Unser Autor verbringt den Beginn des Theatertreffens in echter Quarantäne auf dem Land und fühlt sich noch sehr weit weg von Wilmersdorf. Impressionen vom Theater aus der Ferne und von Alexander Giesches Visual Poem als Parabel auf das diesjährige Treffen.
Frank Castorf gibt Tipps zur Seuchenbekämpfung, die Ensembles präsentieren ihre heimischen Bücherregale und das Feuilleton scheint nur noch das Thema Streaming zu kennen, das es mit beachtlichem Elan rauf und runter exerziert. Kurz: Es beschäftigt sich die Theaterwelt so ziemlich mit allem außer mit dem, was sich sonst jeder im Metier mindestens zur Lebensaufgabe, wenn nicht zum einzigen Zweck zu machen hat: Theater. Damit ist die Szene – vielleicht zum ersten Mal – auf einer Wellenlänge mit dem Rest der Welt.
Der Rest der Welt, das ist zum Beispiel die kleine Hütte, ein ehemaliger Hühnerstall, in die ich mich als Rückkehrer, zur Abschottung verpflichtet, zurückgezogen habe. Die drängendsten Fragen in der Gegend betreffen die dreijährige Trockenheit und die viele Arbeit auf den Feldern. Ab und zu muht eine Kuh, was der Städter anfangs leicht mit dem Vibrieren seines Telefons verwechseln kann. Alle paar Tage kommt ein verirrtes Huhn zu Besuch. Insofern teile ich vielleicht sogar derzeit das Ambiente mit einigen der üblichen Theatertreffen-Besucher; zumindest, wenn sich deren Sommerresidenzen noch in Brandenburg und nicht in Mecklenburg-Vorpommern befinden. Ist das also die Demokratisierung des Theaters, von der alle sprechen?
Das Theatertreffen beginnt in lärmender Ruhe. Theater erscheint plötzlich als etwas vollkommen Abstraktes.
Alle bleiben zuhause. Das Volk trifft sich wohl statt am Ku’Damm am Feldrand, nickt und eilt weiter. Das Volk habe ich lange nicht gesehen, irgendwo dort draußen wird es aber sicher sein und wirft tatsächlich von Zeit zu Zeit seinen Schatten auf die Foren, lässt seine Präsenz spüren, wenn es als Icon in Live-Chats erscheint, durchbricht im Ferngespräch das weiße Rauschen der Isolation. Festival-Stimmung hat sich noch nicht so ganz eingestellt, das Theatertreffen beginnt in lärmender Ruhe. Theater erscheint plötzlich als etwas vollkommen Abstraktes. Was bleibt, wenn ästhetische Erfahrung auf 16:9 zusammenschrumpft, Theater seiner Spontanität und Suggestion beraubt ist?
Draußen jetzt „Regen als Schraffur vor dem Dunkel der nächsten Tanne“. Auf seine Weise ist Der Mensch erscheint im Holozän paradigmatisch für dieses Theatertreffen geworden. Verloren in der Isolation, jeder für sich und im eigenen Kopf. Die Trance der Gleichförmigkeit und der Ohnmacht. Schade nur, dass Alexander Giesches Inszenierung nicht gezeigt werden kann. Da heißt es: „Romane eignen sich in diesen Tagen überhaupt nicht, da geht es um Menschen in ihrem Verhältnis zu sich und zu anderen … und um Gesellschaft usw., als sei das Gelände dafür gesichert.“ Das mag auch für das Theater gelten; vielleicht aber lässt sich ja in den kommenden Tagen etwas von dem Gelände sichern, wieder ein Bild zusammensetzen. Dann könnten sich alle endlich auch mal wieder mit Theater beschäftigen.