Mit Karin Henkels „Beute Frauen Krieg“ hat heute eine von nur zwei eingeladenen Inszenierungen Premiere, die unter der Regie einer Frau entstanden. Über ein strukturelles Problem, dem mit gutem Willen allein nicht beizukommen ist.
Jurorin Eva Behrendt erzählte bei der TT-Jurydiskussion im vergangenen Jahr, dass die Regisseurin Jorinde Dröse nicht mehr fürs Theater arbeitet, sondern jetzt eine pädagogische Ausbildung macht. Jorinde Dröse? Die noch vor wenigen Jahren in den ersten Häusern dieser Republik unterwegs war, in München, Hamburg, Frankfurt, Leipzig und die zeitweise, kein Jahr nach der Geburt ihres ersten Kindes, als Hausregisseurin mit in der Leitung des Berliner Maxim Gorki Theaters saß? Warum kehrt eine derart gefragte Künstlerin dem Theater den Rücken? Warum inszenieren überhaupt so wenige Frauen an deutschen Theatern, obwohl sie unter den Absolventinnen der theaternahen Studiengänge und unter den Regieassistentinnen mindestens die Hälfte ausmachen? Und schließlich: Warum durchbrechen so wenige von Ihnen die Schwelle zur Theateroberliga, die sich beim Theatertreffen tummelt? Sind es die Kinder, die frau oft in diesem Lebensabschnitt bekommt? Oder ist es die gläserne Decke, die sich auch im Theaterbetrieb durchzieht?
„Das Theater liegt in Sachen Geschlechtergerechtigkeit noch weiter zurück als jene DAX-Unternehmen, die mittlerweile per Gesetz zu einer 30%-Quote in den Aufsichtsräten verdonnert wurden.“
Jetzt, ein Theatertreffen später, hat die #MeToo-Debatte das Thema in alle gesellschaftlichen Diskursräume gespült und auch der Theaterbetrieb diskutiert mittlerweile zaghaft über Fälle von Machtmissbrauch und Maßnahmen, die dem vorbeugen könnten. Er diskutiert sogar, was vor Kurzem noch undenkbar gewesen wäre, über eine Frauen-Quote – was dem im Herbst 2017 gegründeten Verein „Pro Quote Bühne“ zu verdanken ist. Die hartnäckigen Quoten-Lobbyistinnen haben jene Zahlen aufs Tapet gebracht, die mit der vom Deutschen Kulturrat herausgebrachten Studie „Frauen in Kultur und Medien“ eigentlich schon seit Sommer 2016 auf dem Tisch lagen, aber zunächst in der Theaterszene nur mäßige Beachtung fanden. Das Theater, so kann man darin schwarz auf weiß nachlesen, liegt in Sachen Geschlechtergerechtigkeit noch weiter zurück als jene DAX-Unternehmen, die mittlerweile per Gesetz zu einer 30%-Quote in den Aufsichtsräten verdonnert wurden. Gerade einmal 22 Prozent der Theater werden von Frauen geleitet (kaum mehr als 20 Jahre zuvor); noch deutlicher wird das Gefälle, wenn man die Größe der Häuser mitbetrachtet. Nur 30 Prozent der Inszenierungen stammen von Frauen, wobei diese noch weit seltener auf den großen Bühnen mit den großen Inszenierungsbudgets inszenieren (dort nur 22 Prozent), dafür bevorzugt im Kinder- und Jugendtheater – was viel über die unterschiedlichen künstlerischen Entfaltungsmöglichkeiten und Karrierechancen von Frauen und Männern am Theater aussagt.
Reich und berühmt werden die Männer
Gleichberechtigter wird es, wenn man auf die Bereiche Dramaturgie (48 Prozent Frauen) und Regieassistenz (51 Prozent Frauen) schaut. Soufflieren ist sogar ganz überwiegend Frauensache (zu 80 Prozent). Dünn wird die Frauen-Decke also vor allem in den oberen Hierarchieebenen, dort wo mehr Macht, mehr Einfluss, mehr Geld zu haben ist. Wo das künstlerische Genie verortet wird. Reich und berühmt werden die Männer und die Frauen betätigen sich als fleißige Zuarbeiterinnen im Hintergrund – oder wie?
Nur ernüchternd wenige Frauen sind jedenfalls je bis ins Zehner-Tableau des Theatertreffens vorgedrungen, wie TT-Chefin Yvonne Büdenhölzer in einem Vortrag für die „Erste Konferenz der Theatermacherinnen“ herausgearbeitet hat, die im März 350 Teilnehmerinnen in Bonn versammelte. Unter den 230 Regisseur*innen, die seit der Festivalgründung 1964 eingeladen wurden, sind gerade mal 28 Frauen und vier Kollektive mit weiblichem Anteil: nicht mal ein Sechstel. Auch wenn sich in der Theatertreffen-Jury mittlerweile 4 Frauen und 3 Männer die Hoheit über das „Bemerkenswerte“ teilen, bleibt es dabei, dass Frauen beim TT immer noch die erwähnenswerte Ausnahme darstellen.
„Man liest die Stücke anders, wenn man weiß, ob sie von einem Mann oder von einer Frau geschrieben sind. Auch auf Regiearbeiten von Frauen wird anders geschaut.“
Bereits 2011, in ihrem letzten Jahr als TT-Leiterin, machte Iris Laufenberg die prekäre Stellung der Frauen im Betrieb zum Thema, mit Podien und der Ausstellung „Regie-Frauen“ von Christina Haberlik, die bezeichnenderweise noch den (selbst ins Klischeefettnäpfchen tappenden) Untertitel „ein Männerberuf in Frauenhand“ trug. Sie sei damals „von vielen verlacht worden“, erzählt Laufenberg im Rückblick. Und betont, wie wichtig es war, dass Marlene Streeruwitz als Jurorin des TT-Stückemarktes 2010 die Anonymisierung des Wettbewerbs angeregt hat: „Man liest die Stücke anders, wenn man weiß, ob sie von einem Mann oder von einer Frau geschrieben sind. Auch auf Regiearbeiten von Frauen wird anders geschaut.“
Yvonne Büdenhölzer hat die Verhältnisse bei der Bonner Konferenz in eine provokante These gegossen: Dass es nämlich „unter den Regisseurinnen mehr Handwerkerinnern als Künstlerinnen“ gebe, „die durch herausragende, eigenwillige ästhetische, formal-inhaltlich bemerkenswerte Handschriften herausstechen“. Die TT-Leiterin begründete das nicht damit, „dass die Regisseurinnen ihren Job schlechter machen oder weniger Talent haben“. Als Gegenbeispiele zu der von ihr beobachteten Tendenz nannte sie Parallelwelt-Erschafferin Signa Köstler, Dokufiktion-Komödiantin Yael Ronen und Masken-Verfremderin Susanne Kennedy, die in den letzten Jahren mit ihren je sehr eigenen Ästhetiken auch beim Theatertreffen aufgelaufen sind. Dass Frauen mit solch starken Handschriften möglicherweise seltener zu finden sind als männliche Pendants, liegt für Büdenhölzer in den Strukturen begründet sowie in „traditionell eingeübten Rollenbildern“. Wenn bei Männern „künstlerischer Größenwahn häufig als eine Form von Geniekult begriffen“ werde, gelte dergleichen bei Frauen „als hysterisches Gehabe oder Verzicktheit“. Entsprechend werde Frauen „seltener die künstlerische Freiheit gegeben und das Vertrauen geschenkt, in gleichem Maße zu produzieren wie ihre männlichen Kollegen“, sagte sie in Bonn. Männer seien „gute Behaupter“, Frauen „viel kritischer mit sich selbst“.
Zurücklehnen reicht nicht – es braucht Affirmative Action
Es gibt Studien, die diese Annahme stützen. Will man gegen das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in der Regie und auch in Leitungspositionen wirklich angehen, braucht es mehr Ermutigung und bestärkende Förderung von Künstlerinnen (ohne diese jedoch auf männlich konnotierte Verhaltensweisen hin umbiegen zu wollen). Es reicht nicht, sich zurückzulehnen und es den Frauen zu überlassen, sich ihre Posten und Regieaufträge, ihre fairen Gagen und tollen Rollen bitteschön selbst an Land zu ziehen. Oder sich auf der Rechtfertigung auszuruhen, dass es so schwierig sei, Regisseurinnen fürs Saisonprogramm zu gewinnen, weil diese oft nur wenige Inszenierungen pro Jahr machen. Wenn hehre Bekundungen zur Geschlechtergerechtigkeit ernst gemeint sind, müssen besondere Anstrengungen unternommen werden, es braucht Affirmative Action. Denn sonst, das zeigen die Kulturrats-Zahlen überdeutlich, ändert sich nichts bis wenig. Pro Quote Bühne fordert deshalb 50 Prozent Frauen in allen künstlerischen Ressorts und Gagentransparenz – um der Tatsache entgegenzuwirken, dass Künstlerinnen am Theater selbst bei gleichem Erfahrungshintergrund oft viel weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen.
„Die Jury kann letztlich nur das abbilden, was der Betrieb ihr vorsetzt. Oder?
Seit 2003 Iris Laufenberg Leiterin wurde, ist das Theatertreffen ein Festival unter weiblicher Leitung (und mit einem mehrheitlich weiblichem Team). Sowohl Laufenberg als auch Büdenhölzer haben sich dafür engagiert, mehr Frauen in die TT-Jury zu holen, die als eines der mächtigsten Gremien des Betriebs maßgeblich für die Kanonbildung und den „Marktwert“ der einzelnen Künstler*innen verantwortlich ist. Dass eine paritätisch besetzte Jury aber noch lange kein Garant für viele eingeladene Regisseurinnen ist, hat einmal mehr das vergangene Jahr gezeigt – mit Claudia Bauer war gerade mal eine einzige eingeladen. Jurorin Shirin Sojitrawalla kommentierte das in der Abschlussdiskussion mit den Worten: „Man kann nur mit den Frauen tanzen, die auch im Saal sind.“ Heißt: Die Jury kann letztlich auch nur das abbilden, was der Betrieb ihr vorsetzt. Oder?
Die Frage nach einer Quote beim Theatertreffen wurde immer wieder aufgeworfen. Aber wie sähe die aus? Sollte man nur noch Häuser für die Auswahl zulassen, die auch Frauen auf der großen Bühne arbeiten lassen oder bei denen es keinen Gender Pay Gap gibt? Was bedeutete das, wenn man solch ethische Standards zum Teilnahmekriterium der Leistungsschau machte? Womöglich würden einige der regelmäßig auflaufenden Hochglanz-Theater erstmal ins Schlingern geraten. Unter dem aktuellen Suchbefehl des ästhetisch „Bemerkenswerten“ hat die Jury jedenfalls nur sehr begrenzten Spielraum – indem sie etwa entscheidet, was überhaupt in die Sichtung hineingenommen wird.
Noch immer zu wenig glorreiche Ausnahmen
Um strukturell etwas zu verändern, muss an vielen Schrauben gedreht werden, an verschiedenen Stellen im System – und natürlich müsste man schon die Kunsthochschulen miteinbeziehen. Vorschläge und Ideen, wo man ansetzen könnte, gibt es genug, auch diesseits von Quote und Gagentransparenz. Es gibt auch viele positive Beispiele, die zeigen, dass es anders geht: Die neue Karlsruher Schauspieldirektorin Anna Bergmann hat für die nächste Saison einen Spielplan mit 100 Prozent weiblichen Regieführenden zusammengestellt – kein Ding der Unmöglichkeit. Es gibt Häuser, die bereits mit einem „Code of conduct“ arbeiten, um das Arbeitsklima zu verbessern und Machtmissbrauch vorzubeugen. Einige Intendant*innen haben den Gender Pay Gap an ihrem Haus schon vor Jahren beseitigt. Mancherorts werden externe Coaches ins Haus geholt, die dabei helfen, Arbeitsabläufe und Kommunikation zu verbessern, oder Vollzeitstellen für Personalentwicklung und Gleichstellungsbeauftrage geschaffen. Die Hierarchien werden gelockert, es wird über mehr Mitbestimmung nachgedacht und nicht mehr streng am Tagesablauf von Vormittags- und Abendprobe geklebt, der Eltern den Theater-Job oft besonders schwer macht. Es gibt Theater, die Kinderbetreuungszuschüsse oder den abendlichen Babysitter bezahlen. Die feste probenfreie Tage haben und längere Probenzeiträume ermöglichen.
Soviel zu den glorreichen Ausnahmen. Wenn man Reformen nicht dem guten Willen Einzelner überlassen möchte, braucht es übergeordnete Institutionen, die mitziehen, und Kontrolle von außen. Stärkeres Monitoring, Best-Pratice-Pläne und ein Leitfaden zur Aufarbeitung etwaiger Fälle von Machtmissbrauch zum Beispiel. Ein wichtiger Player ist das Ensemble-Netzwerk, das im Gesamtbetrieb für bessere Arbeitsbedingungen trommelt und u.a. einen besseren Kündigungsschutz für Schwangere durchgesetzt hat. Der Deutsche Kulturrat hat ein Frauen-Projektbüro geschaffen und ein Mentoring-Programm aufgelegt (allerdings eher für bereits arrivierte Kultur- und Medienschaffende). Und auch der Deutsche Bühnenverein hat sich, reichlich spät, bewegt und eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Last but not least braucht es Engagement von Seiten der Politik. Öffentliche Förderung könnte an bestimmte gleichstellungfördernde Maßnahmen geknüpft werden. Gleichzeitig braucht es die Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen, um zum Beispiel familienfreundlichere Arbeitsbedingungen zu finanzieren.
In dem Bewusstwerdungsprozess, den all das idealerweise bedeutet, sind natürlich auch wir Kritiker*innen als Gatekeeper nicht unbeteiligt. Vielleicht sollten wir öfter die Premiere der unbekannten Regisseurin auf der Nebenbühne auf den Plan setzen statt des Klassikers vom mittelguten Viel-Inszenierer im Großen Haus? Oder die der älteren Regisseurin, die noch mal ansetzen will, nachdem die Kinder aus dem Haus sind? Jeder hat sein Schräubchen, an dem er drehen kann.