Offenes Ende

Es steht nicht gut um das Image der Theater. Klagen über rassistische und sexistische Übergriffe bestimmen seit Monaten die Berichterstattung...

Es steht nicht gut um das Image der Theater. Klagen über rassistische und sexistische Übergriffe bestimmen seit Monaten die Berichterstattung. Grund genug, mit dem Theater Schluss zu machen? Unsere Autorin findet: Ja, aber…

Das Theatertreffen 2021 findet digital statt. Ich überlege, wann ich das letzte Mal in einem Theatersessel saß. Es fühlt sich unfassbar lange her an. Wie oft träumte ich im letzten Jahr davon, wieder in einem Kino- oder Theatersaal zu sitzen? Um dort das Lachen, Schluchzen, Aufatmen der Menschen um mich herum wahrzunehmen und mich in kollektiven Emotionen aufgehoben zu fühlen. Aber verschwimmt in meiner Nostalgie gerade die Realität? Denn ganz so einfach und schön sind Theaterbesuche ja gar nicht immer. Für größtenteils Privilegierte ist der Gang ins Theater wahrscheinlich nicht wirklich mit einem hohen Risiko verbunden. Schlimmstenfalls ist man unzufrieden über das Gesehene, die Darstellungen auf der Bühne weiten sich meist nicht auf den restlichen Alltag aus.

Bei marginalisierten Personen sieht das anders aus. Diese müssen sich immer wappnen, wenn sie rausgehen. Wenn sie das Haus verlassen, um ins Theater zu gehen, muss die Schutzschicht häufig nochmal doppelt so dick sein. Denn viel zu häufig ist die Theaterbühne ein Ort der Reproduktion von Diskriminierung. Obwohl mich nach meinem Theaterwissenschaftsstudium nichts mehr überraschen dürfte – nachdem ich in fast jedem Kurs mit weißen Kommiliton:innen darüber streiten musste, warum das N-Wort und Blackfacing problematisch sind­ – bin ich jedes Mal wieder enttäuscht, wenn ich von einer neuen Produktion, Spielstätte oder einem Ensemble höre, wo rassistische und sexistische Strukturen weiterhin den Arbeitskontext bestimmen.

Warum ich das Theater trotzdem so vermisse? Ich denke an die Inszenierungen, die mich empowert haben. Die mich mit neuem Wissen und Geschichten bereichert haben. Die mich in meinen verschiedensten Lebenserfahrungen validiert und mich über andere Lebensrealitäten und Emotionen haben lernen lassen. Ich denke an all die Inszenierungen, die sich gegen ein patriarchales System aussprechen. Die als Reflexionsort unserer Gesellschaft dienen und mir den Anstoß gegeben haben, mich mit wichtigen Themen auseinanderzusetzen. Sollte das nicht die Essenz des Theaters sein? Ein Ort, in dem künstlerisch und politisch Emotionen und Gesellschaftsverhältnisse aufgezeigt und kritisiert werden? Warum ist dieser Ort so oft jener, der viele der Probleme selbst schafft?

Wie oft noch?

Die Vertrauensstelle Themis leitete im Januar 2021 eine Beschwerde an die Berliner Senatsverwaltung für Kultur gegen den Volksbühne-Intendanten Klaus Dörr, der nun sein Amt ablegte. Zehn Frauen aus den unterschiedlichsten Abteilungen an der Volksbühne berichteten von sexistischem Verhalten des Intendanten. Wie die taz berichtete, gab es Sexismus-Vorwürfe gegen Dörr bereits vor seinem Intendanzantritt 2018.

Wie viel Re-Traumatisierung muss stattfinden, bis sich die Strukturen im Theater verändern? Und was passiert, wenn die Diskriminierten in der Minderheit am Arbeitsplatz sind? Wer glaubt ihnen dann, wer hört ihnen zu?

Ein Fall, der verdeutlicht, wie schwer es ist, Kämpfe in einer Institution allein auszufechten, ist der von Ron Iyamu: Seit 2019 als Ensemblemitglied am Schauspielhaus Düsseldorf tätig, erlebte er wiederholt starken Rassismus im Arbeitskontext. Wie er berichtet, verhielt sich ein Regisseur ihm gegenüber rassistisch, was viele der Kolleg:innen dazu veranlasste, ebenfalls rassistisch zu agieren. Auch eine Beschwerde bei der Dramaturgie brachte keine Konsequenzen für die Täter:innen. Ron Iyamu wandte sich sodann an die Öffentlichkeit. Schwarze Schauspieler:innen werden auf den Theaterbühnen nach wie vor häufig nur für stereotypisierte Rollen gebucht. Es gibt weiterhin zu wenig Gegenbeispiele. Selbst bei den positiven, vorbildhaften Darstellungen auf der Bühne, sind die Arbeitsbedingungen hinter den Kulissen oft grausam. Sich dann als Schwarze:r Schauspieler:in an die Öffentlichkeit zu wenden, geht mit der Angst einher, für keine Rollen mehr gebucht zu werden. Um etwas in der Theaterszene zu verändern, ist es daher enorm wichtig, dass sich (vor allem auch weiße) Personen mit jenen solidarisieren, die von Rassismuserfahrungen berichten.

„Schluss mit dem Theater“

In Ron Iyamus Fall solidarisierte sich das 22köpfige Ensemble des Stücks „Afrokultur“ und der Veranstaltungsreihe „M(a)y Sister“, angeleitet von der promovierten Soziologin, Kommunikationswissenschaftlerin, Autorin und Regisseurin Dr. Natasha A. Kelly. Beide Inszenierungen waren im Mai als Koproduktionen mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen und dem Düsseldorfer Schauspielhaus geplant. In einem offenen Brief fordern die 22 Schwarzen Theatermacher:innen und Theatermacher:innen of Color eine lückenlose Aufklärung. Sie betonen, dass der Fall am Düsseldorfer Schauspielhaus kein Einzelfall ist und sich grundlegend etwas an den Strukturen in den Theatern ändern muss. Das Ensemble startete daher die Petition „Schluss mit dem Theater“ und rief zur Unterschriftensammlung auf. In einem offenen Brief fordert das Ensemble langfristige Veränderungsmaßnahmen. Sie insistieren auf eine vom Schauspielhaus unabhängige, selbstorganisierte freie Bühne als aktive Möglichkeit, sich dem institutionellen Rassismus zu entziehen. „Schluss mit dem Theater“ ist somit alles andere als das Ende des Theaters – es könnte der Anfang eines neuen Theaters sein, eines bei dem Diskriminierungen nicht mehr im Programm stehen.

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Josephine Papke

Jahrgang 1994, freie Autorin, ihr Schwerpunkt: Intersektionen von Queerness, BIPoC Identitäten und (Pop-)Kultur. Sie schreibt u.a. für das Missy Magazine und arbeitet für die Neuen deutschen Medienmacher*innen. Wenn sie im Theater-und Filmwissenschaftsstudium nicht gerade über Kultur schreibt oder als Poetin publiziert und auftritt, steht sie ab und an auch mal selbst als Performerin auf der Theaterbühne.

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