder Menschen mit chronischen Erkrankungen sollen sich wohl fühlen, aber auch für alle anderen wird der Fokus auf eine besonders ungezwungene und inklusive Umgebung gelegt.

Ich bin dankbar und stolz, dass wir die erste Theatererfahrung von vielen jungen Menschen sein durften. Wenn ich mich an Theatererfahrungen aus meiner Schulzeit erinnere, waren Theater keine Orte, an denen ich mich besonders wohl fühlte. Es war aufregend, in eine andere Welt zu blicken, aber ich wäre nicht auf die Idee gekommen, in meiner Freizeit solche Veranstaltungen zu besuchen. Zu fernab von meiner Lebensrealität schienen mir die dort behandelten Themen. Unser junges Publikum dagegen kam immer wieder auf uns zu, um uns zu fragen, wo sie so etwas auch machen könnten, und bedankte sich bei uns, dass wir unsere Perspektiven geteilt hatten, mit denen sie sich identifizieren konnten.

Theater sollte so mit der Zeit gehen, wie es Mode und Musik tun

Für mich war es berührend zu merken, dass das, was wir auf der Bühne zeigten, tatsächlich etwas in jungen Menschen auszulösen schien. Performances können dazu beitragen, junge Menschen auf ihre eigene Kreativität aufmerksam zu machen und sie für Kunst und Kultur zu begeistern. Wenn junge Menschen früh mitbekommen, dass Theater auch mit ihren eigenen Interessen zu tun haben kann, motiviert man sie dazu, sich nicht mit Räumen zufrieden zu geben, in denen ihre Perspektiven nicht präsent sind und nach mehr zu fordern, als ihnen zugestanden wird.

Auf eine ähnliche Art, wie diese jungen Menschen unbeschwert ins Theater gehen, möchte ich auch in meinen Theaterkritiken für das Theatertreffen 2024 über meine Assoziationen und Meinungen schreiben. Dabei werde ich Grenzen zwischen Popkultur und sogenannter „Hochkultur“ in Deutschland ignorieren und versuchen, sie zusammenzudenken. Genau wie Musik oder Mode sich mit der Zeit ändern, sollten es auch Theater tun.

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Marta Ivkić

Marta Ivkić hospitierte am Staatstheater Karlsruhe, dem Maxim Gorki Theater und dem Theater an der Parkaue Berlin. Im Juni 2023 fand ihre erste performative Lesung über bosnische Lebensrealitäten und Märchen in der Weissen Rose Berlin statt. September 2023 führte sie eine Recherchereise nach Bosnien und Kroatien durch. 2024 übernimmt sie die Künstlerische Leitung für das Projekt „Dragan, eine*r von Vielen – Ein Abend voller Kunst und Tanz über diasporische Identitäten aus dem Balkan“. Marta arbeitet nebenbei als Dolmetscherin für Deutsch – Bosnisch/Serbisch/Kroatisch an Berliner Krankenhäusern und studiert seit 2021 Kultur und Technik Philosophie an der TU Berlin.

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