„Ein bisschen Lynch, ein bisschen Hitchcock.“ Gespräch mit dem Bühnenbildner Jens Kilian

Der 1958 geborene Bühnenbildner Jens Kilian ist mit seiner Arbeit in Karin Henkels Inszenierung „Die Ratten“ von Gerhart Hauptmann (Schauspiel Köln) zum Theatertreffen eingeladen. Die Premiere des Stücks fand im vergangenen Jahr nicht in einem klassischen Bühnenraum, sondern als erste Inszenierung in einer Messehalle der Expo XXI in Köln statt. Die Expo XXI wird wegen Sanierungen im Schauspielhaus die Ausweichspielstätte für die nächsten drei Jahre sein. Ich treffe Jens Kilian für ein kurzes Gespräch, bevor er wieder für die letzten Anpassungen auf die Bühne im Haus der Berliner Festspiele muss. Heute Abend ist Premiere im Rahmen des Theatertreffens.

Jens Kilian Foto: Mai Vendelbo

Jens Kilian im Gespräch mit Henrike Terheyden vor dem Haus der Berliner Festspiele.
Foto: Mai Vendelbo

Henrike Terheyden: Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, Bühnenbildner zu werden?
Jens Kilian: Bei mir war das relativ simpel, mein Vater ist Regisseur für den Film gewesen. Ich bin in der DDR in einer Siedlung aufgewachsen und mir war schnell klar, dass ich irgendwas machen werde, was den Film angeht. Und da ich vor der Kamera nicht so wahnsinnig begabt bin, dachte ich, dann gehe ich dahinter. Ein Nachbar von uns war ein großer Ausstatter bei der DEFA, und da habe ich dann mit vierzehn oder fünfzehn angefangen. Ich wollte eigentlich nie zum Theater. Es hat mich zunächst nicht so interessiert, aber es gab in der DDR nur Szenographie für Bühne, Film und Fernsehen. Dann habe ich angefangen mich mit dem Bühnenbild auseinanderzusetzen und habe Feuer gefangen.

Das Internet hat mir verraten, dass deine Diplomarbeit 1984 verboten wurde?
Ach, du meine Güte! Naja, ich habe an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee studiert, und da gab es immer einen praktischen und einen theoretischen Teil. Und die praktische Arbeit ist aus politischen Gründen verboten worden. Wir wollten das ganze Haus inklusive Keller bespielen und zwar mit „Bezahlt wird nicht“ von Dario Fo, der „Zoogeschichte“ von Edward Albee und noch einer anderen Sache, und das wollten wir dann alles miteinander verflechten und das war „den Leuten“ dann zu viel. Das war zu subversiv, zu vehement, und dann ist es verboten worden.

Hat dann der Fall der Mauer deine Arbeit beeinflusst?
Nein. Ich bin schon 1986 aus familiären Gründen in den Westen gegangen und habe an der Deutschen Oper Berlin als Assistent angefangen.

Wie unterscheidet sich das Arbeiten für die Ausstattung beim Film von der für die Bühne?
Das ist komplett anders! Wenn man sich zum Beispiel das Bühnenbild zu „Die Ratten“ anguckt, da steht im Text, wie der Ort aussieht, an dem das Stück spielt. Im Film muss es dann genauso aussehen! Mann kann dann überlegen WIE das genauso aussieht, aber man muss sich an die Vorgaben halten. Beim Theater kann man sich wesentlich freier bewegen, kreativer und tiefer ins Stück kommen, auch Parallelgeschichten aufbauen. Das ist beim Film alles nicht so möglich. Wenn man zum Beispiel die Ausstattung für einen Film wie die „Titanic“ machen würde – da muss dann schon ein Schiff da sein, und das muss dann auch untergehen, sonst sind die Leute sauer.

Welche Rolle spielt der Naturalismus, dem Gerhart Hauptmanns Stück sich verschreibt, in deiner Arbeit für das Bühnenbild für „Die Ratten“ ?
Die Bühne ist eigentlich eine riesengroße Rattenfalle. Ich dachte zuerst auch an Lüftungsgitter, durch die Kakerlaken in Häuser eindringen. Und diese Gedanken haben sich dann weiterentwickelt. Es gibt Millionen von Klappen auf der Bühne, die auf und zu gehen, durch die die Schauspieler durchrutschen, da können dann auch andere Assoziationen, zum Beispiel zu Babyklappen, entstehen. Wir bedienen den Realismus sehr frei.

Ist es schwer das Bühnenbild auf einen anderen Ort zu übertragen?
Erstens muss man ja sagen, dass wir mit der Inszenierung im letzten Jahr die Saison des Schauspiel Köln in der Ersatzspielstätte Expo XXI eröffnet haben. Nun hat diese Expo den charmanten Charme einer Ausstellungshalle, nämlich gar keinen. Sie war nur hell und groß. Karin Henkel und ich saßen da und dachten: Oh, jetzt müssen wir hier eine Berliner Mietskaserne auf die Bühne bringen. Wir waren skeptisch. Wenn man sich aber so ein ungeliebtes Kind zu eigen macht, ist es komischerweise so, dass man es dann irgendwann gerne hat. Es konnte ja keiner ahnen, dass wir zum Theatertreffen eingeladen werden, und wir dachten auf einmal: Jetzt brauchen wir in Berlin eine Halle, die genauso hässlich ist wie das Ding in Köln. Das war schwierig! Es hat leider nichts ergeben, und wir sagten: Okay, Augen zu, Scheuklappen aufsetzen, wir nehmen die Hinterbühne der Berliner Festspiele als Ersatz für die nicht vorhandene Halle. Denn die anderen Hallen, die wir uns angeguckt haben, waren zu teuer oder zu klein oder waren besetzt.

Wenn du eher leere Bühnen konzipierst, ist es schwieriger oder leichter, sie in andere Räume zu transportieren?
Generell mag ich Minimalismus auf der Bühne. Sie bezieht sich auf den Menschen, der Mensch erzählt mir etwas und der Raum – das Bühnenbild – ist unterstützend da, gewissermaßen als „support“. Im Normalfall konzipiert man ja ein Bühnenbild für ein Haus, und dann bleibt es da. Wenn es gut läuft, wandert es um die Welt, aber im Normalfall bleibt es da stehen. Eine „leere Bühne“ zu machen, ist da mittlerweile immer das Schwierigste und auch das Teuerste, weil man zum Beispiel und unter anderem mit den Wänden arbeiten muss. Man sieht diese Arbeit nicht, aber man spürt sie. Da gibt es eine Sensibilität, die man als Zuschauer dann hat, dass man subtil merkt – da war IRGENDWAS. Ich finde es immer super, wenn man eine Mystik entstehen lassen kann, wenn die Arbeit nicht so vordergründig funktioniert, „ah, rosa und toll und geil“, sondern wenn man in eine Atmosphäre reingezogen wird und ein Gespür dafür entwickeln kann, dass hier irgendetwas komisch ist. Das finde ich dann schon toll. Ein bisschen Lynch, ein bisschen Hitchcock …

Wenn du mit vierzehn schon angefangen hast zu arbeiten, bist du schon eine ganze Weile im Geschäft. Haben sich deine Arbeiten im Laufe der Zeit verändert?
Ja, klar haben sie sich verändert! Sie haben sich dahingehend verändert, dass man immer mehr weiß, was man nicht will. Was man will – das ist immer noch das Tolle an dem Beruf –, dass man das wie ein kleiner Junge immer wieder neu ausprobieren kann und immer wieder neu anfängt und mit Ideen spielen kann.

Und was willst du nicht?
Oh, da gibt es eine ganze Menge Sachen, aber das hängt natürlich auch immer vom Stück ab. Aber einen richtigen Stil zu entwickeln, finde ich im Bühnenbild immer schwierig, denn wenn der Stil dann entwickelt ist, dann ist man auch irgendwie fest. Man muss offen bleiben, es verändert sich ja ständig alles! Jetzt muss man zum Beispiel gucken, wie man mit den neuen Medien umgeht. Das klassische Bühnenbild, wie das früher bei zum Beispiel bei Karl von Appen war, das gibt es so nicht mehr.

Baust du die „Neuen Medien“ jetzt öfter ein?
Naja, ich benutze sie schon mit, aber ich bin kein Fan davon. Ich bin immer der Meinung, dass Theater Theater ist und ein Video nicht ein nicht vorhandenes Bühnenbild ersetzt. Ich benutze es natürlich manchmal, wenn wir zum Beispiel Geschichtsaufnahmen haben wollen. Mit Karin Henkel war das gut, die hatte auch kein Interesse am Video auf der Bühne für „Die Ratten“. Da waren wir uns dann gleich einig.

Hast du die Inszenierung von Katie Mitchell zu „Reise durch die Nacht“ (eine weitere Produktion des Schauspiel Köln, die zum TT 2013 eingeladen ist) gesehen?
Ja, ja, na hallo! Katie Mitchell ist ja auch eine große Ausnahme, die das Medium Video auf der Bühne perfekt beherrscht! Aber es gibt wirklich viele Kollegen, (ohne Namen und Zahlen zu nennen), bei denen ich finde, dass es nicht so gut funktioniert. Das ist wirklich einfach ein anderes Medium. Es gibt natürlich auch Leute wie Chris Kondek, bei denen das großartig ist, keine Frage!

Dein wievieltes Theatertreffen ist das jetzt hier?
Das fünfte. Das erste war mit Dimiter Gottschef „Fräulein July“, dann mit Thirza Brunken „Stecken, Stab und Stangl“, dann mit Jossi Wieler „Alkestis“, mit Johan Simons „Elementarteilchen“ und jetzt das Ding hier.

Findet im Rahmen des Theatertreffens ein fachlicher Austausch mit anderen BühnenbildnerInnen statt?
Nee, der findet sowieso nicht statt. Das ist ein bisschen komisch, finde ich, jeder ist da schon ein ziemlicher Einzelkämpfer. Man kennt ein paar Kollegen, mit denen man ganz gut reden kann, aber generell ist man da schon ziemlich alleine.

Und was hältst du vom Theatertreffen?
Na, wenn man eingeladen wird! Man beißt ja nicht die Hand ab, die einen füttert … ich find’s schon cool.

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Henrike Terheyden

kendike.wordpress.com

Henrike Terheyden, geboren 1984 in Münster, hat in Hildesheim und Paris Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis mit dem Schwerpunkt Bildende Kunst studiert. Sie lebt und arbeitet in Dresden als Bühnen- und Kostümbildnerin sowie als Zeichnerin für ihr Label KENDIKE. Sie ist Mitglied des freien Theaterkollektivs theatrale subversion, http://theatrale-subversion.de/wordpress.

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