Ist das noch Theater, Herr Meyerhoff?

Um 0.30 Uhr, nach fünf Stunden Solo-Lesung der ersten drei Teile seiner autobiographischen Reihe „Alle Toten fliegen hoch“ und anschließendem Publikumsgespräch, nimmt sich Joachim Meyerhoff noch Zeit für den tt-Blog. Unausgesprochen im Mittelpunkt des Gesprächs steht die Frage, die Kollege Matthias Weigel in seinen „Pausentönen“ zu Meyerhoffs Premiere am Mittwoch angestoßen hat: Ist das noch Theater?

2005 haben Sie hier im Maxim-Gorki-Theater mit „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?“ ein Stück inszeniert, das Ihre eigene Biographie thematisiert, damals allerdings noch mit Schauspielern und verteilten Rollen. Nun lesen Sie bei „Alle Toten fliegen hoch“, das sich ebenfalls stark aus Ihrer Biographie speist, nur noch vor. Wundert es Sie, dass Sie mit dieser viel weniger theatralen Form zum Theatertreffen eingeladen wurden?

Ich finde nicht, dass diese Form weniger theatral ist. Genauer gesagt hat sich erst mit dieser Inszenierung das geöffnet, was ich schon damals wollte. Das Verfertigen von Erinnerung ist, indem man es als Monolith dahin stellt, doch viel vermessener und darin viel theatraler, als wenn man es durch Schauspielerbeauftragung wieder entschärft. Dadurch, dass Schauspieler es auf ihre eigene Art ummünzen, wird so ein Inhalt viel allgemeingültiger, viel flächiger, letztlich viel einfacher.

Inwiefern?

In einem klassischen Theaterstück hat man sich viel schneller zurechtgefunden, der Kontext ist einschätzbar, die Irritation geringer, als wenn ich da wirklich mit der Wucht einer tatsächlichen oder behaupteten biographischen Erzählung reingehe.

Sie plädieren sehr dezidiert dafür, dass „Alle Toten fliegen hoch“ kein Lesungsformat ist. Trotzdem liest da immer einer …

Weil ich vom Theater komme, ist das für mich erst einmal eine Inszenierung. Es ist eine vollwertige Inszenierung, in der ich in einer Figur aufgehe, die das erzählt. Diese Figur gibt mir Freiheiten. Und dann flippert es hin und her – zwischen einer Installation, einem Happening, einem Lagerfeuer, einer Rapsodie, einer Münchhausen-Erzählung …

… oder einer Lesebühne. Ist es eigentlich eine Bedingung für diesen Abend, dass er im Theater stattfindet?

Natürlich könnte ich das hier auch in einer Buchhandlung machen, das würde sofort funktionieren. Aber das Tolle am Theater ist ja, dass allen Anwesenden, Darstellern wie Zuschauern, klar ist, dass das ein fiktionaler Ort ist. Wenn in einem Café oder in einer Buchhandlung ein Statist auftritt, der vorgibt, der ehemalige Todeshäftling Randy Hart zu sein, der in meiner Biographie tatsächlich vorkommt, aber eben schon lange nicht mehr präsent ist, dann ist da für mich eine Grenze überschritten. Weil man dann anfangen würde, dieses autobiographische Faktum zu überreizen. Man würde anfangen zu lügen. Nur das Theater ist der Ort, wo man das so machen kann.

Nicht in einem Buch?

In einem Buch auch, obwohl mir die Statik, dieses Festgeschriebene nicht gefällt. Aber das bedürfte eines ganz anderen Aufwands. Was ich im Moment an Material habe, ist dafür noch zu dünn, obwohl es gelesen immer nach so viel klingt. Aber letztlich sind es in dieser bearbeiteten Form eben nur diese sechs Abende, das, was man in zehn Stunden laut lesen kann. Das ist nicht viel.

Zum Schluss noch eine inhaltliche Frage, die uns sehr interessiert: Sie erzählen zwar Geschichten, docken diese aber sehr dezidiert nicht an Geschichte im Sinne von Zeitgeschichte an. 1936 etwa ist bei Ihnen nur das Jahr, in dem Ihr Großvater bei einer Bergtour mit Freunden in Schwierigkeiten gerät. Ist das eine bewusste Anti-Historizität?

Wenn man eng an der Geschichte arbeitet, wird es so schnell durchschaubar. Da finde ich die produktive Leerstelle interessanter als die historische Plattitüde. Wenn ich jetzt auserzähle, dass meine Großmutter als junge Frau in den 1930ern an den Münchner Kammerspielen auch ihre kleine Verstrickung hatte, weil sie eben unbedingt spielen wollte, lande ich doch im völlig Berechenbaren. Das ist mir irgendwie zu blöd.

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Johannes Schneider

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