Keine Panik: Medienwandel

Schräge Blicke, Nischen-Spezialismus und die Verclippung der Welt: ein Gespräch mit den diesjährigen Mentoren des Theatertreffen-Blogs Dirk Pilz (Berliner Zeitung, nachtkritik.de), Stefan Braunshausen (3Sat/kulturzeit) und Sophie Diesselhorst (kultiversum.de) über den Spaß am Kulturjournalismus im Internet.

Worauf freuen Sie sich beim diesjährigen Theatertreffen-Bloggen?
Dirk Pilz: Ich freue mich auf Leute, die noch nicht so betriebsabgenudeltsind, einen schrägen, anderen Blick auf Theater und das Theatertreffen haben und neue Formate ausprobieren wollen.
Sophie Diesselhorst: Weil es zu den zehn zum Theatertreffen eingeladenen Gastspielen schon viele klassische Rezensionen gibt, begreife ich das Theatertreffen-Blog als Experimentierfeld, auf dem
man sich noch einmal neu mit den Inszenierungen auseinandersetzen muss – und kann.
Stefan Braunshausen: Gerade in der Kultursparte fragen wir uns oft, wie wir ein anderes, jüngeres Zielpublikum finden können. Daher möchte ich den Teilnehmern nicht nur etwas beibringen, sondern im direkten Austausch auch von ihnen lernen.

Oft verhält sich der etablierte Kulturbetrieb dem Internet-Journalismus und der so genannten Blogosphäre gegenüber distanziert. Der Präsident der Akademie der Künste Klaus Staeck wettert gegen die Blogorrhoe, der Zeit-Journalist Adam Soboczynski behauptet, das Internet sei anti-intellektuell.
S B: Da geht es um Besitzstandswahrung, um Grabenkämpfe, denn die Ursprünge des Internetjournalismus wurden stark von Laienjournalisten geprägt. Die Ängste rühren auch daher, dass das Internet mehr Raum bietet, sich auszubreiten und eine größere Reichweite hat.

Wo liegen die Grenzen?
D P: Nach drei Jahren nachtkritik.de kann ich sagen, dass Journalismus im Internet auch ein Mythos ist: Weder kann man im Netz alles in beliebigem Umfang machen, noch ist Schnelligkeit ein Allheilmittel. Man muss bestimmte Dinge im Internet natürlich genauso tun wie in einer Zeitung, zum Beispiel: sortieren, werten, redigieren.

Kein Grund zur Panik also: der übliche Medienwandel.
D P: Panik? Nein, keine Panik. Aber was dieser Medienwandel überhaupt bedeutet, weiß ja noch niemand so recht. Die Anforderungen an Journalisten, Leser und die Medien haben sich verändert, ja.
S B: Dass sich die Kulturkritik verändert, hat auch mit Personalplanungen zu tun. Das Spezialistentum wird aufgrund von Sparmaßnahmen abgeschafft. Das Internet könnte dieser Entwicklung eine positive Wendung geben, weil man sich in einer Nische einen Platz suchen kann.

Journalisten müssten dann zu „Plattform-Journalisten“ werden, die schon vorhandene Nischen-Informationen sammeln und vernetzen, statt neue Informationen zu erstellen.
S D: Das ist doch nicht neu. Der Unterschied ist vielleicht, wo man sammelt.
D P: Aber die Frage ist dennoch: Wie setzen sich auf dieser Basis Qualitätskriterien durch? Bislang schien das klarer, auch transparenter zu sein: Der Zeitungsfachmann für Kirchengeschichte zum Beispiel empfiehlt dieses und jenes Buch, dann gibt es noch den Fachmann von zwei, drei vergleichbaren Medien – so wurde Kanonbildung betrieben, Deutungshoheit gesichert. Jetzt reden da viele mit.
S B: Es wird demokratischer.
D P: Aber Demokratie ist immer auch ein gelenkter, geordneter Prozess, an dem zwar alle beteiligt sind, aber nicht alle dieselbe Macht und dasselbe Mitspracherecht haben. Auch in Internetmedien bildet sich ein Kanon heraus, man durchschaut nur nicht so leicht, nach welchen Kriterien.

— Protest. Alle reden gleichzeitig. Man versteht nichts mehr: Es geht irgendwie um die Stimmabgabe. —

S D: Das ist jetzt gerade Anarchie.

Wie kann man denn heute als Nachwuchskritiker im vielstimmigen Datenstrom ästhetische Kriterien entwickeln?
S D: Ins Theater gehen.
S B: Die Kultur aktiv mitmachen. Es reicht nicht, dass man sich die Information aus Zeitungen oder dem Internet besorgt, man muss auch miterleben, Stimmungen aufgreifen.
D P: Die Frage ist doch: Was ist ästhetische Erfahrung? Diese Frage muss immer wieder neu geklärt werden, indem man darüber nachdenkt, warum man etwas gut oder schlecht findet.

Bloggen gilt als eine der subjektivsten Schreibformen – ein Blog ist originär ein täglich aktualisiertes Online-Tagebuch über alltägliche Erfahrungen. Wie geht das subjektive Bloggen mit dem objektiven Blick des Kritikers zusammen?
D P: Naja, das erinnert an eine typisch deutsche Denkweise: Wer lange und tief nachdenkt, findet auch Wahrheit. Stimmt das denn? Was lange währt, wird manchmal auch schlecht. Das, was man nachts übermüdet, verärgert, verschwitzt hinschreibt, kann genauso Wahrheit oder Erkenntnis enthalten wie das, was ich drei Wochen sinnierend durch den Park gehend erdacht habe.
S D: Im Internet steht ja interessanterweise beides nebeneinander: tiefdurchdachte, gut verdaute Kritik und schnell Hingeworfenes.
S B: Bloggen darf dann also nicht darauf reduziert werden, dass man sich nur auf sein Bauchgefühl stützt. Für ein spezielles Publikum wie das Theaterpublikum braucht man eine Basis, eine Grundkenntnis.

Ein Unterschied der Informationserstellung auf Blogs oder in den klassischen Medien ist, dass die Leser mitschreiben – kommentieren, ergänzen, hinterfragen.
D P: Bei nachtkritik.de ist das so. Teilweise sind wir erschrocken, was da alles gebrabbelt wird. Aber im besten Fall entstehen relevante Diskussionen über Grundfragen: Was ist ein guter Schauspieler? Eine gute Inszenierung? Wie steht es um die Texttreue?
S B: Blogs können einen unmittelbaren, öffentlichen Austausch anregen. Das finde ich großartig. Man hat die Möglichkeit, Sachen richtigzustellen, sich nochmal auseinanderzusetzen.

Einloggen, verlinken, hochladen … Wie wichtig ist heute technisches Knowhow?
S D: Wenn man Journalismus im Internet machen will, muss man sich natürlich mit den technischen Möglichkeiten des Mediums auseinandersetzen. Aber ich finde nicht, dass das technische Knowhow als Qualitätskriterium im Vordergrund stehen sollte.
S B: Viele junge Journalisten sind heute technisch viel versierter, als ich es einmal war. Das ist heute viel selbstverständicher. Ein Videojournalist muss alles alleine machen: Ton, Bild, Kameraführung, Interview, Schnitt.

Und wie sieht der Kulturjournalismus der Zukunft aus? Alles immer schneller selbst machen?
S B: Derzeit sehe ich die Gefahr der Verclippung der Welt. In Magazinbeiträgen im Fernsehen traut sich kaum noch jemand, Bilder länger stehenzulassen. Daraus wird das Bedürfnis entstehen, langsamer und weniger oberflächlich zu konsumieren. Weil die Zuschauer diese Schnelligkeit satt haben.
D P: Letztendlich werden sich im Internet die Inhalte durchsetzen.

Jetzt wollen wir alle gar nicht mehr bloggen, sondern wieder ganz in Ruhe schreiben…
Alle: Nein!
D P: Wir wollen das Internet so nutzen, dass alle seine Möglichkeiten ausgeschöpft werden, aber man muss dabei nicht allen Unsinn mitmachen. Es ist wichtig, nicht nur die Kultur selber zu stärken, sondern sich darauf vorzubereiten, dass Kultur ohne Internet in der Zukunft nicht mehr geht.
S D: Wir wollen kontrolliert experimentieren.

Das Gespräch führte Nikola Richter, Leiterin Theatertreffen-Blog

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Nikola Richter, Jahrgang 1976, leitet seit 2009 das Theatertreffen-Blog. Sie studierte noch im alten, gemütlichen Magistersystem Germanistik, Anglistik und Komparatistik. Als freie Redakteurin entwickelt sie insbesondere Blogkonzepte, z.B. newplays-Blog oder Los Superdemokraticos und unterrichtet an der FU Berlin im Studiengang "Angewandte Literaturwissenschaft" im Bereich Literatur und Medien. Sie ist nicht immer online, sondern mag auch Drucksachen, bisher veröffentlichte sie Lyrik, Prosa und Hörspiele.

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