Mehr als ein Szenetreffen?
Welches Ziel haben Theateraufführungen? Unterhalten, Missstände in der Gesellschaft reflektieren, berühren? Was zählt, ist nicht nur das, was und wer auf der Bühne spielt, sondern auch, wer im Publikum sitzen darf und kann. Zugang zu Kultur hängt immer noch zu stark von Bildung, sozialem und kulturellem Hintergrund ab. Denn weder kann sich jede_r ein Ticket für einen Platz im Theater leisten noch hat jede_r die Zeit, einen Abend zu opfern – für viele kollidiert das mit Alltagspflichten, Nebenjobs, Kindern oder Care-Arbeit.
Eine weitere Herausforderung: die Codes kennenlernen, die Sprache des Theaters. Was für die einen Selbstverständlichkeit ist, weil die Eltern oder Bekannte selbst Theatergänger_innen sind, ist für andere eine neue Welt, in der sie sich erstmal zurechtfinden müssen. Darf ich während der Aufführung aufs Klo? Reicht eine Jeans oder ist das zu leger? Kann ich gehen, wenn es mir nicht gefällt? Muss ich meine Jacke an der Garderobe abgeben, oder darf ich sie unter den Sitz stopfen? Sollte ich mich als Arbeiter_innenkind, das nicht mit Theater, sondern mit Privatsendern aufgewachsen ist, klein und ungebildet fühlen, weil ich vor meinem Theaterwissenschaftsstudium noch nie von „Warten auf Godot“ oder Castorf gehört hatte?
Darf ich was schlecht finden? Langweilig? Übertrieben? Verstehen die anderen auch nur die Hälfte von dem, was sie da gerade auf der Bühne gesehen haben, oder geht es nur mir so? Früher habe ich direkt den Fehler bei mir gefunden: ich weiß zu wenig, ich habe mich zu wenig informiert, ich bin kulturell ungebildet. Heute weiß ich: Viele verstecken ihre Unsicherheiten nur besser, wissen aber nicht mehr. Und selbst wenn: Theater sollte ein Ort des Austausches sein, der Kollisionen, des Lernens – ein urteilsfreier Raum, der alle Interessierten einlädt, an ihm teilzuhaben, auf allen Ebenen. Mal sehen, wie das diesjährige Theatertreffen das umsetzt.