Im Wechselspiel

Interaktion ist das Theater-Zauberwort der Stunde. Alle wollen, sollen, müssen mitmachen. Unsere Autorin ist theaterliebende Gamerin und fühlt sich als Zuschauerin nun endlich nicht mehr überflüssig.

Interaktion ist das Theater-Zauberwort der Stunde. Alle wollen, sollen, müssen mitmachen. Unsere Autorin ist theaterliebende Gamerin und fühlt sich als Zuschauerin nun endlich nicht mehr überflüssig.

Zwischenmenschlichkeit ist Austausch. Theater auch. Was von der Bühne wahrgenommen wird, führt im besten Fall zu Reaktion und Reflexion – da wird was angestoßen, man wird bewegt, ist gerührt. Während klassische Formate dafür oft auf Dichtkunst und Referenzen setzen, wählen andere aktive Partizipation. Interaktive Formate haben sich längst große Bühnen erspielt (wie bspw. Gob Squad, die auch dieses Jahr mit einer Produktion beim Theatertreffen eingeladen sind) – und alle finden es geil.

Jubeln, weinen, helfen

Auch die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte bestätigt dem Theater eine Wechselwirkung zwischen Spieler*innen und Besucher*innen. Durch die stetige Feedbackschleife zwischen allen Partizipierenden entsteht das Ereignis Aufführung – auch bei klassischen Inszenierungen. Gob Squad und Co kitzeln den partizipativen Teil der Kunst besonders hervor. Das Interaktionsversprechen schmeckt heute, alleine vor dem Laptop sitzend, besonders süß. Ist ein Klima der Interaktivität die Zukunft des Theaters?

Auch „Twitch“ ist kein Paradies und kämpft, wie alle sozialen Netzwerke, mit Vollidot*innen.

Bei Gob Squads „Show Me A Good Time“ heißt diese Interaktivität Begegnung und Improvisation im direkten Austausch mit Fremden – je nachdem, was der*die Spieler*in im leeren Theatersaal gerade braucht. Das erinnert an die Gaming-Plattform „Twitch“: Hier öffnen Gamer*innen durch die Chatfunktion neben ihrem Videospielstream einen Interaktionsraum, in dem gejubelt, geweint und geholfen wird – je nachdem, was der*die Gamer*in benötigt, um in der virtuellen Welt des Spiels zu überleben. Kann oder soll das Theater von solchen Praktiken lernen? Ja, denn prinzipiell sind offene Türen und Mitspracherecht Dinge, die Kunst und ihre Diskurse beflügeln. Auch „Twitch“ ist kein Paradies und kämpft, wie alle sozialen Netzwerke, mit Vollidot*innen. Aber insbesondere zurzeit, wenn soziale Interaktionen aus guten Gründen minimiert werden, sollten Zugänge geschaffen und digitale Interaktivität gelernt werden.

Dem gestreamten „Hamlet“ bin ich egal

Die Grenze zwischen Videospiel und Theater ist heute, dank alternativloser Digitalität, sowieso schwammig. Auch der*die Gamer*in sitzt meist alleine vor dem Bildschirm, setzt sich einer anderen Welt aus, muss ausharren, denken, kämpfen und wird immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Aber im Gegensatz zu den meisten digitalen Theaterinszenierungen ist der*die Gamer*in unersetzlich in das Spiel integriert: er*sie entscheidet, welche Knöpfe in welcher Reihenfolge gedrückt werden und spielt mit den so produzierten Konsequenzen. Ohne agierende*n Gamer*in passiert nichts. Im aufgezeichneten Stream einer „Hamlet“-Aufführung aber merkt niemand, wenn ich den Laptop zuklappe. Schade.

Vielleicht ist es eine Wirkungssucht, die da jammert, aber ich wünsche mir als Zuschauer*in, nicht egal zu sein. In digitalisierten Aufführungen fehlt mir der zwischenmenschliche Austausch, die räumliche Ko-Präsenz, die Interaktion. Dass das Theater von Videospielen lernen könnte, ist ein strahlender Ausblick.

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Sarah Kailuweit

Jahrgang 1994, hat Theaterwissenschaft und Philosophie studiert und steckt in den letzten Zügen ihres Masterstudiums Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin. Sie arbeitet als freie Autorin, u. a. für das Missy Magazine, liebäugelt mit einer Karriere im Radio und entdeckt aktuell die Welt der Computerspiele.

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