„Wir müssen reden“

Falk Richter zeigt in „The Silence“ die Abgründe, die sich durch Schweigen auftun. Mit Dimitrij Schaad als Solo-Performer erzählt er seine Geschichte, die zugleich persönlich und verallgemeinerbar ist.

„Hi, ich bin Dimi“ – stellt sich Schauspieler Dimitrij Schaad dem Publikum vor und buhlt so offen um seine Gunst. Er begrüßt es zu „The Silence“, einem „Stück von Falk Richter über Falk Richter, inszeniert von…Falk Richter“, wie der Schauspieler die Selbstreferenzialität Richters ironisch kommentiert. Schaad schlüpft dafür vor den Augen der Zusehenden in diese Rolle, ohne sich dabei optisch zu verändern.

Er erzählt die Geschichte seiner Familie, davon, was gesagt wurde und vor allem davon, was nicht gesagt wurde. Seine Mutter hatte eine harte Kindheit, wurde von ihrem Vater verstoßen, nach dem sie unehelich schwanger wurde. Der Vater des Kindes führte die ersten Jahre ein Doppelleben und versteckte die Familie. Richters Vater war traumatisiert vom Krieg. Über all das wurde nie gesprochen, erzählt Schaad.

Eine Familiengeschichte unterm Brennglas

Der Text springt erzählerisch hin und her zwischen Momenten aus Falk Richters Leben, in denen dieses Schweigen ihn kaputtmachte, untermalt von Videoaufnahmen einer Fahrt durch ein Wohngebiet, vermutlich aus seiner Heimat: Buchholz in der Nordheide. Trotz der Anekdotenhaftigkeit und den ständigen Zeitsprüngen schafft es der Autor und Regisseur, ein Gesamtbild zu erschaffen, das zum einen ein Generationen übergreifendes, immer wiederkehrendes Muster aus Stille, Verdrängung, körperlicher und psychischer Gewalt in seiner Familie zeigt. Zum anderen spricht er über erlebte homofeindliche Gewalt und das damit verbundene Schweigen der Gesellschaft zu nicht heteronormativen Lebensrealitäten.

Portrait von Dimitrij Schaad
Dimitrij Schaad in „The Silence“ © Gianmarco Bresadola

Auf der Bühne wandelt Schaad als Falk Richter zwischen seinem Arbeitsplatz, einem Tisch mit einem Laptop, umgeben von Bücherstapeln und kniehohen Mauern umher, die an den Grundriss eines Hauses erinnern (Bühne: Katrin Hoffmann). Hier wird einer Sache auf den Grund gegangen, dekonstruiert. Überall verteilt liegt zerknülltes Papier, denn immer wieder lässt Falk Richter die Zusehenden am Entstehungsprozess des Stückes und der Figur Falk Richters auf der Bühne teilhaben. Er schreibt, zerknüllt, schmeißt weg.

Die Eltern sind allgegenwärtig

Außer ihm kommt auch Falk Richters reale Mutter an diesem Abend in Form von Videoaufnahmen zu Wort. Und genau diese machen diesen Abend so eindrücklich, so echt. Man wird als Zusehende*r selbst Zeuge ihrer Verdrängungs- und Widerstandsfähigkeit. Obwohl sie zu barschen Erziehungsmethoden neigte, wie ihren Sohn, wenn er zu laut war, in den Kleiderschrank zu sperren, wirkt sie in den Videoaufnahmen menschlich. Dadurch, dass man sie darin erlebt, ist man ihr nah, und das geht unter die Haut.

Doch nicht nur seine Mutter bekommt einen Platz auf der Bühne, auch der Vater spielt in der Erzählung eine große Rolle. Er hat den Krieg nie verarbeitet, spricht nicht über seine traumatischen Erlebnisse, wird handgreiflich. In einem sehr eindrucksvollen Moment beschreibt das Falk Richter-Ich, was es gerne von seinem Vater vor dessen Tod gehabt hätte, eine Umarmung und einen Zuhörer. Bekommen hat er nur ein „Lass mich in Ruhe“. Ruhe, Stille, Schweigen.

Keine narzisstische Selbstdarstellung

„To silence someone“, also jemanden zum Schweigen zu bringen, ist eine aktive Tat. So wie seine Eltern aktiv Dinge verschwiegen haben, so zieht sich dieses Verhalten hinein in Richters gegenwärtige Beziehungen. Nach dem Tod seines Vaters ruft er seinen Ex-Freund aus Schulzeiten an. In Tagebüchern habe er die Nummer gefunden und auch das Codewort, was er damals für ihre ersten Intimitäten, ihren ersten Sex benutzt habe: the silence. Auch diese Beziehung war geprägt von einem „Nicht-darüber-Reden“, von Scham, von Selbsthass. Dieses Telefonat zeigt, dass selbst, wenn man sich mit Verhaltensweisen auseinandersetzt, sich ihrer bewusst ist, in Therapie geht, ein ganzes Theaterstück darüber schreibt, sie selbst loszuwerden schwer ist.

Die Inszenierung „The Silence“ ist keine narzisstische Selbstdarstellung, was durch die Setzung, einen Abend über sich selbst zu schreiben, durchaus hätte passieren können, sondern vielmehr ein Versuch, das Schweigen in Familien und in der Gesellschaft zu durchbrechen. Man ist dadurch auf sich und seine eigene Vergangenheit zurückgeworfen.

Ein Sog mit Unterbrechungen

Nur wenige Momente stören, in denen die Handlungen auf der Bühne sehr bebildernd und konkret sind. Zum Beispiel zieht sich Schaad, um eine Therapeutin darzustellen, Perücke und Poncho über oder stellt ein Zelt mitsamt Campinglampe auf, als es darum geht, dass Richter nach dem Tod seines Vaters im Garten campierte. Diese Momente unterbrechen den Sog, den der Abend hat, und passen nicht zu den atmosphärischen Videoaufnahmen von Landschaften, da sie das Gesagte unnötig verdoppeln und die Inszenierung an diesen Stellen in eine karikatureske Darstellung rutscht, die sie nicht braucht.

Durch Schaads Leichtigkeit und gleichzeitige Verletztheit hat man das Gefühl, ein persönliches, intimes Gespräch geführt zu haben. Ein Gespräch über und gegen all das Schweigen.

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Michèle Tacke

Michèle Tacke, geboren 2000, sagt oft Theater sei ihr Leben (was nur eine leichte Übertreibung ist). Sie studiert aktuell Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien im Bachelor. Seit ihrer ersten Hospitanz im September 2021 arbeitet sie bei verschiedenen Projekten der freien Szene Wiens als Regieassistentin, Künstlerische Mitarbeit und Dramaturgin. Dabei ist ihr wichtig, an maximal unterschiedlichen Produktionen mitzuwirken, von Theaterstücken für Kinder ab 5 bis hin zu aktivistischer Performancekunst im öffentlichen Raum. Michèles Interesse gilt dabei insbesondere der Sprache und der Rolle dieser im Alltag und im Theater.

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