Mehlwolken der Bedeutungslosigkeit

Das Leben ist „völlig bedeutungslos‟, meint Shakespeares Macbeth. Johan Simons minimalistische Inszenierung spielt mit dieser Idee — aber Bedeutungslosigkeit heißt hier Vorhersehbarkeit und Langsamkeit.

An manchen Stellen von Johan Simons „Macbeth‟ scheinen die langen stillen Pausen und mühsamen Szenenübergänge länger zu sein als die Handlung, die dazwischen stattfindet. Jedes Husten im Zuschauerraum ist zu hören. Trotz der großzügigen Verwendung des Kunstblutes, trotz der Mehlwolken, die sporadisch umhergeworfen werden, und trotz der spannenden Geschichte der Machtgier erfordert es manchmal eine große mentale Kapazität, sich darauf zu konzentrieren, dass tatsächlich etwas auf der Bühne passiert — dass die drei in ihren schwarzen Anzügen leicht zu verwechselnden Figuren tatsächlich aus einem bestimmten Grund da sind.

Irgendwie ist das auch der Sinn der Sache. Simons Inszenierung von Shakespeares Tragödie beinhaltet nur wenige Überraschungen. Selbst Zuschauer*innen, die sich mit der Handlung nicht auskennen, können durch die ersten unheilvollen Prophezeiungen der Hexen davon ausgehen, dass es für Macbeth und seine Frau kein gutes Ende geben wird. Der Text für Simons Inszenierung am Schauspielhaus Bochum wurde von Angela Schanelec und Jürgen Gosch ins Deutsche übertragen, gekürzt und teilweise umgeordnet. Der chronologische Ablauf der Geschichte Macbeths — der König Duncan und später seinen Machtrivalen Banquo tötet, ermutigt durch seine ehrgeizige Frau und die geheimnisvollen Voraussagen dreier „Schicksalschwestern‟ — bleibt aber meistens unverändert.

Ästhetik verbindet perversen Slapstick mit langsamer Monotonie

Es scheint absichtlich unklar, welcher Schauspieler*in welche Rolle übernimmt— nur kleine Kostümwechsel und Mimikwechsel geben Hinweise. Die Bühne (Nadja Sofie Eller) ist auch minimalistisch und erinnert mehr an ein Schwimmbad, durch die mit Kacheln verzierten Mäuerchen, als an eine schottische Heide, was sich nicht erschließt. Nur zweimal spielen französische Chansons auf einem Plattenspieler, und die Geräusche der Fledermäuse fliegen über das Publikum — sonst ist alles still. Die Entscheidung der Inszenierung, die tragische Gleichförmigkeit des Schicksals der Figuren durch eine Ästhetik zu betonen, die perversen Slapstick mit langsamer Monotonie verbindet, scheint interessant auf Papier zu sein. Auch „Macbeth‟ mit nur drei Schauspieler*innen auf der Bühne zu inszenieren, könnte eigentlich ein faszinierendes Konzept sein.

Aber damit das funktioniert, müsste sich die Inszenierung noch mehr auf diese Bedeutungslosigkeit einlassen. Tatsächlich ist alles zu offensichtlich bedeutungsvoll. Die Inszenierung setzt auf Momente der Wiederholung und Spiegelung. Jens Harzer schlüpft in die Rollen von Macbeth, Duncan und später auch von Macbeths eigenem Nachfolger Malcolm, wodurch die Morde zu grotesken Selbstmorden werden und die Zuschauer*innen an die zyklische Natur solcher Machtergreifungen erinnert werden.

Klischeehafte Entscheidungen bei Marina Galics Figuren

Gleichzeitig ist Stefan Hunstein der einzige von den dreien, der meist in der gleichen Rolle bleibt, als eine tierische Hexe, die immer auf der Bühne steht. Sie unterstützt Macbeths Intrigen, panscht wie verrückt Getränke und hilft Macduff ein absurd großes Schwert zu tragen, wenn er Macbeth töten will. Aber diese Entscheidungen sind zu zahm: Machtergreifung ist selbstverständlich zyklisch; die Hexen, die für die bösen Wünsche unseres Unterbewusstseins stehen, sind tatsächlich immer präsent. Diese Regieentscheidungen haben zwar eine Bedeutung — nur keine besonders interessante.

Doch bei Marina Galic, die meist zwischen den Rollen von Lady Macbeth, Banquo und Macduff wechselt, werden die klischeehaftesten Entscheidungen getroffen. Das Stück baut zwar eine gewisse Gender-Fluidität auf — am Anfang fragt Macbeth die von Stefan Hunstein gespielte Hexe „Bist du ein Mann oder eine Frau?‟ aber die Frage bleibt während des Stückes offen, auch während des erotischen Spiels zwischen Macbeth und seiner Lady, bei dem Hunstein mitmischt. Doch sobald sich Galic in Lady Macbeth verwandelt, zieht sie die Hose aus und wird zur rotlippigen Verführerin, die im Jahr 1607 schon übertrieben war. Es hat am Ende doch eine klare Bedeutung, dass die weibliche Hauptfigur die einzige ist, die auf diese Weise sexualisiert wird.

Die Schauspieler*innen sind sich fast immer nah

Interessant wirkt die Inszenierung, weil sich die Schauspieler*innen auf der Bühne fast immer nah sind. Lady Macbeth ist in ihrer schlafwandlerischen Selbstmordrede („verdammter Fleck‟) in vielen anderen Inszenierungen allein auf der Bühne und manchmal nackt — hier geben ihre beiden Mitspieler ihr buchstäblich Halt. Auch Macbeth ist nie allein. Er wendet sich weder an das Publikum noch an sich selbst, wenn er fragt: „Ist das ein Dolch, den ich vor mir sehe?‟, sondern an die Hexe direkt neben ihm.

Indem er eine fließende Identitätslosigkeit zwischen den drei Figuren schafft, spielt Simons mit dem Versuch, Bedeutung zu finden. Sind diese scheinbar selbstsüchtigen, gierigen Figuren in Wirklichkeit nur verzweifelt auf der Suche nach menschlichen Beziehungen zueinander? Ist das die Bedeutung, die letztlich zu finden ist? Kann schon sein, aber die Inszenierung weckt kein ernsthaftes Interesse, sich auf die Frage nach der Bedeutungslosigkeit des menschlichen Daseins einzulassen.

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Elliot Douglas

Elliot Douglas (geb. 1995) ist ein in Berlin lebender Journalist und Schriftsteller, der derzeit einen Master in Literatur- und Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt auf Dekolonialismus studiert. Er hat hauptsächlich für die Deutsche Welle gearbeitet, wo er Videoinhalte über deutsche Kultur für das Ausland erstellt hat, und war Stage Editor für Berlins englischsprachiges Magazin, ExBerliner. Er hat auch Erfahrung als Theaterregisseur, Dramaturg und Schauspieler. Er ist zunehmend daran interessiert, die Kluft zwischen Theorie und Praxis zu überbrücken. Er versucht, mehr Zeit in der Natur und mit faszinierenden Menschen zu verbringen und weniger Zeit vor dem Bildschirm.

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