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“Wie finden Sie diesen Teil des Stücks aus der Sicht eines deutschen Publikums?”, fragte der niederländische Regisseur mich beim Publikumsnachgespräch. “Ich bin kein deutsches, aber ich bin ein jüdisches Publikum”, entgegnete ich ihm nahezu ohne nachzudenken. Eine konfrontative Stille breitet sich im Raum aus – der Regisseur ist perplex. Ich saß zum Glück in der ersten Reihe, sodass sich nach meiner Aussage niemand zu mir umdrehen konnte, um das Gesicht der gerade frisch geouteten Jüdin zu betrachten. Wer hätte es gedacht, aber es ist immer noch nicht ganz ungefährlich, in Deutschland seine jüdische Identität preiszugeben – sogar nicht als säkulare, also nichtreligiöse jüdische Person. Überhaupt scheint hierzulande irgendwie alles fragwürdig zu sein, was nicht christlich und weiß ist und akzentfrei Deutsch spricht.
Als ich als Kind einmal sagte, dass ich jüdische Vorfahren habe, bekam ich ein betroffenes “Oh, das tut mir Leid” zu hören.
Da in Deutschland gerne über und nicht mit jüdischen Menschen gesprochen wird, werde ich zu einigen der diesjährigen geladenen “bemerkenswerten” Produktionen des Theatertreffens aus ebendieser Perspektive Stellung nehmen.
Das Ensemble von “Der Bus nach Dachau” reiste als Koproduktion des Schauspielhauses Bochum und des Internationaal Theater Amsterdam an und bot einen sehr vielfältigen Theaterabend. Und damit meine ich nicht nur das Geschehen auf der Bühne. Denn was auf der Bühne zu sehen war, war unterhaltsam, mutig und lehrreich – vor allem für ein primär deutsches Publikum.
Im Stück wurden viele, oft rhetorische Fragen gestellt, die ich vorher noch nie gehört habe. Besonders ergriff mich die Frage danach, ob die Shoah heutzutage als fiktive Erzählung wohl mehr Wirkung hätte als ein realer Teil der Geschichte. Oder warum sich viele Filmproduktionen in Richtung Opferdarstellung der damals lebenden Deutschen bewegen und wie man dieser “Erinnerungsvergewaltigung” entfliehen kann.
Beim Nachgespräch jedoch wurden Nachfragen zur Zusammenarbeit mit lebenden jüdischen Stimmen konsequent ausgewichen. Der gerade zeitgenössischen Relevanz des gesamten Themas (das Stück gibt sich den Titel eines “21st Century Erinnerungsstück”) bei steigendem Antisemitismus in Deutschland wurde somit die Bühne genommen. Stattdessen wurde betont, dass es in der Produktion “Der Bus nach Dachau” gar nicht um jüdische Gefangene geht, da es “in Dachau ja gar keine Jüd*innen gab”, sondern “nur” politische Inhaftierte. Spoiler: Das stimmt überhaupt nicht. Es gab sie. Und mal angenommen, es ginge in dem Stück wirklich nicht um die jüdischen Opfer der Shoah, stellt sich im Nachgang doch noch eine Frage: Wieso, auch wenn zur Verfremdung nur auf Niederländisch mit nazideutschen (in Frakturschrift) Übertiteln wurden dann spezifisch antisemitische Begrifflichkeiten auf der Bühne reproduziert?
Während es in “Der Bus nach Dachau” um Fragen der Erinnerungskultur geht, gab es unter den Darbietungen des Theatertreffens 2023 ein weiteres Stück, das sich in der Faschismusthematik einreiht. Lucia Bihlers und Alexander Kerlins “Die Eingeborenen von Maria Blut”, welches vom Burgtheater Wien inszeniert wurde, war ein interessanter Einblick hinter die Kulissen der Entstehung antisemitischer Strukturen in einer Gemeinschaft – allerdings mit sehr viel klassischem Charakter und ohne wirklichem politischen Statement (außer der Hakenkreuze und Hitlergrüße natürlich) – ein auch aktuell sehr vorherrschendes Problem.
Die politischen Zugänge der meisten eingeladenen Inszenierungen sind generell etwas flach. Ich persönlich hätte mir aus Perspektive des Theatertreffens zum 60. Geburtstag definitiv etwas anderes gewünscht.
Ich wünsche mir in Zukunft tiefgründigere Diskurse über dieses Thema in der ach so diskussionsfreudigen Theatergesellschaft. Warum wurden diese Stücke zum diesjährigen Theatertreffen eingeladen, wenn der Elefant mit dem Namen Antisemitismus im Raum konsequent ignoriert wird? Außerdem: Dialoge mit jüdischen Menschen stattfinden lassen und nicht über sie. Denn ja, es gibt sie – uns.
P. S. Der Elefant hat natürlich noch viele andere Namen, nur dass das nicht vergessen wird.