„Wirklich Bock aufs Publikum“

Theater HORA, ein Theater von und mit Menschen aus der Schweiz mit kognitiver Beeinträchtigung, hat mit Das Helmi Puppentheater und dem Schauspielhaus Zürich „Herr der Ringe“ adaptiert. Ein Gespräch über die Arbeit am Stück und inklusive Theaterpraxis.

Der Theaterabend „Riesenhaft in Mittelerde“ wurde in der Regie von vier Regisseuren erarbeitet, der auf J.R.R Tolkiens „Herr der Ringe“ basiert und dieses zugleich kritisch hinterfragt. Für zwei Stunden sind die Zusehenden Teil einer begehbaren Inszenierung. Sie begeben sich in eine Welt voller Elben, Riesen, Hobbits und weiteren Fabelwesen des „Herr der Ringe“-Universums.

Für das Interview hat sich das Theatertreffen-Blog mit Nikolai Gralak und Fredi Senn, Darstellenden des Theater HORA, der Theaterpädagogin Anna Fierz und Stephan Stock getroffen, der gemeinsam mit Yanna Rüger das HORA Theater leitet.

TT-Blog: Der Theaterabend versammelt drei verschiedene Theater und vier verschiedene Regiepersonen. Wie war für euch die Zusammenarbeit?

Stephan Stock: Es war natürlich ein großer Aufwand, bis das Ganze so gestanden hat. Aber das war von Anfang an ein wichtiger Punkt für das Theater HORA und auch für das ganze Projekt, dass die drei Gruppen gleichberechtigt zusammenarbeiten. Weil das ist ja auch der Inhalt von „Herr der Ringe“, dass man eine Gemeinschaft wird aus Elben, Zwergen und Menschen. Das war dann konzeptuell die Grundidee zu sagen: Wir wollen auch eine Gemeinschaft werden und gucken, wie das funktioniert.

TT-Blog: Habt ihr in den drei Gruppen separat geprobt und das zusammengesetzt oder war das von Anfang bis Ende ein großer kollektiver Probenprozess?

Nikolai Gralak: Das war ein großes Kollektiv.

Stephan Stock: Auf jeden Fall. Alle immer zusammen. Von Anfang an. Es ist eigentlich alles auch aus Improvisationen entstanden. Also das ist voll das Ensemble-Stück. Wir haben zusammen die Filme geguckt, dann haben wir sie nachgespielt. Das war die Methode, kann man sagen, grob runtergebrochen.

Anna Fierz: In den ersten Tagen waren alle überwältigt, wie viele Leute da mitwirken. Beim HORA machen wir am Anfang eine Einführung zu inklusivem Arbeiten, und dafür haben wir alle Gewerke ins Boot geholt. Da saßen dann einfach 60 bis 70 Leute. Wir haben am Anfang sehr lange Namensspiele gespielt.

Ich fand interessant an den drei Gruppen, dass einerseits die Spielweisen und die Ästhetiken sehr unterschiedlich sind. Aber auch diese Selbstverständlichkeiten: Wie probt man überhaupt? Was hat man? Wie geht man mit Zeit um? Ich glaube, da haben alle etwas Eigenes mitgebracht. Das ist teilweise schwierig, teilweise lernt man voneinander.  

TT-Blog: Was war noch besonders an dem Projekt?

Stephan Stock: Das Schöne war, dass es viel Zeit gab, viel Raum und viele Begegnungen. Wir haben zum Beispiel die Kostüme selbst gemacht, oder die Pupen zusammen mit den Helmis.

Anna Fierz: Und du Nikolai bist ja der „Herr der Ringe“-Experte. Das fand ich interessant, dass es immer wieder Momente gab, wo du zum Beispiel Nicolas Stemann erklärt hast, wie diese Geschichte eigentlich ist. Dass nicht einfach die Regiepersonen immer die Experten waren.

©Vincent Koch

TT-Blog: Was ist anders, wenn man eine Rolle für ein Stück erarbeitet, wo die Zuschauenden so nah dran sind?

Fredi Senn: Das ist mega geil, ich komme mir vor wie beim Rockkonzert.

Nikolai Gralak:  Wenn man dem Publikum als Gandalf Fragen beantworten muss, das ist schon immer wieder interessant.

Stephan Stock: Ich glaube, dass das für uns auch eine coole Form war. Eine Qualität von unseren Schauspielern ist ja, dass sie auch wirklich Bock aufs Publikum haben.

TT-Blog: Ihr arbeitet ja alle gemeinsam daran, Theaterpraxis inklusiver zu gestalten. Was findet ihr, ist da das Wichtigste? Und was wünscht ihr euch?

Nikolai Gralak: Das man sich gut versteht.

Fredi Senn: Gute Stimmung und gutes Publikum. Und gute Songs!

Nikolai Gralak: Viel Action. Und in der Gruppe viel zu lachen.

Stephan Stock:  Bei dem Stück war wichtig, dass alle mal so sein können, wie sie Lust haben. Am Ende des Tages fühlen sich dann alle wohler. Wenn man das Normative einfach gehen lässt, macht das den Raum für alle entspannter, und alle haben mehr Spaß an der Sache, und das ist das, was sich an dem Abend auf das Publikum überträgt. Das Ziel von inklusiver Arbeit sollte immer sein, dass alle sich wohlfühlen.

Anna Fierz: Es braucht auch eine Offenheit, dass Sachen anders rauskommen als geplant, oder Lust an Überraschungen und an Störungen. Es braucht Zeit. Für jedes Projekt ist es schön, wenn man Zeit hat, aber bei uns ist das stärker, dass die Tagesform sehr unterschiedlich sein kann.

Wichtig ist auch, dass alle Lust haben, Verantwortung zu übernehmen. Ob es tatsächlich inklusiv ist, sieht man in der Zeit neben den Proben: Wer sitzt zusammen beim Mittagstisch, wer geht danach zusammen noch was trinken, wer hilft mit. Die ganz Care-Arbeit sollte nicht nur Einzelnen zugeschrieben werden, sondern alle sollten den Blick dafür öffnen, wer gerade Unterstützung braucht.

Bei der Frage: „Was braucht es für inklusives Arbeiten“ ist auch wichtig, dass man nicht denkt, es gibt das eine Rezept. Man muss berücksichtigen, dass Leute, wie auch sonst, sehr unterschiedlich sind.

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Michèle Tacke

Michèle Tacke, geboren 2000, sagt oft Theater sei ihr Leben (was nur eine leichte Übertreibung ist). Sie studiert aktuell Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien im Bachelor. Seit ihrer ersten Hospitanz im September 2021 arbeitet sie bei verschiedenen Projekten der freien Szene Wiens als Regieassistentin, Künstlerische Mitarbeit und Dramaturgin. Dabei ist ihr wichtig, an maximal unterschiedlichen Produktionen mitzuwirken, von Theaterstücken für Kinder ab 5 bis hin zu aktivistischer Performancekunst im öffentlichen Raum. Michèles Interesse gilt dabei insbesondere der Sprache und der Rolle dieser im Alltag und im Theater.

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