… und Kunst und Kapital und Kunst und Kapital (und das Theatertreffen)
Mein Interesse bezüglich des diesjährigen Theatertreffens ist es, die gegenwärtige Tendenz und Ästhetik des Theaters im Kontext des Kapitalismus der bürgerlichen Gesellschaft zu reflektieren. Die Grundlage dazu bietet die materialistische Geschichtsauffassung gemäß der marxistischen Theorie. Ich gehe von der Annahme aus, dass ein Bewusstsein über die geschichtliche Entwicklung der Gesellschaft und die Versuche ihrer Befreiung von der Unterwerfung des Menschen unter den Menschen nötig ist, um das gegenwärtige Gesellschaftsstadium und den Kapitalismus zu fassen zu bekommen. Erst ein solches Geschichtsbewusstsein stößt uns auf die Einsicht, dass unsere Gegenwart als noch anhaltende Fortsetzung dieser Kontinuitätslinie zu begreifen ist. Marx und Engels goßen dies mit ihrem bekannten Ausspruch, dass die „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft […] die Geschichte von Klassenkämpfen“1 ist, in prominente Form.
Damit hebe ich auf ein dialektisches Kunstverständnis ab. Ich fasse Kunst als zugehörig zur Produktionssphäre der kapitalistischen Gesellschaft und daher als dem dialektischen Verhältnis von Arbeit und Kapital unterliegend. Daraus leitet sich für mich ab, dass jeder Versuch einer Kunstbetrachtung, der bei der Dualität von „systemkritisch“ einer- oder „affirmativ“ andererseits stehen bleibt, zu kurz greift, wenngleich das im populären Diskurs dominant erscheint. Ich möchte die Frage aufwerfen, ob sich Letzteres auf den Verdinglichungscharakter der bürgerlichen Gesellschaft, wie ihn uns Georg Lukács in Anschluss an Marx nahegebracht hat, zurückführen lässt. Die Gretchenfrage wäre also, inwiefern wir in der Gegenwart überhaupt imstande sind, über den Horizont der bürgerlichen Denkgewohnheiten hinauszusteigen und unsere Kunst tatsächlich kritisch zu reflektieren.
Der Wunsch das alles zu untersuchen und diesen Ansprüchen zu jeder Zeit gerecht zu werden ist sicherlich nicht gering, scheint mir für ein Ereignis wie das Berliner Theatertreffen jedoch gerade angemessen. Ich verstehe mein Vorhaben als ein Versuch und verweise auf das Zitat des Schriftstellers und Schauspielers Yaak Karsunke: „Es ist besser neue Fehler zu machen, als die alten bis zur allgemeinen Bewußtlosigkeit zu konstituieren.“2
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1 Marx/ Karl & Engels/Friedrich: Manifest der Kommunistischen Partei. Berlin 1969, S. 10.
2 Fassbinder / Rainer Werner (Regie): Katzelmacher. Deutschland, 1969.