Undurchschaubare Transparenz

Mit Simon Stones "Hotel Strindberg" hat ein 4-Stunden-Abend zum Geschlechterkampf das Theatertreffen eröffnet. Unsere Autorin erblickte hinter der Glasscheibe auch das vergiftete Herz der Theatertradition.

Mit Simon Stones „Hotel Strindberg“ hat ein 4-Stunden-Abend zum Geschlechterkampf das Theatertreffen eröffnet. Unsere Autorin erblickte hinter der Glasscheibe auch das vergiftete Herz der Theatertradition.

Dass im Theater gespielt, behauptet, zwischen Realität und Fiktion changiert werden kann – geschenkt. Umso verrückter ist es da doch, wie ein Stück Plexiglas, das wie eine vierte Wand zwischen Bühnen- und Zuschauerraum gespannt wird, dieses basale Wissen über Theater in Frage stellen kann.

Natürlich wird schnell klar: Auch in Simon Stones zwischen Wien und Basel koproduzierter Inszenierung „Hotel Strindberg“ wird gespielt und behauptet. Die Schauspieler*innen verhandeln nicht ihre Autobiographie, sind nicht persönlich und privat schon gar nicht. Und doch entlockt der Blick in diese durch Glas abgetrennten, mit sehr viel Detailliebe konstruierten, ja nahezu naturalistischen Zimmer dieses dreistöckigen Hotels, das trügerische Gefühl, man sei als Zuschauer*in nun in einer voyeuristischen Position und könne intime Situationen mitbeobachten.

Tatsächlich tummeln sich auf den weichen Hotelbetten, im Treppenhaus oder auch in der Lobby Figuren, die allesamt intime Konflikte miteinander verhandeln: Ob gescheiterte Versuche polyamouröser Beziehungskonzepte, jugendliche Lebensentwürfe voller Verdruss oder längst auseinander dividierte Ehen – diese Geschichten klingen privat. Und so mag man sich vor jener glatten Plexiglasscheibe vielleicht sogar unterbewusst über diesen voyeuristischen Blick freuen.

Ohne Furcht, ohne Mitleid

Umso beeindruckender ist es, zu beobachten, wie es die Inszenierung dramaturgisch versteht, mit diesem vermeintlichen Voyeurismus zu spielen: Denn die verhandelten Geschichten offenbaren sich dem Publikum nur fragmentarisch. Keine Figur wird biographisch linear begleitet, stattdessen flackern sie in einem konfliktreichen Höhepunkt ihres Daseins auf, ohne Auskunft zu geben über die kausalen Zusammenhänge. Dramaturgisch ebenso intelligent ist, wie sich in jedem dieser Zimmer eine andere Geschichte abspielt, jedoch meist nur eine, manchmal auch zwei, für das Publikum hörbar werden. Die Spur der Figuren verliert sich insofern schnell und wird an anderer Stelle wieder aufgenommen. Und während der* die Zuschauer*in noch in den ersten zwei Akten des Abends damit beschäftigt sein mag, dieses Puzzle, dieses Sammelsurium aus modernisierten Strindberg-Figuren zusammenbringen, eine Logik darin ausmachen zu wollen, wird er*sie im dritten und letzten Akt vor die Frage gestellt, ob das Gesehene überhaupt stückimmanent real oder – auf Strindbergs eigene Biographie rekurrierend – nur eine Wahnvorstellung war.

Die Hölle, das sind auch hier: Die Anderen. Foto (c) Sandra Then
Die Hölle, das sind auch hier: Die Anderen. Foto (c) Sandra Then

Dieses Spiel mit Schein und Sein wird beflügelt von sensationeller Schauspielkunst. Jede*r dieser Spieler*innen verkörpert gleich mehrere Figuren, die psychologisch so unterschiedlich wie komplex konstruiert sind und in ihrer Fragmentiertheit dennoch einen großen Erzählbogen verhandeln – eine wahre Herausforderung, die mit Bravour bewältigt wird. Und obwohl die Schauspieler*innen vor der gläsernen vierten Wand eine andere Welt behaupten, mag es schwerfallen, mit ihnen mitzufühlen. Das aristotelische Prinzip von Mitleid und Furcht bewahrheitet sich folglich nicht, was auch daran liegen könnte, dass die Schauspieler*innen dieses Theaterabends es vermögen, mit einer unglaublichen Pointiertheit zu interagieren oder Situationen herbeizuführen, die so überhöht erscheinen, dass ein Prozess der Einfühlung oder gar Identifikation unmöglich wird. Man denke nur an die epische Eheschlacht zwischen Caroline Peters und Martin Wuttke im zweiten Akt, die unentwegt zwischen gegenseitiger Abhängigkeit und Hass schimmert.

Reproduktion heißt: Schmerzliches wiederkäuen

Insofern operiert „Hotel Strindberg“ mit bewährten Theatermitteln, erfindet diese jedoch fortwährend neu. Nichts ist leicht zu durchschauen – trotz vorgeblich transparenter Glasscheibe. Glücklicherweise bleibt sich die Inszenierung in diesem dramaturgischen Konzept treu und beweist eindrückliche Selbstreflexion. Das scheint lange anders: Zunächst irritiert, dass viele der dargestellten männlichen Figuren übergriffig sprechen und agieren, während sich die Frauen meist unterwürfig in ihrer Opferrolle stilisieren. Und die Irritation spinnt sich weiter, auch als das Ungleichgewicht sich verschiebt und Frauen als Täterinnen gezeichnet werden, die durch ihr selbstgefälliges Handeln Männer in den Wahnsinn treiben. Schlussendlich erweist sich diese Irritation jedoch als Rückgriff auf die Biographie Strindbergs und sein höchst ambivalentes, mitunter feindliches Verhältnis gegenüber Frauen. Diese Auflösung lässt sehr lange auf sich warten und zeigt sich erst vollends im grandios gespielten Schlussmonolog Martin Wuttkes, wo noch zuvor gängige Frauen- und Männerrollen ungebrochen reproduziert wurden. Braucht es diese Reproduktion in Zeiten von me-too? Braucht es diesen Rückbezug auf einen frauenfeindlichen Strindberg beim Berliner Theatertreffen, das gerade frisch zum nächsten Jahr eine Frauenquote eingeführt hat? Vielleicht nicht. Weil Reproduktion keine Veränderung schafft. Stattdessen aber Schmerzliches wiederkäut.

Vielleicht aber ja doch. Denn wir mögen zwar gerade – wie auch der Festspiele-Intendant Thomas Oberender in seiner Eröffnungsrede zum diesjährigen Theatertreffen zuvor angeführt hatte – in einer Umbruchszeit leben, in der Macht sich langsam zu dezentralisieren und das Subalterne endlich zur Sprache zu finden beginnt, doch ist der Weg in eine diverse Gesellschaft, frei von -ismen, einer, der noch lange und bestimmt verfolgt werden muss. Insofern vermag Simon Stones Inszenierung uns wie in einem Spiegel unsere geschlechterkonfliktreiche Gegenwart, die es zu überwinden gilt, und die (auch theatrale!) Tradition, auf der sie aufbaut, in aller Ausführlichkeit vorzuhalten. Auch „Hotel Strindberg“ist folglich ein Theaterabend, an dem gespielt, behauptet und zwischen Realität und Fiktion changiert wird – und der sich doch über das eigene Medium nicht so sicher scheint, wie es zunächst den Eindruck macht.

Hotel Strindberg
von Simon Stone nach August Strindberg
aus dem Englischen von Martin Thomas Pesl

Regie: Simon Stone, Bühne und Kostüme: Alice Babidge, Licht: Michael Hofer, Dramaturgie: Klaus Missbach, Musik: Bernhard Moshammer 
Mit: Franziska Hackl, Barbara Horvath, Roland Koch, Caroline Peters, Max Rothbart, Michael Wächter, Martin Wuttke, Simon Zagermann, Aenne Schwarz

Koproduktion von Burgtheater Wien und Theater Basel

www.burgtheater.at

Read an English language review of the same night by our author Nicholas Potter here.

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Antigone Akgün

Antigone Akgün, geboren 1993 in Frankfurt am Main, ist freiberufliche Performerin, Autorin und Dramaturgin. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Klassische Archäologie, Griechische Philologie und Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt und absolvierte einen Masterstudiengang für Dramaturgie an der Hessischen Theaterakademie. Zuvor absolvierte sie eine Schauspielausbildung in Griechenland.
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Antigone Akgün, born in Frankfurt/Main in 1993, is a freelance performer, author and dramaturg. She studied theatre, film and media studies, classical archaeology, Greek philology and philosophy at Goethe University Frankfurt and obtained a Master’s degree in dramaturgy from the Hessian Theatre Academy. Previously, she trained as an actor in Greece.

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