Schiffbruch mit Nörgler*innen?
„Die meisten Theaterkritiker“, so hat es der Dramatiker Nis-Momme Stockmann im März bei einem Interview zu Protokoll gegeben, „sind Idioten.“ Beim Lesen hört man förmlich das Luftholen vor dem tödlichen Hieb: Idioten. Das sitzt tief und wird noch schlimmer durch den Nachsatz, dies gelte „nicht menschlich, sondern programmatisch und strukturell.“ Derart heftig ist dieser Zunft schon lange nicht mehr auf die Füße getreten worden. Stockmanns Furor zielt auf eine „geschmäcklerische“ und „bierlaunige“ Kritik, die ihr eigenes, dürftiges Handwerk nicht reflektiere und schließlich in nörgelndem Zynismus versinke. Am Ende steht: „Wir können keiner vom Aussterben bedrohten Kunstrichtung in die Transformation verhelfen, wenn wir sie öffentlich demontieren.“
Wer kritisch schreiben will, sollte sich die Stockmann’schen Anwürfe im einzelnen durchaus zu Herzen, seine Schlussfolgerung aber besser nicht zur Maxime nehmen. Denn Stockmann verfehlt das Wesen der Kritik, wenn er sie zur gemeinschaftlichen Therapie des vermeintlich siechen Theaterkörpers einspannen will. Die Kritik gewinnt das ihr Eigene hingegen nur dort, wo sie bereit ist, auch vermeintlich Unumstößliches im Modus von Argumentation und offener Reflexion zu hinterfragen. Die Liebe zum Theater und das Überzeugtsein von seiner fortdauernden Relevanz bilden da keine Ausnahme.
Produktive Ambivalenzen
Denn das Theater und seine Kritik sitzen zwar im selben, stark schwankenden Boot. Kritik muss jedoch bedeuten, auch im schweren Wellengang der immerzu ausgerufenen „Krise“ noch Fragen stellen, Grundsätzliches diskutieren und hart am Wind segeln zu wollen. Selbst auf die Gefahr hin, schließlich gemeinsam zu sinken. Wer stattdessen direkt zur Rettungsweste greift, verrät die Kritik an die Werbung und das Theater an den Ozean der Marktinteressen – auf dass es herausfische, wer immer es findet.
Deshalb ist es besonders, dass das Theatertreffen seit nun sieben Jahren mit dem Theatertreffen-Blog die kritische Reflexion über sich selbst öffentlich fördert. Für zweieinhalb Wochen werden die eingeladenen Blogger*innen so die produktive Ambivalenz aushalten dürfen, zwar mit „ins Boot“ und doch gleichzeitig auf Distanz gehen zu müssen. Wir wollen versuchen, dabei keine „Idiot*innen“ zu sein.
Janis El-Bira
Leitung Theatertreffen-Blog 2016
theatertreffen-blog[at]berlinerfestspiele.de
Die Redaktion
Andrea BergerJahrgang 1983, studiert Dramaturgie in München. Arbeitet als freie Produktionsdramaturgin und assistiert beim Münchner Festival RODEO 2016. Lebt in München. |
Judith Buss (Fotografie)
|
Xaver von CranachStudiert Literaturwissenschaft. Er schreibt u.a. für das Literaturkritik-Blog tausendmrd und Spike Art Magazine. |
Lily Kelting, Ph.D. (EXBERLINER)
|
Marlene KnoblochJahrgang 1994, studiert Deutsche Literatur und Medienwissenschaft in Berlin. Zuvor absolvierte sie ein FSJ Kultur an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und ist dort immer noch in der Jugendtheatergruppe P14 aktiv. Seit 2015 ist sie Stipendiatin der Journalistenausbildung der Passauer Neuen Presse. Lebt in Berlin. |
Falk RößlerGeboren 1983, studierte Europäische Medienwissenschaft in Potsdam und Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. Dort u.a. Gründungsmitglied der Theatergruppe Die Resilentes gemeinsam mit Eleonora Herder & Arne Köhler. Seit 2011 bildet er zusammen mit Stephan Dorn & Nele Stuhler die Gruppe FUX, deren Arbeiten an zahlreichen Theatern und Festivals gezeigt wurden. Ihre aktuelle Produktion „FUX GEWINNT“ setzt sich mit Gewinn- und Glücksspielen auseinander. Darüber hinaus arbeitet Falk Rößler als Regisseur, Musiker, Performer und Publizist. |
Theresa ThomasbergerJahrgang 1992, studiert Philosophie und Sprachkunst in Wien und verbringt zur Zeit ein Austauschjahr am Institut für Szenisches Schreiben an der UdK Berlin. Lebt in Wien und Berlin. |
Janis El-Bira (Leitung)
|
Jascha Fendel (Assistenz)
|
Prof. Dr. Dirk Pilz (Mentor)geboren 1972; promovierte in Literaturwissenschaft; Professor und akademischer Leiter am Masterstudiengang Kulturjournalismus, Universität der Künste / Berlin; Mitgründer und Redakteur von nachtkritik.de; Autor der Berliner Zeitung, daneben vor allem für die NZZ; war Redakteur im Feuilleton der Berliner Zeitung, der Frankfurter Rundschau und für Theater der Zeit. |
Viktor Nübel (Bloggestaltung & Umsetzung)
|