Eat the rich!

Rieke Süßkow ist dieses Jahr bereits das zweite Mal zum Theatertreffen eingeladen. Mit „Übergewicht, unwichtig:UNFORM“ schaffen sie und ihr Team einen Abend, der dem Text eine Bühne gibt und ein Schauereignis voller choreografierter Gummipuppen und kauender Latexlippen ist.

Das Erste, was man hört, ist Schmatzen. Laute Schmatzgeräusche, die an diesem Abend durch die Volksbühne hallen, läuten „ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM“ in der Regie von Rieke Süßkow ein. Der Text, 1991 geschrieben vom österreichischen Autor Werner Schwab als Teil seiner „Fäkaliendramen“, trägt den Untertitel „Ein europäisches Abendmahl“. Es geht ums Fressen und Gefressen werden.

Auf der Bühne öffnet sich, gerahmt von schwarzen Latexwülsten, ein Guckkasten. Den Zuschauenden eröffnet sich eine Reihe makabrer Gestalten in fleischfarbenen Masken, die alle die gleichen Gummipuppen-Kostüme tragen. Von der Hüfte weg hängen die Puppenbeine, sodass es aussieht, als würden die Puppen im Raum hängen. Die Figuren werden von einer Stimme aus der Soundanlage vorgestellt, einer Art Ansager. Untermalt von elektronischen Klängen und blinkenden Scheinwerfern bewegen sie sich ruckelnd, und so ergibt sich der Eindruck, man würde nicht auf eine Theaterbühne, sondern auf einen überdimensionalen Spielautomaten schauen, auf dem Charaktere sich gegenseitig einen drüberziehen, Münzen sammeln, Bier trinken. 

Gegenseitiges Befummeln und Schlagen im Wirtshaus

Sie befinden sich in einem Wirtshaus, wie man ebenfalls von der Stimme aus dem Off erfährt. In diesem philosophieren sie über Würde, das Leben, schlagen sich, befummeln sich. Neben den üblichen üblen Gestalten der Stammgäste gibt es auch das schöne Paar, das im zweiten Akt durch eine Öffnung des Guckkastens sichtbar wird und auf einem Podest wortwörtlich über den anderen Figuren steht. Zum Ende des zweiten Akts wird das Paar von den zu ihnen heraufkletternden Stammgästen aufgefressen. ‘Eat the rich’ im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Gewaltorgie bekommt das Publikum nur teils zu sehen, da der Latexrahmen der Bühne auf und zu geht, ähnlich einem Mund, der schmatzend alles zermalmt.

Der dritte Akt beginnt wie der erste. Die Figuren ruckeln in einer Reihe von links nach rechts, das schöne Paar ist aber nicht mehr über ihnen, sondern wird, nun den anderen Figuren optisch ähnlicher, von der Decke geseilt und wieder in diese hinaufgezogen. 

Spielautomaten-Ästhetik der Puppen

Durch die Spielautomaten-Ästhetik der Puppen im Guckkasten hat die Sprache, die bei Schwabs Texten durch seine Szenenanweisungen neben Raum und Personen eine eigene Beschreibung bekommt, in der Inszenierung von Süßkow ihre eigene Stellung. Schwab schreibt als Anweisung „Sprecher und Besprochenes vermischen sich“. Genau das schafft Rieke Süßkow durch die Gleichförmigkeit der Figuren.  Diese macht es im ersten Moment oft schwer, das Gesprochene der Person zuzuordnen, die spricht, was den Spaß an dieser Inszenierung ausmacht. Der Text scheint über ihnen zu schweben. 

Text und Form stützen sich, statt voneinander getrennte Entitäten zu sein. Dadurch wird auch die Darstellung der Gewalt möglich, die das Stück beinhaltet und beim Lesen von Schwabs Text großes Unbehagen bereiten kann. Untermalt mit überzeichneten Schlaggeräuschen, wie man sie aus Zeichentrickfilmen kennt, und dem Fallen auf Trampoline sind die Gewalttaten auf der Bühne keine bloße Reproduktion, sondern eher eine Versinnbildlichung der Art, wie Menschen miteinander umgehen. Fressen oder gefressen werden. Mit dieser Setzung gelingt Rieke Süßkow und ihrem Team ein Abend, der das Label hervorragende und bemerkenswerte Inszenierung verdient.

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Michèle Tacke

Michèle Tacke, geboren 2000, sagt oft Theater sei ihr Leben (was nur eine leichte Übertreibung ist). Sie studiert aktuell Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien im Bachelor. Seit ihrer ersten Hospitanz im September 2021 arbeitet sie bei verschiedenen Projekten der freien Szene Wiens als Regieassistentin, Künstlerische Mitarbeit und Dramaturgin. Dabei ist ihr wichtig, an maximal unterschiedlichen Produktionen mitzuwirken, von Theaterstücken für Kinder ab 5 bis hin zu aktivistischer Performancekunst im öffentlichen Raum. Michèles Interesse gilt dabei insbesondere der Sprache und der Rolle dieser im Alltag und im Theater.

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