Die Debatte ums „postmigrantische Theater“ wirft Fragen auf. Vor allem die Frage, was die Diskussion überhaupt bringt. Und was sie über diejenigen aussagt, die sie führen.
Wie migrantenfreundlich sind eigentlich die Berliner Festspiele? „Nee, türkisch sprech ich nich“, sagt Nachtpförtner Georg Mikulla, „das wird hier nich gebraucht.“ Die Anzahl Frauen mit Kopftuch im tt-Publikum ist pro Abend im Schnitt gleich Null, an der Kasse kann man seine Tickets nicht mit Dirham zahlen, und die Hausordnung ist auf trockenem Deutsch – und ausschließlich auf Deutsch – verfasst. Am Büfett in der Kassenhalle steht aber neben einem Turm gutdeutscher Leitkultur-Brezeln und Leitkultur-Kartoffelsalat eine Schüssel Couscous. Immerhin.
Aber statt subjektiver Eindrücke hier lieber die offiziellen Zahlen: Im Berliner Festspielhaus haben zurzeit 15 von 88 Beschäftigten „Migrationshintergrund“, vom temporären Büffet-Mitarbeiter über den Maskenbildner bis zur Projektassistentin. Genauere Auskünfte gibt es aus „Personenschutzgründen“ nicht – natürlich, die Herkunft kann gegen einen verwendet werden. Doch die Personalabteilung engagiert sich: Man hat eine Arbeitsgruppe zum Thema, bespricht es häufig intern und bevorzugt „migrantische Bewerbungen“. Das ist alles so wunderbar politisch korrekt, dass es fast weh tut.
An dieser Stelle muss ein Aufschrei kommen: Politisch korrekt darf alles sein – aber nie, nie, nie das Theater! Trotzdem diskutiert seit Beginn der Debatte ums „postmigrantische Theater“ die Theaterwelt (nicht ganz uneigennützig) landauf, landab, wie man die Institution auch für „M+Ms“, so genannte „Menschen mit Migrationshintergrund„, öffnen könnte. Doch Döner-Häppchen am Premierenfeier-Büfett, in allen Sprachen der UNO übertitelte Theaterstücke, eine arabisch sprechende Pförtnerin, Migrantensitzplätze im Theater analog zu den Frauensitzen im Bus – ist es das, was wir wirklich wollen?
„Schwellen abbauen“ kann weder kulturelle Gleichschaltung noch einen exotischen Multikulti-Streichelzoo mit schön in Gehege abgetrennten Kulturen meinen. Quote, Gleichberechtigung („Alle(s) gleichmachen!“) und Betonung der Differenz („Es leben die Unterschiede!“) waren schon die unterschiedlichen und unterschiedlich erfolgreichen Strategien des Feminismus. Und spätestens jetzt fällt auf, dass die Frage, warum denn eine Frau den Faust spielt, heute nicht mehr für heiße Köpfe sorgt. Vielleicht ist das Theater deswegen so dankbar für die neue Debatte. Vor allem aber ist es dankbar für die Gelder, die sich mit Integrationssoziointermultikulturprojekten locker locker machen lassen.
Bringt denn die Diskussion um das postmigrantische Theater wirklich irgendjemandem etwas außer dem Ballhaus Naunynstrasse? Und dieses öffnet die Türen im Moment eher für die weltweite Kulturschickeria als für die Neuköllner Unterschicht. Regisseure wie Nurkan Erpulat oder Fatih Akin wollen vielleicht auch mal lieber den „Kirschgarten“ und nicht immer nur den Clash (of Civilizations) inszenieren, und wenn es denn mal ein Schauspieler „mit Hintergrund“ in die Schauspielschule und von da sogar in ein Ensemble (!) schafft, ist und bleibt er „der Türke“.
Apropos: Was wird eigentlich erzählt, wenn ein Türke den Faust spielt? Man kann damit im Sinne von „Wir sind eine derart offene Gesellschaft, dass sogar ein Türke den Faust spielen kann“ ein Loblied auf sich selber singen oder mit „Goethes Text ist so universell, dass er sogar in anderen Kulturkreisen lesbar ist“ auf die Allgemeingültigkeit der deutschen Leitkultur zielen. Aber vereinfacht das wirklich unser Zusammenleben – worum es schließlich geht?
„Postmigration“ könnte auch etwas anderes meinen als „Theater für eine zweite und dritte Generation mit Migrationshintergrund“, nämlich den Zustand, wenn Migration kein Thema mehr, die kulturoffene Gesellschaft realisiert ist. Spätestens dann braucht das Theater aber eine neue Debatte. Vielleicht zur Frage, warum Hunde im Theater nicht gleichberechtigt sind. Und warum das keiner sieht.