Live-Blog vom Publikumsgespräch zu „Nora“

Heute Abend gehen die so genannten „Herbert-Fritsch-Festspiele“ am Theatertreffen zu Ende. Vorher gibt es aber um 22.15 Uhr noch ein Publikumsgespräch zu „Nora“. Wir bloggen wie immer live und berichten, was passiert, wenn „Biberpelz“-Hasser auf „Nora“-Liebhaber treffen. Oder umgekehrt. Und vielleicht kommen wir ja auch Fritschs heissdiskutiertem „Luder“ auf die Spur.

22:13h: Fast nichts an diesem Theatertreffen ist so umstritten wie Fritschs Frauenbild. Mal sehen, was für Frauen beim Publikumsgespräch auftauchen… Bis jetzt: vorwiegend Damen in grau, frisch frisiert und über 50. Keine Luder.

22:14h: One minute til the talkback’s supposed to start, and Fadrina and I are feeling, weirdly, unprepared – flipping through the Theatertreffen booklet like bad schoolkids studying last-minute for a test. Who was in this play again? Who’s going to be talking to us? At least we know who the director is…

22:15h: Kleider-Check bei uns beiden. Fadrina: ebenfalls grauer Pullover, also unbeabsichtigt im unabgesprochenen Dress Code des Abends. Cory hingegen: rot! (Aber auch nur, nachdem sie ihre graue Jacke ausgezogen hat.) Wenigstens ein Farbtupfer im Publikum.

22:20h: This play wasn’t surtitled in English. I wonder if there were any English speakers in the audience? The play was pretty to look at but as far as the content – well, non-German speakers wouldn’t necessarily get much less out of it than German speakers. (Maybe not so true of this bilingual live-blog…)

22:22h: Jetzt geht’s los! …mit Mikroschwierigkeiten…

22:23h: Iris Laufenberg in bunt gemustertem T-Shirt! Danke!

22:24h: Alle Schauspieler plus Herbert Fritsch (natürlich) und der Oberhausener Intendant Peter Carp sind da. Dazu Jury-Mitglied Wolfgang Höbel.

22:25h: Started right away with the good stuff. Feminism.

22:26h: Wolfgang Höbel: „Nora“ ist oft komplett falsch verstanden worden. Da steckt natürlich ein feministischer Gewaltakt hinter der Geschichte, das hat nur keiner bemerkt.“ Damit tut er einem halben Jahrhundert feministischer LeserInnen aber sehr unrecht…

22:28h: Third time I’ve heard Fritsch speak, third time I’ve heard him explain how he didn’t want to do „A Doll’s House“ at all. Something new please?

22:30h: Ein Rätsel lüftet sich: Die Musik aus der Inszenierung stammt aus den Hitchcock-Filmen „Psycho“ und „Vertigo“.

22:32h: Fritsch: „I really enjoy showing nasty people.“ Yep!

22:34h: Will Fritsch uns provozieren, wenn er von „Ibsen, die Sau“ und „geilen Ludern“ spricht? Ist doch alles ein bisschen langweilig… Redet doch lieber über die Ästhetik der Inszenierung, die ist nämlich aussergewöhnlich!

22:35h: To the post-feminism of the piece: „In Ibsen it’s the men who use their sex; in our version, Nora uses her sex to get what she wants: cash. And in the end, she gets it from heaven itself.“

22:37h: „Was ist denn am Ende mit Nora, geht sie?“, fragt Moderatorin Barbara Burckhardt „Nora“-Darstellerin Manja Kuhl. „Das geht gar nicht!“, murmeln ein paar Zuschauer grinsend, als sie das Gespräch vorzeitig verlassen.

22:38h: Manja Kuhl hat eine ganz andere Perspektive auf die Inszenierung als Fritsch: „Es geht nicht um Männer- oder Frauenbilder, sondern einfach darum, dass man einen Menschen nicht mehr liebt – und wie man damit umgeht.“ Naja, das ist jetzt aber sehr allgemein…

22:41h: Peter Carp: „Oberhausen ist eine total depressive Stadt, man muss schon sehr viel Willensstärke haben, um da einen Winter zu überleben.“ Ob „Nora“ da eine gute Therapie für die 42 Prozent depressiven Oberhausener war?

22:43h: After Peter Carp spent 3 minutes trashing Oberhausen (where the play was rehearsed and premiered), an audience member (mid-question) reveals: „By the way, I lived in Oberhausen for 16 years.“ (But ends with, „It was a wonderful evening.“)

22:46h: Talking about the applause – the actors weren’t even allowed to break character to bow. Audience wants to know, was that a bad thing? Side note: Apparently last night the actors had the chance to hit back when Fritsch took his bow – literally.

22:48h: „Das Schöne am Spielen mit Herbert ist, dass zwar alles unglaublich formalisiert ist, aber wir Schauspieler doch uns selber sind und total viel Privates durchschimmert“, sagt Nora Buzalka. Herbert Fritsch ergänzt: „Das Menschliche ist in meinen Inszenierungen ganz wichtig. Man denkt immer: Das Menschliche ist das Diffuse, und das Formalisierte kann nicht menschlich sein. Doch ich empfinde das genau umgekehrt.“

22:52h: „Wie kommt die Künstlichkeit der Figuren zustande?“, fragt eine Zuschauerin. „Wir haben das gemeinsam entwickelt. Viele Einfälle sind von Herbert, andere von den Schauspielern.“ Nur ein Beispiel: Die Spitzenschuhe waren Manjas Idee, nicht Herberts.

22:54h: Manja Kuhl on rehearsals: It was really a collaboration. But Fritsch starts by taking the fear away from you, as an actor. You’re freed up to follow your impulses.

22:55h: „Herbert hat uns auf den Proben in einen kompletten Rausch versetzt“, schwärmt Nora Buzalka. „Manchmal fühlte ich mich wie in ‚Von Winde verweht‘.“ Ja, der Kitsch-Faktor ist in der Inszenierung nicht zu übersehen… Obwohl Noras Verwandlung in das Sterntaler-Mädchen am Schluss auch sehr anrührend wirkte.

22:59h: The dramaturg Tilman Raabke reminds us that Ibsen himself was „weak“ when it came time for the play to premiere, and changed the ending. So it’s not without precedent that the ending of this „Doll’s House“ wasn’t necessarily pre-determined.

23:02h: Noch einmal ein kräftiger Schlussapplaus fürs Ensemble – und damit sind die diesjährigen Herbert-Fritsch-Festspiele zu Ende!

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Cory Tamler, 1986 in Berkeley geboren, stammt aus Pittsburgh, Pennsylvania und wohnt in Berlin. Sie arbeitet als freie Autorin, Regisseurin und Bloggerin und zählt zu den Fulbright-Stipendiaten des Jahrgangs 2010/2011. Sie untersucht „Globalisierung auf Berliner Bühnen“. Ihre Theaterstücke wurden in Pittsburgh, Chicago, New York State und Augsburg aufgeführt.

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Fadrina Arpagaus

ctamler.wordpress.com/

Fadrina Arpagaus, geboren 1980 in Zürich, studierte Germanistik und Philosophie in Zürich und Berlin. Während ihres Studiums hospitierte und assistierte sie am Schauspielhaus Zürich u.a. bei Christoph Marthaler, Christoph Schlingensief und Schorsch Kamerun und in der freien Szene Berlins. Danach begann sie eine Dissertation mit dem Titel „Radikale Gefährdung. Subjektkonstitutionen in Theatertexten des 21. Jahrhunderts“ und arbeitete als Journalistin, unter anderem für "der Freitag" und Kulturkritik.ch. Zurzeit ist sie als Dramaturgieassistentin und ab nächster Spielzeit als Dramaturgin am Theater Basel engagiert, wo sie für das Schauspiel den Blog entworfen hat.

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