Tagpolitik

Es geschah in der Zeit, als die Nora beim Theatertreffen ihre Tutus raffte. Auf einmal standen da hübsch alliterierte F-Words in einer Reihe in der tt-Blog-Schlagwortwolke. Frau Frauen Freiheit. Die Frauen kamen langsam, aber gewaltig. In der Wolke, dieser Ansammlung von Artikel-Begriffen, gaben sich zu Beginn des Bloggens noch die Provinz und die Mutter fett und gewichtig, weil Iris Laufenberg den Muttertag und Katrin Schmitz ihre Provinzdifferenz beleuchtet hatten, doch schnell dominierte ein einziger Name. Herbert Fritsch wurde größer und größer, Fadrina Arpagaus verleitete das zum Ausrufen der „Herbert-Fritsch-Festspiele.“ Und obwohl das Blogteam zwei meinungs- und wortstarke US-amerikanische Mitglieder hatte, Cory Tamler und Matt Cornish, blieb die Wolke erstaunlich biodeutsch. Kein Englisch, nirgends. Die Wolke als mono-linguales Brachland. Oder nein: foreign angst und live-blog verstecken sich hinter der Kleinschreibung, aber beide beziehen sich auf deutsch-englische Mischtexte. Gilt das? Oder ist das erst recht ausgrenzend? Nach einer ausführlichen Luder-Debatte näherten sich Karin Beier und Kathrin Röggla immer mehr dem Mittelpunkt des Begriffsmonuments HF. Guttenberg streckte sich von oben, später dann auch Christoph Schlingensief. Wir müssen politischer taggen, forderte Leo Lippert auf Facebook! Wo sind meine Bildergalerien? ärgerte sich Yehuda Swed. Und ich frage mich jetzt nur noch, hinter welcher Tagpolitik sich Grete Götze und Anna Deibele verstecken. Annas Russenklischées bleiben höflich im Hintergrund, vielleicht treten ihre Audios bald hervor? Grete Götze schob Roger Vontobel mit ihrem ausführlichen Wochenendinterview in die Sichtbarkeit. Aber das Gute ist, all das kann sich noch ändern. All das bleibt in Bewegung.

Denn Schlagworte gibts genug. Von A wie Aino Laberenz bis V wie Video. Und nach einem Blick in die Tagespresse, die ich schändlicherweise in den vergangenen Wochen vernachlässigt habe, springen mir die Worte ins Gesicht, die die echte Tagpolitik gerade bestimmen: Strauss-Kahn, Osama bin Laden, Fukushima, Krieg in Libyen, Cannes. Wie konnte mich die tt Wolke bloß so verschlingen?

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Nikola Richter, Jahrgang 1976, leitet seit 2009 das Theatertreffen-Blog. Sie ist Autorin und veröffentlichte Lyrik, Prosa und Hörspiele. Als freie Redakteurin entwickelt sie insbesondere Buch- und Blogkonzepte, z.B. newplays-Blog oder Los Superdemokraticos. Wenn sie offline ist, geht sie spazieren, kocht Gemüsegerichte und versucht, Jazzgeige zu lernen. Darüber schreibt sie auch auf myfavouritestrings.wordpress.com.

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