Eiersuche im Festivalsalat

Im Mai wird Wilmersdorf zum Nabel der Theaterwelt. Unsere Autorin freut sich auf die Begegnung mit Fellmantel-Trägerinnen und Neuköllner Studentinnen zum großen Stühlerücken.

Im Mai wird Wilmersdorf zum Nabel der Theaterwelt. Unsere Autorin freut sich auf die Begegnung mit Fellmantel-Trägerinnen und Neuköllner Studentinnen zum großen Stühlerücken.

Einfach drauflos, das hatte ich mir vorgenommen. Erst mal keine Gedankenkonstrukte zur Verfassung oder Zukunft des Theaters, zu seiner Gegenwart, Zeitlosigkeit oder zu seinem wie auch immer gearteten Verhältnis zum Jetzt, Gestern und Morgen, die ich kurz darauf ohnehin wieder einreiße, weil immer dann, wenn ich über Theater schreiben möchte, gleich die großen Worte und das Überhaupt und das Eigentlich und das ganze Leben und die großen Fragen aufkreuzen möchten. Das also nicht. Daher stattdessen ein paar Gedanken im Kleinen, keine steilen Thesen, zusammengewürfelte Ideen wie in einem Rezept, das auch ganz anders aussehen könnte, eine salade niçoise mit Thunfisch und Tomaten zum Beispiel, wo vielleicht die Oliven vergessen wurden oder das Ei.

Zum Theater haben – wie übrigens auch zum genannten Salat – die meisten eine Meinung: wie es auszusehen und sich zu verhalten hat, wie es bitteschön auf keinen Fall werden darf, was die Höhe ist (und ihr Gegenteil), was man wirklich nicht mehr sehen kann, was man jetzt endlich mal zu sehen bekommen muss, wofür es höchste Zeit ist, immer Zeit und wofür die Zeit abgelaufen ist (in letzteren zwei Fällen können das, je nach Ansicht, alte weiße heterosexuelle Männer in Machtpositionen sein).

Sollte das Bemerkenswerte nicht auch das Nicht-zu-Erwartende sein? Alles muss eine gewisse Größe haben, um hier bestehen (oder „spannend scheitern“) zu dürfen.

Wie würde die Auswahl der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen dieses Jahr aussehen, gäbe es eine Begrenzung der möglichen Einladungen für Regisseur*innen? Was, wenn ‚Dauergäste‘ also nicht erlaubt wären? Bis auf ein Drittel der Produktionen wäre das Tableau dieses Jahr ein anderes. Und wie würde sie sich gestalten, wäre die Auswahl nicht auf den deutschsprachigen Raum begrenzt? Wo müsste dann überall nach neuen Stimmen gegraben werden? Auf einmal erscheint die Theaterwelt so weit und so anders! Die Streitbarkeit des Begriffs ‚bemerkenswert’ ist natürlich eine gewollte und soll hier nicht neu aufgerollt werden. Wenn im vergangenen Jahr als bemerkenswert gefeiert wurde, was im Jahr darauf als anderes Stück, andere Geschichte in einer starken, ähnlichen Handschrift und Ästhetik präsentiert wird – ist es dann so viel bemerkenswerter als etwas noch nie auf dieser Ebene Bemerktes? Sollte das Bemerkenswerte nicht auch das Nicht-zu-Erwartende sein? Alles muss eine gewisse Größe haben, um hier bestehen (oder „spannend scheitern“) zu dürfen: Das Theatertreffen ist ein Festival der alten Hasen, auch der Hasenältesten – aber nicht nur das. Wo finden sich die jungen Hüpfer?

Stühlerücken im Theater

Theater interessiert mich da, wo es die Stühle beiseiterückt, ob in den Köpfen oder im Zuschauerraum. Und dort, wo es seinen alten Mantel des Elitarismus ablegen kann. Ob die Auswahl diesen Jahres Interesse daran hat, sich umzukleiden? Das Theatertreffen kleidet sich insgesamt in Selbstkritik, in Form von Debatten und Beurteilungen von Institutionen und Strukturen: Das ist nicht bloß ein modisches Gewand, das ihm gut zu stehen scheint, sondern essentiell, um das Programm jenseits der Samtsessel zu erweitern. Die intensiv geführten Diskussionen über Genderungleichheit der letzten Jahre werden zur Grundlage für jegliche Debatten in der Konferenz Burning Issues. Beim Stückemarkt werden Black History und Feminismus, Flucht und Exil, Protest und Politik auf unmissverständlichste Weise nicht nur verhandelt, sondern deren Verhandlung eingefordert. TT Kontext wiederum erforscht verschiedene Zukünfte (Stadttheater, Republik, Politik) – deren grundlegende Aufgabe lauten könnte, sich diverser zu gestalten. Und im Internationalen Forum tummelt sich, wer die Relevanz von Theater heute erforschen möchte.

Ankerpunkt (nicht nur) der Damen im Fellmantel: Die Bornemann-Bar im Haus der Berliner Festspiele.

Ein Einreißen von Wänden und Polarisierungen zwischen Schauspiel und Performance, Stadt- und Off-Theater, Bühne und Zuschauerraum, Kunst und Politik wäre eine schöne Beschäftigung im Monat Mai. Wenn Wilmersdorf für kurze Zeit zur gefühlten Mitte der Welt mutiert, pilgern Damen im Fellmantel aus der Nachbarschaft, Neuköllner Student*innen und noch so einige Stereotypen eines Theaterpublikums ins Haus der Berliner Festspiele. Im Kreis meiner Freund*innen und Bekannten bewegt sich das Theatertreffen zwischen den Polen „krass cool“ und „was ist das nochmal?“. Es ist sicher gesund, sich vor allem letzteren Blickpunkt immer wieder in Erinnerung zu rufen – dann, wenn im Mai das Gefühl herrscht, das Jetzt, Gestern und Morgen spiele sich in Wilmersdorf (und nur dort!) ab und das Überhaupt und das Eigentliche des Lebens sei auf den Theaterbühnen (wo sonst?) zu entdecken. Vielleicht ist es das ja. Ob die verschiedenen Bretter dieses Jahres nun die Welt bedeuten, das weiß ich noch nicht. Ich hoffe auf einen Teil der Welt, wie groß er auch sein mag.

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Lili Hering

In Wien geboren, aufgewachsen, Theater erfahren. Während des Studiums in Berlin und Istanbul im Film- und Festivalbereich gearbeitet, unter anderem in Tanger, Berlin und Locarno, und nebenher geschrieben. Durch den Master in Kulturjournalismus verstärkt zum Schreiben und zurück zum Theater gefunden.

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