Burn, Barbie, burn!

Das letzte Theatertreffen-Wochenende stand im Zeichen der Konferenz "Burning Issues", die nach Bonn 2017 nun in Berlin gastierte. Eine wichtige Zusammenkunft zu Fragen der Geschlechtergerechtigkeit, deren Rahmung unsere Autorin allerdings stark zweifeln ließ.

Das letzte Theatertreffen-Wochenende stand im Zeichen der Konferenz „Burning Issues“, die nach Bonn 2017 nun in Berlin gastierte. Eine wichtige Zusammenkunft zu Fragen der Geschlechtergerechtigkeit, deren Rahmung unsere Autorin allerdings stark zweifeln ließ.

Die Konferenz zu Gender(un)gleichheit und Diversität ging damit los, dass eine lange Schlange von Menschen, die sich mit dem Begriff „Frau“ angesprochen fühlten, Jux-Kugelschreiber in Lippenstiftform und ein Namensschild in die Hände gedrückt bekamen. Auf dem Namensschild war außerdem eine Profession zu vermerken, also „was du hier so machst, im Theater.“ Es wurde eine Weile Sekt getrunken und herumgestanden. Dann bedankten sich die Initiatorinnen auf der Bühne im Garten des Festspielhauses eine Viertelstunde lang gegenseitig beieinander und bei uns Anwesenden. Es gab Reden zu hören. Zuvor waren für die kommende Stunde alle Männer vor die Tür gebeten worden – freilich mit Ausnahme der Techniker und Burger-Verkäufer.

Nach dieser Auftaktrunde wurde im oberen Foyer eine Compilation aus Kurzvideos gezeigt. Menschen aus dem Theaterbetrieb benannten ihren Wunsch nach Gleichstellung beziehungsweise ihr Ärgernis über die aktuellen Umstände. Die Videos, die als „30 Dirty Seconds“ geplant waren, fielen sehr unterschiedlich aus, sowohl, was die Flexibilität des Zeitrahmens, als auch den Inhalt betraf. Milo Rau beispielsweise verfünffachte direkt mal die Längenvorgabe, um von der Fortschrittlichkeit seines Ensembles in Sachen Diversität zu berichten. Nach der Filmvorführung startete die Eröffnungsparty. Tanzende, die nicht viel, außer ziemlich viel Glitzer und Gold auf der Haut trugen, wirbelten und wogten durch die herumstehenden Konferenzteilnehmer*innen.

„Ready to fuck?“

Der Hinweis wurde verstanden: Man traue sich Richtung Dancefloor, wo DJ Lars Eidinger schon voll auf seine Plattenspieler konzentriert war. Hinter ihm wurden Zitate auf die Leinwand gebeamt. „Ficken!“, lautete eins davon. Unter den zu 90 Prozent männlichen, zitierten Personen war auch der Modefotograf Terry Richardson. Auf dem Dancefloor groovte man jetzt also ausgerechnet unter den Zitaten eines Mannes, gegen den mehrere Models zuletzt den Vorwurf der sexuellen Belästigung erhoben hatten. Das war schon einigermaßen absurd. Vielleicht hätte man ja stattdessen auch Folgendes an die Wand beamen können: Ein Tortendiagramm, das zeigt, wie viele weibliche und wie viele männliche DJs es gibt, wie viel sie jeweils verdienen und wie oft sie engagiert werden. Oder man hätte gleich eine nicht-männliche DJ hinstellen können. Oder man hätte sich, wie es der erste komplett weibliche Regie-Jahrgang der Hochschule „Ernst Busch“ tat, mit Pappschildern hinter Lars Eidinger postieren können: „Komm ich für dich sexuell in Frage, Hase?“

Rede der Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei der „Burning Issues“-Konferenz. Foto (c) Eike Walkenhorst

Ob man die Schilder der Regisseurinnen nun als Guerilla oder als Partydeko lesen sollte, blieb fraglich, denn parallel schickte Lars Eidinger „Ready to fuck?“ auf die Leinwand. Was soll man auch parodieren, wenn sich die Realität schon selbst parodiert? Immerhin war die Party in sich stimmig – bis hin zur letzten, durchgestylten Klokabine, die von Porno-Stöhnen und rosa Licht geflutet war. Dass die Konferenz dem Feminismus Glamour verleihen wolle, hatte Mit-Organisatorin Nicola Bramkamp schon zuvor angekündigt: „Ein bisschen Glitzer und Glamour, das gehört natürlich auch dazu“, sagt sie im Deutschlandfunk.

An wen richtet sich die Lippenstift-Ästhetik?

Aber mal ehrlich: Wieso in Barbies Namen gehören Glitzer und Glamour dazu? Ich verstehe es wirklich nicht. Das würde doch niemand behaupten, wenn es um eine Konferenz männlicher Geburtshelfer ginge. Wieso gehört hier nicht zum Beispiel recyclebares Geschirr und Naturholz dazu? Oder Kakteen und Absinth? Oder Harry Potter und Currywurst? Die Unterstellung, eine große Versammlung von Frauen sei nicht vollständig und genießbar ohne Glitzer und Glamour, versetzt mich zurück in die Pubertät, wo man beim Geburtstags-Sleep-Over tun musste, als würde man sich gern die Nägel lackieren, weil man sonst kein echtes Girl war. An wen richtet sich die Lippenstift- und Glitzerästhetik des Events? An Teilnehmende, die sich gerne schminken und befürchten, deshalb unfeministisch genannt zu werden? Will man die rosa Ästhetik, die schon Mädchen im Kleinkindalter aufgezwungen wird, zurückerobern?

Vielleicht soll das ja ein Schachzug um zwei Ecken sein: Wir sehen jetzt so aus, wie die Frauenprodukte-Industrie uns immer einreden wollte, wie wir aussehen wollen – aber diesmal machen wir es freiwillig. Weil wir es wollen, nicht weil ihr es wollt. Hä? Nein, ich verstehe es nicht. Sind wir denn schon fertig damit, uns von Lippenstift und rosa Babystramplern erst mal frei zu kämpfen? Sind wir den Begriff „das schöne Geschlecht“ schon losgeworden? Haben wir die theaterbetriebliche Reduzierung aufs Äußere schon so weit hinter uns gelassen, dass wir jetzt ganz selbstbestimmt und humorvoll darauf zurückgreifen können? Aus Gesprächen mit Schauspiel- und Regiestudentinnen im Laufe des Festivals ergab sich jedenfalls Gegenteiliges. Ihnen werden nämlich noch immer Ratschläge ältester Art erteilt: „Zeig mal mehr deine weibliche, emotionale Seite.“

Feminismus als Branding

Oder geht es darum, Frauen, die sich selbst als solche wissen, aber um die bürokratische Anerkennung ihres Geschlechts kämpfen müssen, diese stereotypen, als feminin gelesenen optischen Codes als Mittel der Selbstbestimmung anzubieten? Das würde mich wundern, da Transfrauen im Programm der Konferenz sehr peripher auftauchten – zum Beispiel als winzig kleines, türkisfarbenes Tortenstück in einem Diagramm zur Diversität unter Regisseur*innen in der Spielzeit 2018/19. Eine Konferenz kann natürlich nur abbilden, was da ist und nur willkommen heißen, wer der Einladung folgt. Diversität scheint ein allgemeines Anliegen zu sein, war aber zumindest auf den Podien kaum sichtbar. Es dauert, bis eine Marginalisierung als solche benannt wird, bis eine Diskussion zu einer Quote führt und bis eine Quote die tatsächliche, physische Teilhabe vielleicht zu einer Selbstverständlichkeit macht. Irgendwo muss es aber anfangen. Warum also nicht bei einer Einladung?

Zeichen setzen: „Burning Issues“-Konferenz im Rahmen des Theatertreffens. Foto (c) Eike Walkenhorst

Ich bin mir allerdings unsicher, wie einladend die Rahmung dieser Konferenz auf Frauen wirkte, die nicht weiß oder mittelschichtig sind und deren Frau-sein gesellschaftlich angezweifelt wird. Wenn Nicola Bramkamp in dem Video, in dem sie zu Einsendungen von Beschwerden und Wünschen aufruft, zum Beispiel eine Anekdote erzählt, in der ihr Kostüme nicht passten, weil diese für „skinny“ Frauen statt für „normale“ Körper, wie den ihren, geschneidert sind, macht sie damit klar: Unser Feminismus lehnt sich gegen ein bestimmtes Schönheitsideal auf. Sicher fühlen sich viele Frauen, die mit dem verheerenden Schönheitsideal eines BMI unter 20 aufgewachsen sind, davon angesprochen. Aber das sind doch die, die im Dominanzraum unserer Kultur sowieso schon angesprochen werden! Das sind die Beschwerden, wie sie sich große Konzerne schon längst zunutze machen, um mit dem Branding „Feminismus“ Klamotten/Limo/Süßigkeiten/Körperlotion an „normale“ Frauen zu verkaufen, die Stolz auf ihren nicht-skinny Körper sind. Wenn wir aber einen solidarischen Feminismus vertreten wollen, der sich gegen alle Formen der Diskriminierung wehrt – gerade auch dann, wenn sie uns selbst nicht betreffen – müssen wir unsere Einladungen anders adressieren.

Ich will nicht „Vogue“ sein

„Everybody is Vogue – Jede*r kann Titelbild“ ist zum Beispiel ein Slogan, mit dem die Konferenz lockte, sich ein neues Businessfoto schießen zu lassen – und der wie selbstverständlich voraussetzte, dass man „Vogue“ kennt und sein will. Können wir nicht für feminismusinteressierte und diskriminierungskritische Theaterschaffende einen anderen kleinsten gemeinsamen Nenner finden? Mein persönliches Problem mit der „Vogue“ ist nicht, dass ich nicht auf ihrem Titelbild bin, sondern dass darin Sätze wie dieser stehen: „Eine der einfachsten Möglichkeiten, sich auch in der Schwangerschaft gepflegt und gut zu fühlen, ist, sich eine frische Maniküre zu gönnen.“

Und wenn eine Konferenz, die sich mit Gleichstellung befasst, uns unter dem Dach solcher Klischees versammeln will, dann wird das den vielen klugen Reden, die dort zu hören waren, überhaupt nicht gerecht. Der Inhalt immerhin sprengte das drumherum errichtete Barbie-Haus, Barbies Kopf kullerte förmlich über den Boden. Vielleicht wäre sie ja inzwischen auch froh über ihre eigene Abschaffung.

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Jorinde Minna Markert

In Berlin geboren, spielte lange in Film und Theater. Jetzt schreibt sie für letzteres und studiert in Hildesheim. Ihr Debüt „artgerechte haltung“ wurde am Schauspiel Hannover und Leipzig szenisch gelesen und ist derzeit für den Retzhofer Dramapreis 2019 nominiert.

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