„Klassiker sind mir total egal“

Sein Auftritt in "Am Königsweg" versetzte die Kritik in Verzückung: Der Performer Benny Claessens hat die Fähigkeit, Theaterabende zu verwandeln. Ein Gespräch über dumme Schauspieler, Rollenklischees und jemenitischen Girl Pop.

Sein Auftritt in „Am Königsweg“ versetzte die Kritik in Verzückung: Der Performer Benny Claessens hat die Fähigkeit, Theaterabende zu verwandeln. Ein Gespräch über dumme Schauspieler, Rollenklischees und jemenitischen Girl Pop.

Eva Biringer

Eva Biringer, geboren 1989 in Albstadt-Ebingen, studierte Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft in Berlin und Wien. Nach Hospitanzen bei der Zeit, dem Standard und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung lebt sie in Berlin und schreibt unter anderem für Nachtkritik.

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Manchen gilt er als jene Diva, die dem deutschen Theater fehlt. Dafür spricht, dass Benny Claessens sich nicht binden mag, weder an ein Haus noch an einen Regisseur, und gerne seinen Kopf mit den kinnlangen, blonden Haaren durchsetzt. An diesem Kopf hängt ein Körper, über den das Feuilleton noch lieber debattiert als seinen Akzent. Letzterer erklärt sich damit, dass Claessens 1981 in Antwerpen geboren wurde. Nach einem abgebrochenen Musik- und einem abgeschlossenen Schauspielstudium gründete er die freie Gruppe Eisbär, spielte in Fernsehserien, Kurzfilmen und an diversen Theatern. Am NTGent war er Ensemblemitglied, ebenso an den Münchner Kammerspielen unter der Intendanz von Johan Simons.

Treffpunkt des Gesprächs ist ein queeres Café unweit des Kottbusser Tors in Berlin, wo er seit einigen Monaten wohnt. Claessen raucht blaue Gauloises und trägt schwarz, unter anderem eine Lederhose. Ein paar Tische weiter sitzen befreundete Künstler, bei denen er sich von Zeit zu Zeit Weißwein nachschenkt. Manche Sätze beendet der 36-Jährige mit einem kehligen Divenlachen, zum Beispiel diesen: „Ich lasse mich nicht mehr von Regisseuren manipulieren.“ Auch nicht von Journalisten, die in seiner belgischen Heimat vor allem auf „Tratsch im Treppenhaus“ aus seien.  

Eva Biringer: Du sprichst nicht gerne über Privates, aber ich kann nicht anders… Was steht auf Deinem Unterarm?

Benny Claessens: Da steht Body. Als ich beim von mir sehr geschätzten Regisseur Jan Decorte den Dionysos gespielt habe, war ich nackt, mit diesem Wort als Schriftzug auf meinem Rücken. Einen Tag, bevor ich nach München gezogen bin, habe ich mir als Erinnerung daran diese Tätowierung stechen lassen. Leider ist das y spiegelverkehrt. Ich behaupte gerne, das sei Absicht.

Biringer: Das Thema Körperlichkeit wirst Du einfach nicht los. Nervt das nicht?

Claessens: Ach, man kann es den Leuten sowieso nicht rechtmachen. Als ich in Belgien mit Theaterspielen begonnen habe, hieß es „Dein Körper gehört nicht auf eine Bühne.“ Auch in München kamen die Zuschauer mit mir nicht klar. Bei der Premiere von „Ruf der Wildnis“ hatten sie Mitleid, weil ich meinen nackten Hintern zeigen musste, dabei habe ich es freiwillig getan. Dann fanden sie mich zu dick, zu schwul und meine Aussprache unverständlich, also habe ich so lange Deutschunterricht genommen, bis ich besser sprach als ein Muttersprachler. Daraufhin vermissten sie meinen exotischen Akzent. Neulich hat dann jemand über mich geschrieben, ich spiele zu „claessens-haft“.

„Meiner Meinung nach sind neunzig Prozent der Mitglieder eines Stadttheaterensembles keine denkenden Menschen. Kein Wunder, schließlich werden die hauptsächlich nach ihrer Optik ausgewählt.“

Biringer: In der Süddeutschen Zeitung beschrieb Dich Egbert Tholl als „poetisches Nilpferd, grazil wie eine Fee, ein gutmütiges Reittier, so agil wie ein Derwisch“. Wie verkraftet man so etwas?

Claessens: Ich versuche, so zu spielen wie Nina Simone 1976 beim Montreux Jazz Festival gesungen hat. Sie war total stoned, mit einer Verletzbarkeit, die man sich erst mal erlauben muss. In München, dieser Scheißstadt, half für mich nur noch Manipulation. Ihr wollt Klassiker? Fuck you, dachte ich, dann spiele ich Onkel Wanja eben mit Tränen in den Augen, was beim Publikum gut ankam. Dabei sind mir Klassiker total egal. Was hat Hamlet mit meinem Leben zu tun? Ein Typ, der jammert, weil sein Papi gestorben ist und sein Pimmel zu klein?

Nur gelegentlich klassisch-tragisch unterwegs: Benny Claessens in „O Death“ an den Münchner Kammerspielen 2013. Foto (c) Danny Willems

Biringer: Was nicht heißt, dass Du keine klassischen Rollen annimmst. Letztes Jahr zum Beispiel den Ödipus am Maxi Gorki Theater.

Claessens: Ja, weil Ersan Mondtag Regie geführt hat. Ich liebe seine Arbeit, bei ihm sind Schauspieler autonome Künstler. Ich kann durchaus mit Regisseuren arbeiten, deren Ästhetik nicht die meine ist; der eine muss da anfangen, wo der andere aufhört. Leider glauben viel zu viele Regisseure, alle Einfälle kämen von ihnen. Wenn ich sie frage, ob sie noch alle Tassen im Schrank haben, verdrehen sie die Augen und sagen: „Du bist wieder schwierig“, worauf ich antworte: „Ja, weil ich die besseren Bücher gelesen habe.“ Für mich wird die Zusammenarbeit mit heterosexuellen, weißen Männern immer schwieriger. Am liebsten würde ich nur noch mit Frauen und Schwulen arbeiten. Auch mit einigen Kollegen habe ich Probleme. Meiner Meinung nach sind neunzig Prozent der Mitglieder eines Stadttheaterensembles keine denkenden Menschen. Kein Wunder, schließlich werden die hauptsächlich nach ihrer Optik ausgewählt. In den Spielzeitheften ist dann die Rede von Equality und Diversity. Was für ein Unsinn.  

Biringer: Erlaube mir noch eine private Frage: Hast Du als homosexueller Künstler Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht?

Claessens: Eine bestimmte Sorte Regisseur – eher die vorhergehende Generation – fragt mich nie für etwas Spezifisches an, sondern immer für eine bestimmte Art von Rolle, nämlich den queeren Künstler, den sie für ihre Agenda braucht. Für die ist die Vorstellung von mir als Schauspieler eine Zumutung. Auch als Regisseur muss ich mich immer erst mal mehr beweisen als ein heterosexueller Mann über vierzig. Ich will mir gar nicht ausmalen wie das für Frauen sein muss. Oder schwarze Frauen. Oder queere schwarze Frauen.

„Das angeblich innovative belgische Theater sieht aus wie eine Castorf-Inszenierung von 2001.“

Biringer: An Deine Anfangszeit als Schauspieler hast Du nicht nur angenehme Erinnerungen…

Claessens: Es war nicht alles schlecht, aber ja: Am NTGent waren regelrechte Nazis unter den Mitarbeitern, fremdenfeindlich, sexistisch. Als ich als Reaktion auf dieses Umfeld „Learning how to walk“ inszeniert habe, wurde ich rausgeschmissen. Ein süßes Stück, aber mit viereinhalb Stunden viel zu lang für die belgische Theaterszene. Über die heißt es ja immer, sie sei so frei. Für die Achtziger- und Neunzigerjahre trifft das sicher zu – denk an Jan Fabre, Jan Decorte und Luk Perceval – weil es damals keine Tradition gab, an die man anknüpfen konnte. Heute geht es vor allem um Sprache, um flämisch-nationalistischen Scheiß und Gastspiele in Holland. Das angeblich innovative belgische Theater sieht aus wie eine Castorf-Inszenierung von 2001.

Biringer: Stichwort Volksbühne…

Claessens: Ersan soll diese fucking Volksbühne übernehmen, dann hätte auch ich wieder Lust auf ein Ensemble.

Benny Claessens (vorne) als König Ödipus in „Ödipus und Antigone“ von Ersan Mondtag am Berliner Gorki Theater. Foto (c) Armin Smailovic

Biringer: Zum Schauspiel kamst Du erst nach einem abgebrochenen Musikstudium. Was ist passiert?

Claessens: Mein damaliger Klavierlehrer hatte winzige Finger und wollte, dass ich meine genauso benutze wie er. Irgendwann habe ich mich dem verweigert. Heute höre ich lieber Musik, als selbst welche zu machen. Gerade habe ich mein Kate-Bush- und Nine-Inch-Nails-Revival, außerdem stehe ich auf jemenitischen Girl Pop. Ich war aber auch nie so talentiert wie mein Halbbruder, der in Belgien ein bekannter Schlagersänger ist. Sein letztes Lied hieß auf Deutsch übersetzt „Dein Arsch ist so fett“.

Biringer: Kannst Du mir mehr über Deine Familie erzählen?

Claessens: Klassische flämisch-katholische Working Class. Sehr normal. Mein Vater malt Bilder von Schiffen, meine Mutter wäre gerne Sängerin geworden, aber so wirklich künstlerisch ging es bei uns nie zu. Trotzdem freuen sich meine Eltern über das, was ich tue. In der „Ödipus“-Inszenierung rufe ich während der Vorstellung meine Mama an, um ihr zu erzählen, wie es so läuft.

Biringer: In Belgien kennen Dich viele eher aus dem Fernsehen. Hierzulande sieht man die tollen Theaterschauspieler ja meistens im Tatort. Welche Rollen sind es bei Dir?

Claessens: Mit 17 habe ich einen Behinderten gespielt, später einen paranormal Begabten und irgendwelche Freaks. Ein paar arty Filme in Holland, auch Kommerzielles im Tatort-Stil. Aber Film, das ist nichts für mich. Frühes Aufstehen, Catering, dieser furchtbare Puder im Gesicht…

Biringer: Film also eher nicht, Hamlet auch nicht. In welchen Theaterrollen können wir Dich als nächstes sehen?

Claessens: Als Salomé und Bambi. Medea fände ich wahnsinnig spannend. Außerdem werde ich zwei Opern machen und wieder öfter selbst Regie führen…

Biringer: … wie zum Beispiel in München bei “Spectacular Lightshows of Which U Don’t See the Effect” und in „Hello Useless“, das am HAU gezeigt wurde. Hier in Berlin bist Du vielen wohl eher als Rudolph Moshammer in Erinnerung geblieben, zu sehen in Elfriede Jelineks „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“. Oder in Karin Henkels „Macbeth“, Deiner zweiten Einladung zum Theatertreffen. Jetzt bist Du zum dritten Mal beim Theatertreffen, im Rahmen der am Hamburger Schauspielhaus gezeigten Produktion „Am Königsweg“. Wie war die Zusammenarbeit mit Falk Richter, der offensichtlich keine Frau ist?

Claessens: Auch seine Ästhetik ist nicht die meine, aber es ist beeindruckend, wie er auf unglaublich intelligente Art einen Abend bauen kann. Falk kann mich als Störsender einsetzen, wobei ich entscheiden kann, wann ich störe. Es lohnt sich, seine Version von Elfriede Jelineks Gedanken anzuschauen. Oder ihren Nicht-Gedanken, je nachdem.

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Eva Biringer, geboren 1989 in Albstadt-Ebingen, studierte Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft in Berlin und Wien. Nach Hospitanzen bei der Zeit, dem Standard und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung lebt sie in Berlin und schreibt unter anderem für Nachtkritik.

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