Und grüß mir die Schwarzen

Christoph Schlingensiefs Via Intolleranza II ist weder Entwicklungshilfe noch Dokutheater, auch wenn eine Menge Afrikaner auf der Bühne stehen. Via Intolleranza II ist ein Gesamtkunstwerk, im Schlingensiefschen Sinne.

Von Ougadougou über Brüssel, Hamburg und München nach Berlin: Via Intolleranza II. Foto: Aino Laberenz

„Du kannst ihn lieben, so viel du willst, aber er ist kein guter Regisseur“, sagte vor vielen Jahren ein Freund zu mir. Doch ich selbst sehe mich noch heute außer Stande, auf Christoph Schlingensief und seine Inszenierungen die Kategorien „gut“ oder „schlecht“ anzuwenden. Er fällt bei mir noch immer durchs Bewertungsraster. Das spricht wohl gegen meine kritische Kompetenz, vielleicht aber auch für Schlingensief als Künstler. Denn ein Künstler war er, auch wenn er wie kaum ein anderer seine eigene Existenz dafür benutzte, und vielleicht macht das eine Bewertung so schwierig.

Via Intolleranza II, Christoph Schlingensiefs letzte Inszenierung vor seinem Tod, funktioniert auch ohne ihn. Schlingensief ist jetzt eine Rolle im Stück, gespielt vom langjährigen Crew-Mitglied, dem Schauspieler Stefan Kolosko. Der tut das hervorragend. Nie gibt er vor, Schlingensief zu sein, und doch schafft er es, unter den ganzen Abend eine Schlingensief-Spur zu legen.

Doch die Bühne gehört vordergründig den Schauspielern aus Burkina Faso. Via Intolleranza II beginnt mit burkinesischer Folklore, und man fühlt sich erst einmal wie auf einem interkulturellen Afrika-Abend des Goethe-Instituts. Oje, denkt man, das ist wohl ein Missverständnis. Doch auch Schlingensief denkt von Anfang an laut über die Zweifelhaftigkeit seiner Afrika-Produktion nach: Da veranstaltet er ein Schauspieler-Casting in Ougadougou, und von rund 400 Bewerbern dürfen zehn mit nach Europa. Dann ist das Boot voll. Was soll das eigentlich? Währenddessen sterben er und seine Mitarbeiter weg, das kanns doch wohl auch nicht sein. Was sind das auch für komische bunte Häuschen, die die Schwarzen da bauen? Und überhaupt, er versteht sie nicht, kann denn mal einer übersetzen?

Doch Schlingensief versucht sich nie interkultureller Kompetenz, er haut und benimmt sich daneben, verletzt sich und andere, und das ist ehrlicher als dieses ganze Entwicklungshilfegedöns des Westens, das mit falscher Reue und postimperialisitscher Hilflosigkeit sich nur schon in der Wahl des richtigen Wortes für „die Afrikaner“ verkrampft.
Das soll nicht heißen, dass Schlingensief alles richtig macht. Natürlich benutzt er Afrika. Aber er ist ehrlich genug, es zuzugeben. Sein „Bitte lasst mich euch helfen!“ zeigt deutlich, dass ihn nicht die Frage quält, wie er andere Menschen retten kann, sondern wie man als kranker, kaputter Mensch noch Liebe geben und für das Schöne eintreten kann. Man könnte jetzt sagen: Das ist klein, weil sich alles nur um ihn selbst dreht.

Aber gleichzeitig ist das groß: Schlingensief hat den Mut, sich und seine Ängste aus- und zur Disposition zu stellen. Er erzählt von der menschlichen Sehnsucht, immer Teil des Lebens zu bleiben, egal in welcher Form: „Ich habe euch nichts zu geben als meinen kranken Körper, kocht ihn, esst ihn, scheißt ihn aus und düngt damit die Felder, damit etwas Neues auf ihnen wächst.“ Dünger werden für die Welt – das bedeutet, in etwas aufgehen, das größer ist als man selbst, und das gelingt Schlingensief in Via Intolleranza II, irgendwo zwischen Versatzstücken aus Wagner und Luigi Nono, Krankenstation und Operndorf, Film und Ton, Pappkarton und billigem Stoff, zwischen Afrikanern und Behinderten, schwarzen Körpern und den großen Denkern des Westens.

Via Intolleranza II ist kein Entwicklungshilfeprojekt, sondern ein Kunstwerk, das von Angst und Krankheit erzählt. Vielleicht hat Schlingensief das selbst manchmal vergessen. Er überwindet keine Kulturgrenzen, und auch die große Verbrüderung zwischen Afrika und Europa bleibt aus. Das wird deutlich, als die Burkinesen nach dem Applaus das Publikum zum Mitsingen anregen wollen. Doch der Versuch scheitert, die große interkulturelle Sause kommt nicht zu Stande. Zum Glück. Es würde Via Intolleranza II entwerten. Denn der Abend ist Kunst, eine Kunst, die nach wie vor von der geheimnisvollen und nie versiegenden Quelle Christoph Schlingensief gespiesen wird.

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Fadrina Arpagaus, geboren 1980 in Zürich, studierte Germanistik und Philosophie in Zürich und Berlin. Während ihres Studiums hospitierte und assistierte sie am Schauspielhaus Zürich u.a. bei Christoph Marthaler, Christoph Schlingensief und Schorsch Kamerun und in der freien Szene Berlins. Danach begann sie eine Dissertation mit dem Titel „Radikale Gefährdung. Subjektkonstitutionen in Theatertexten des 21. Jahrhunderts“ und arbeitete als Journalistin, unter anderem für "der Freitag" und Kulturkritik.ch. Zurzeit ist sie als Dramaturgieassistentin und ab nächster Spielzeit als Dramaturgin am Theater Basel engagiert, wo sie für das Schauspiel den Blog entworfen hat.

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