Wer darf rein?

Mehr als ein Szenetreffen?

Welches Ziel haben Theateraufführungen? Unterhalten, Missstände in der Gesellschaft reflektieren, berühren? Was zählt, ist nicht nur das, was und wer auf der Bühne spielt, sondern auch, wer im Publikum sitzen darf und kann. Zugang zu Kultur hängt immer noch zu stark von Bildung, sozialem und kulturellem Hintergrund ab. Denn weder kann sich jede_r ein Ticket für einen Platz im Theater leisten noch hat jede_r die Zeit, einen Abend zu opfern – für viele kollidiert das mit Alltagspflichten, Nebenjobs, Kindern oder Care-Arbeit.  

Eine weitere Herausforderung: die Codes kennenlernen, die Sprache des Theaters. Was für die einen Selbstverständlichkeit ist, weil die Eltern oder Bekannte selbst Theatergänger_innen sind, ist für andere eine neue Welt, in der sie sich erstmal zurechtfinden müssen. Darf ich während der Aufführung aufs Klo? Reicht eine Jeans oder ist das zu leger? Kann ich gehen, wenn es mir nicht gefällt? Muss ich meine Jacke an der Garderobe abgeben, oder darf ich sie unter den Sitz stopfen? Sollte ich mich als Arbeiter_innenkind, das nicht mit Theater, sondern mit Privatsendern aufgewachsen ist, klein und ungebildet fühlen, weil ich vor meinem Theaterwissenschaftsstudium noch nie von „Warten auf Godot“ oder Castorf gehört hatte? 

Darf ich was schlecht finden? Langweilig? Übertrieben? Verstehen die anderen auch nur die Hälfte von dem, was sie da gerade auf der Bühne gesehen haben, oder geht es nur mir so? Früher habe ich direkt den Fehler bei mir gefunden: ich weiß zu wenig, ich habe mich zu wenig informiert, ich bin kulturell ungebildet. Heute weiß ich: Viele verstecken ihre Unsicherheiten nur besser, wissen aber nicht mehr. Und selbst wenn: Theater sollte ein Ort des Austausches sein, der Kollisionen, des Lernens – ein urteilsfreier Raum, der alle Interessierten einlädt, an ihm teilzuhaben, auf allen Ebenen. Mal sehen, wie das diesjährige Theatertreffen das umsetzt.

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Klaudia Lagozinski

Klaudia Lagozinski, Jahrgang 1994, spricht an den meisten Tagen drei Sprachen, liebt das Reisen und mag das Schreiben. Sie arbeitet als Nachrichtenchefin für taz.de und als freie Kulturjournalistin. Vor wenigen Jahren rutschte sie in ein Dasein als Digital Nomad ab und fühlt sich seitdem in dieser Rolle ziemlich wohl. Zuhause ist für sie kein Ort, sondern ein Gefühl Sie studierte Sozial- und Kulturanthropologie, Theater und Kulturjournalismus in Berlin und ging während dieser Zeit häufig ins Theater. Außerdem studierte sie in Uppsala, Schweden, und verbrachte dort viel Zeit in Wäldern und am Lagerfeuer.
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Klaudia Lagozinski, born in 1994, speaks three languages most days, loves to travel and enjoys writing. She works at the news desk for taz.de and as a freelance culture journalist. A few years ago, she slipped into an existence as a digital nomad and has felt quite comfortable in this role ever since. For her, home is not a place, but a feeling. She studied social and Cultural Anthropology, Theatre and Cultural Journalism in Berlin and was a frequent theatregoer. She also studied in Uppsala, Sweden, and spent a lot of time there in forests and around campfires.

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