„Einfach das Ende der Welt“ wurde im Live-Stream zeitgleich audiodeskriptiv vertont. Die Audiodeskriptorin war vor Ort in der Züricher Spielstätte. Unsere Gastbloggerin genießt den Unterschied, den das macht.
Theater in Echtzeit mit einer richtigen Live-Audiodeskription für blinde und sehbehinderte Zuschauer*innen – das habe ich schon lange nicht mehr erlebt. „Einfach das Ende der Welt“ ist nicht nur das Eröffnungsstück des 58. Theatertreffens. Es ist auch das erste Theaterstück, das im Rahmen des diesjährigen Festivals mit einer Audiodeskription ausgestattet wird.
Blind zum Stream
Als erstes muss ich den richtigen Stream finden. Und das ist als blinde Zuschauerin leider gar nicht so einfach. Zwar gibt es eine genaue Anleitung. Die besteht aber aus so vielen Schritten, dass ich mich als Blinde auf der Webseite leicht verlaufen kann: Zuerst den Link öffnen. Dann zehn Minuten vorher auf den Schalter „Jetzt live ansehen“ gehen. Den Stücktitel finden. Den Schalter „Zur Bühne“ aktivieren. Den Schalter „Sprache“ öffnen. „Deutsch Audiodeskription“ aktivieren. Dann auf „Play“ drücken. Los geht’s!
Als Blinde muss ich mir jede Webseite neu aneignen. Je mehr Schritte ich abhaken muss, um zum Ziel zu gelangen, umso länger dauert es – manchmal bis zu einer halben Stunde. In dieser Zeit kann mir schon mal die Geduld ausgehen. Eine Anleitung ist hilfreich. Ein Direktlink zum Video mit Audiodeskription ist komfortabler.
Das Ende einer Welt
„Einfach das Ende der Welt“ ist einfach kompromisslos. Benjamin kehrt nach zwölf Jahren Abwesenheit zu seiner Familie zurück. Er hat nicht mehr lange zu leben. Doch selbst nach dieser Ankündigung sind Mutter, Schwester und Bruder nicht gewillt, ihm sein langes Wegbleiben zu verzeihen. Mehr als einmal stehen mir Tränen in den Augen, während ein Charakter nach dem anderen sich einem Gefühlsausbruch hingibt, leere Versprechungen aufgedeckt und schwierige Fragen gestellt werden wie: „Warum habe ich nicht gereicht?“ Am besten gefällt mir, dass das Stück sich von Anfang bis Ende treu bleibt. Es geht um das Ende einer Welt und das Ende einer Welt wird letztendlich auch gezeigt.
Wer ersetzt mir die Augen?
Meine Augen ersetzt mir an diesem Abend die Audiodeskriptorin Charlotte Miggel. Ich bin gleich überrascht von der guten Soundqualität, mit der Charlottes Stimme durch mein Wohnzimmer hallt. Es sind ihre Worte, die mich zuerst durch Benjamins ehemaliges Elternhaus und dann durch das Wiedersehen zwischen Benjamin und seiner Familie führen. An einigen Stellen ist die Hintergrundmusik so laut, dass ich Charlotte Miggel nicht hören kann. Meistens spricht sie aber laut genug.
Einige Versprecher sind auch dabei, aber an diesem Abend freue ich mich sogar darüber, denn das bedeutet Live-Beschreibung.
Wie mich das Stück berührt
Trotz gelegentlicher Internetausfälle habe ich einen herausragenden Theaterabend. Wenn ich auf über dreißig Stücke mit Audiodeskription zurückblicke, darunter auch Vorstellungen live im Theater, sticht dieser Abend wegen seiner Emotionalität und Experimentierfreude heraus. Wo ich Theater erlebe, ist wichtig. Noch wichtiger ist jedoch, ob und wie mich das Stück berührt. Und das hat „Einfach das Ende der Welt“ geschafft, durch eine unvorhersehbare Handlung, herzzerreißende Dialoge und einer bildhaften Live-Audiodeskription.