Das Wichtigste: Respekt und Liebe zum Theater

Gastbeitrag: Claude De Demo, Schauspielerin im Berliner Ensemble, über ihre Sicht auf Theaterkritik

Als die Anfrage kam, ob ich Lust hätte, einen Gastbeitrag über Theaterkritik zu schreiben, hat sich erst mal alles in mir gesträubt. Seit Berufsbeginn habe ich gelernt: ‚Never explain, never complain, alles andere macht dich klein’! Damit bin ich die letzten 22 Jahre gut durchgekommen und die Wunden, die im Laufe der Jahre geschlagen wurden, wurden im Stillen geleckt. Zur Not galt die Devise: ‚in die Zeitung von heute wickelt man morgen den Fisch ein…. also, rühr diese Büchse der Pandora bloß nicht an!’

Aber die Zeiten haben sich geändert. Durch die Digitalisierung bleibt alles in der Welt, jedes Wort, jede Meinung, auch wenn sie noch so inkompetent ist, und alle haben freien Zugang dazu. Je länger ich darüber nachgedacht habe, desto mehr sah ich es als Chance, dieses ungeschriebene Gesetz zu durchbrechen und zu versuchen, meine Sicht auf Theaterkritik aufzuschreiben. Aber vorab: Jede*r Schauspieler*in ist anders. Jede*r geht anders mit diesem Thema um.

Gehört das ständige Beurteilen dazu?

Eine Kritikerin sagte kürzlich zu mir: ‚Ich weiß nicht, wo das Problem liegt. Du hast einen öffentlichen Beruf. Das ständige Beurteilen gehört doch dazu.’ Ich musste über den Satz nachdenken, denn für mich ist mein Beruf, meine Berufung, in Rollen zu schlüpfen, mich mit Literatur und mit politisch relevanten Themen zu beschäftigen. Charaktere in all ihren Widersprüchen zu erfinden und diese zu zeichnen, sie zum Leben zu erwecken. Kunst zu schaffen und diese öffentlich zu zeigen, um einen Diskurs anzuregen. Im besten Fall möchte ich ein Schlüssel zu Emotionen sein. In diesen Resonanzraum trete ich jeden Abend, an dem ich spiele, mit dem Publikum. Das gehört für mich zu meinem Beruf. Die öffentliche Beurteilung meiner Arbeit muss ich eher in Kauf nehmen.

Ich habe viele Jahre fest an Häusern gespielt, und in meiner Anfängerinnenzeit empfand ich Kritiken oft als ungerecht und verletzend. Allein der Fakt, dass eine wochenlange Arbeit mit einem Wimpernschlag zunichte gemacht werden konnte, hat mich geärgert. Inzwischen lese ich keine Kritiken mehr über Inszenierungen, in denen ich mitspiele, denn sie haben mich zu oft beeinflusst. Die Sätze und Bilder positiver wie negativer Kritiken, die von Journalist*innen so unmittelbar nach einer Premiere geschrieben und gezeichnet wurden, nahmen einen zu großen Raum in mir ein, der mich abgelenkt hat. Ich versuchte abzugleichen und schaute beim Spielen wie von außen auf mich drauf. Das hat mich gestört. Von schlechten Kritiken erfährt man meistens aber ohnehin.

Schon in den Himmel gelobt und verrissen

In meiner Theaterkarriere wurde ich schon in den Himmel gelobt und zeitgleich verrissen. Eine Laudatio, die mal auf mich gehalten wurde, begann so: „Das genaue, schnelle Spiel der Schauspielerin…“ , in der Kritik damals nach der Premiere zum gleichen Abend wurde in der lokalen Zeitung von einer Kritikerin, die mich immer verrissen hat, mein „ungenaues und langweiliges Spiel“ bemängelt. Die total unterschiedliche Beurteilung meines gleichen Spiels fand ich absurd. Aber es zeigte mir auch, dass eine Kritik nur eine Meinung abbildet.

Bei manchen Theaterkritiken frage ich mich, ob der Kritiker oder die Kritikerin überhaupt Lust hatte, an dem Abend ins Theater zu gehen? Ob er oder sie das Theater liebt? So lustlos wirken einige Besprechungen. Ich frage mich, ob Kritiker*innen immer professionell bleiben können, oder ob auch die eigene Tagesform und persönliche Ressentiments zu dementsprechenden Kritiken führen und ob das reflektiert wird? Ob das dem oder der Kritikerin aber egal ist, weil er oder sie sowieso die Deutungshoheit für sich reklamiert? (#Pressefreiheit) Ob sie wohl darüber nachdenken, dass Wörter und Zuschreibungen verletzend sein können? Oder wollen sie sogar verletzend sein?

Kritiken beeinflussen den eigenen Marktwert

Und inwiefern spielen Klickraten heutzutage eine Rolle? So genannte ‚Power Wörter‘ erhöhen die Klickzahlen. Sie sollen starke Emotionen hervorrufen oder Neugier erwecken, um die Chance zu erhöhen, angeklickt zu werden. Und dass sich ein Verriss für viele Menschen besser liest und interessanter ist als eine positive Kritik (#Schadenfreude ist die schönste Freude), ist auch bekannt. Insofern kann ich nachvollziehen, warum Kunstschaffende, wenn sie immer wieder von der gleichen Person verrissen werden, irgendwann erbost sind.

Ich wurde kürzlich gefragt, ob ich denke, dass negative Theaterkritiken wirklich große Auswirkungen haben. Ja, das denke ich. Auf die Zuschauerzahlen, besonders an kleineren Häusern in kleineren Städten. Das habe ich selbst erlebt. Ist eine Intendanz erst mal in Missgunst geraten, ist es schwer bis unmöglich, aus dieser Negativspirale rauszukommen. Das betrifft dann ein ganzes Haus und Arbeitsplätze gerade in einer Zeit, wo die Zahlen vehement gerechtfertigt werden müssen. Außerdem beeinflusst es den eigenen „Marktwert“ und somit auch die Karriere.

Ein Nogo für mich: Die Beurteilung des Aussehens

Ich persönlich finde die Theaterkritiken immer noch am schlimmsten, die persönlich beleidigend oder übergriffig sind. Jede Form von Beurteilung des Aussehens empfinde ich als absolutes Nogo. Ein paar Beispiele: „Die Wuchtbrumme…“, „Warum ziehen sich eigentlich immer die falschen aus…“, „Die Regisseurin…scheint doch offenbar etwas zu unterbelichtet für Lessings Intelligenz…“, „Den Regisseur verlassen irgendwann völlig Hirn und Sinn…“ diese oder ähnliche Sätze und Zuschreibungen sind verletzend, bösartig und verstörend und standen genau so in Kritiken, die ich gelesen habe. Zum Glück werden derartige persönliche Beleidigungen aber seltener.

Deutschland hat eine schätzens- und schützenswerte Theaterkultur, auf die viele neidisch blicken. Manche Kulturschaffende werden hochgeschrieben, andere verrissen und viele verschwiegen. Aber es gibt sie, die tollen Theaterkritiker*innen, die einen respektvollen, klugen Ton und Umgang haben, selbst wenn ihnen der Abend, den sie rezensieren, nicht gefallen hat. Die eine starke Meinung haben, aber diese nicht über alles drüberstülpen und Raum lassen für eigene Gedanken. Die mit ihrem Ego nicht in Konkurrenz treten wollen zur Kunst, die gerade vor ihnen auf der Bühne stattgefunden hat, und die nicht jedes Machtgebaren und kulturpolitische Ränkeschmieden mitmachen. Die nicht jedem Trend folgen und keinen Genie-Kult bedienen wollen.

Die noch wirklich hinschauen, neugierig und offen sind. Aber sie sind selten, diese tollen Theaterkritiker*innen. Eine gut geschriebene, und damit meine ich nicht zwangsläufig positive Theaterkritik kann wunderbar inspirierend und lustvoll sein. Wie ein ‚amuse bouche‘, das Appetit macht auf mehr. Die verbindende Grundlage ist, denke ich: Respekt und die Liebe zum Theater.

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Claude De Demo

Claude De Demo war festes Ensemble-Mitglied an den Schauspielhäusern in Köln, Bochum und Frankfurt. Sie arbeitete u.a. mit Jorinde Dröse, Luk Perceval, Karin Henkel, Kay Voges, Michael Thalheimer, Jan Bosse und Andrea Breth. Seit dem Jahr 2020 ist sie festes Ensemblemitglied am Berliner Ensemble.

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