Erlebnisräume, wachgeträumt

In ihrer Vorstellung ist unsere Autorin schon voll im Festivalmodus. Aber: Allein im Traum erringt man solche Dinge nicht.

In ihrer Vorstellung ist unsere Autorin schon voll im Festivalmodus. Aber: Allein im Traum erringt man solche Dinge nicht.

Tag und Nacht atmen die Blogger*innen Theaterluft und verwandeln ihre Perspektiven in Text, Ton und Bild. — So kündigt es uns ein Facebook-Post auf dem Profil des Theatertreffens an. Gedanken beginnen zu kreisen, Fragen fliegen umher, Visionen nehmen ihren Lauf — einige von ihnen machen sich auf nachfolgenden Zeilen breit.

Werden wir zwischendurch auch schlafen? Werden wir sechs Stipendiat*innen eine Art WG-Leben in der 1-Zimmer-Wohnung Redaktionsraum TT-Blog der Berliner Festspiele führen? In Gedanken bin ich schon lange eingezogen, insbesondere in die angrenzenden, kaum eingrenzbaren Erlebnis-Räume, in denen wir uns bewegen dürfen. Ehrwürdige Bühnen, dazugehörige Bars, Foyers, Garderoben, Raucherbereiche, unter anderem. Ständig wechselnde Innenleben, Ereignis über Ereignis, überall Begegnung, Bewegung, Geräusch — einfangen, aufnehmen, wiedergeben, nichts als einfach gegeben hinnehmen, in Frage   stellen, Fragen stellen, Atmosphären atmen, stetig wechselndes Publikum porträtieren.

Müde Augen, verkrampfte Hände, reines Glück

Zwischen gespannten Zuschauer*innen, sich durch Sitzreihen drängelnden Zuspätkommer*innen und pausenklingelndem Zur-Toilette-Gehetze zum Takt klirrender Weingläser, stelle ich mir unsere vor Konzentration gerauften Haare vor, unsere aufgeschlossenen, kritischen Augen, die nach haarscharfen Beobachten haschen. Verantwortung liegt in der Luft. Der Entschluss, ihr gerecht zu werden. Vor lauter Zeichen den Fokus nicht verlieren, aber hin und wieder abgleiten, sich verknoten, verbiegen, entwirren: bitte ja! Bitte auch: gute Laune. Aber jetzt:Spaß beiseite.

Spannung schiebt sich dazwischen. Auf die unterschiedlichen Weisen, Geschichten und Geschichte erzählt zu bekommen. Auf den gemeinsamen Erfahrungsraum, der uns erwartet und den wir mitgestalten dürfen. Auch: Auf Austausch in Aufenthaltsräumen, unsere vom Applaudieren wunden, vom vielen Schreiben verkrampften Hände, die die derer schütteln, deren Handschriften wir bewundern, vielleicht? Tagträumerei.

Erlebnisraum (fast) ohne Fenster: Der Arbeitsplatz der TT-Blogger*innen

Zurück zu Fakten: Zum 56. Mal wird das deutschsprachige Theaterereignis des Jahres stattfinden. Wir dürfen es siebzehn Tage am Stück begleiten. Siebzehn Tage Theater. Meine Hoffnung, dass es so kommt, wie es soll: Dass uns wichtige, aktuelle Fragen in den zu sehenden Aufführungen auf besondere, unbekannte, künstlerisch-reflektierte Weise gestellt werden. Ein Blick ins Zentrum dieses wichtigen Theaterereignisses lässt das erwarten, doch inmitten meiner Spannung macht sich Skepsis breit, denn dieses Zentrum ist vor allem auch eines: ein Abbild der immer noch ungleichen Gegenwart der Bühnenlandschaft. Sieben der zu sehenden Inszenierungen sind von Regisseuren, nur zwei von Regisseurinnen, eine Kollektiv-Autorschaft, überwiegend monochrome Farbgebung auf und hinter der Bühne. Der Wunsch nach Veränderung des Sichtbaren und des Unsichtbaren drängt sich auf und drängt sich, mit Blick zur Seite, glücklicher Weise hier auch schon dazwischen und daneben:

Notwendige Fragen

Zukunftsangebot- und Aufgebot beim Stückemarkt von jungen Autor*innen und ihren Visionen. Im Internationalen Forum von Theaterschaffenden, die das Morgen der Bühnen gestalten werden. Bei Diskussionen, Konferenzen und Lesungen, die alle so wichtige und notwendige Fragen und Titel tragen, werden wir sie sehen und hören können. Ihnen und unserem jungen, gemischten Redaktionsteam gehört meine besondere Vorfreude. Und allem, das ich erwarten darf, gilt Dankbarkeit: Es ist eine einzigartige Gelegenheit und Chance, so viele Theatertalente, Handschriften, Denkweisen und die sie bewegenden Themen und realisierten Ästhetiken sehen, erleben und darüber hinaus kritisch-reflektiert begleiten zu dürfen.

Aber jetzt: genug gesagt, abwarten geboten. Ich war schließlich noch gar nicht da, nur meine Vorstellungskraft schon ein Dutzend Mal.

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Dilan Zuhal Capan

Freischaffende Nachwuchs-Autorin / Künstlerin in Berlin. Hauptdisziplinen: (visuelle) Lyrik, szenische & bildende Künste, Essayistik. Aktuell außerdem: Studentin der Theaterwissenschaft / Philosophie & Regieassistentin.

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