Bildungsproletariat

"der penner ist jetzt schon wieder woanders" von Juri Sternburg mit Igor (Jörg Pohl), Gott (Michael Schweighöfer) und Andrej (Mirco Kreibich). Foto: Piero Chiussi

Die Frage „Was wollte uns der Autor damit sagen?“ interessiert heute keinen mehr. Fragen wir lieber den Text. Das Stückemarkt-Stück Nummer IV „der penner ist jetzt schon wieder woanders“ von Juri Sternburg war zu einem Gespräch bereit – natürlich schriftlich.

Fadrina: Dein voller Name „der penner ist jetzt schon wieder woanders“ ist ganz schön lang. Darf ich dich der Einfachheit halber einfach „penner“ nennen?

„der penner“: ja klar. kann ich dafür in kleinbuchstaben antworten?

Fadrina: Natürlich. Ist es ok, wenn wir uns duzen?

„der penner“: sicher. ich bin ja im nächtlichen kreuzberg unterwegs, da siezt man sich sowieso nicht. und geboren bin ich in goa (oder sagt man auf goa?) in indien. das klingt jetzt kitschig, aber ich bin wirklich auf einem felsen am meer einfach aus der feder geflossen, da gabs keine krämpfe, keine geburtswehen.

Fadrina: Klingt idyllisch. Das würde man gar nicht glauben, wenn man dich liest. Du bist ja teilweise ganz schön aggressiv.

Interview mit einem Text. Foto: Fadrina Arpagaus

„der penner“: ja, andrej und igor, meine zwei ichs, treiben dunkle fragen an. aber sie haben auch witz, einen brutalen humor, und diese seite mag ich an mir am liebsten. juri, mein autor, ist ständig im berliner nachtleben unterwegs, er arbeitet als barkeeper im „king kong club“. da kommt einiges an absurden situationen zusammen.

Fadrina: Wie ist denn die Beziehung zu deinem Autor Juri Sternburg?

„der penner“: juri ist super. wir verstehen uns wirklich gut, das liegt vielleicht auch daran, dass ich eines seiner ersten kinder bin. ich habe zwar noch ein paar geschwister, die als hörspiele arbeiten, und eine menge halbgeschwister, alles kolumnen bei der taz, aber in stückform bin ich juris erstling.

Fadrina: Gestern bist du zum ersten Mal in Berlin szenisch gelesen worden. David Bösch hat Regie geführt – wie war die Zusammenarbeit?

„der penner“: schwierig. es tut weh, so sehr gekürzt zu werden. ich könnte es ja noch verkraften, wenn’s mich besser machen würde, aber die haben meinen humor überhaupt nicht verstanden. zum beispiel kam der spruch „walrecht für aale“ überhaupt nicht rüber. oder „shakespeare-wochen bei mcdonalds – der mcbeth für nur 2.99 euro“ haben sie einfach rausgenommen!

Fadrina: Ja, das fand ich auch schade. Und bei dir geht’s ja eigentlich ganz schön blutig zu und her, du erinnerst mich manchmal an ein Splatter-Movie in Textform. Bei der Lesung blieb aber alles clean, die Wände weiss. Hättest du gerne mehr Blut gesehen?

„der penner“: ich bin ja schon einmal szenisch gelesen worden, da hat man mich als abendmahl mit unmengen von ketchup inszeniert. davon komme ich jetzt gerade nicht los. aber vielleicht muss ich einfach offener werden.

Fadrina: Naja, dass dir Ketchup gefällt, ist schon ziemlich pubertär…

„der penner“: na hör mal! willst du eins in die fresse?

Interview mit einem markierten Text. Foto: Fadrina Arpagaus

Fadrina: Puuh, du bist ja schon wieder so aggressiv. Hast du ein Messer dabei? Ich habe echt keine Lust, so übel ums Leben zu kommen wie deine Figuren.

„der penner“: ja, ich bin brutal, aber die brutalität watet ja tief in der ironie. und den toten trauert bestimmt keiner nach. wer daran glauben muss, sind ein versnobter verleger, der denkt, nur weil ich so rede wie ein proll, hätte ich nichts zu sagen. dabei hab ich cicero gelesen! ich bin das bildungsproletariat! und ein schwarzer sprüher, der dem system die schuld für sein verschissenes leben im untergrund gibt. dabei ist er selber das problem. und dann müssen nur noch eine verkokste, äh verkorkste russenoma, ein polizist und ein biederes touristenpärchen daran glauben. dann tritt ja schon gott auf.

Fadrina: Tut mir leid, wenn ich jetzt mit alten Kamellen auffahre, aber dass Gott als Figur im Stück auftritt, ist ja keine neue Idee. Das haben Brecht, Borchert, Karl Kraus und andere schon gemacht. Da bist du nicht gerade originell.

„der penner“: und dass gott so mies in der u-bahn erdrosselt wird? ist das nichts neues? das hat nicht einmal tarantino geschafft! in den alten stücken ist gott immer so ein resignierter alter typ, der einsehen muss, dass er das böse nicht verhindern konnte. bei mir liest gott wenigstens arthur conan doyle. und er sieht die wildesten zukunftsszenarien vor sich, zum beispiel, wie afrika als vereinigter kontinent gegen europa stürmt. trotzdem ist gott ein krüppel, der sterben muss. das ist doch ganz was anderes als bei diesem club der alten dichter!

Fadrina: Ein Generationenkonflikt?

„der penner“: nö. gott ist und bleibt ein penner. ich bin ein narzisst, der sich ständig selber fertig macht.

Fadrina: Und was machst du heute?

„der penner“: erst mal eine rauchen. mal schauen, ob noch gras da ist. dann warte ich, bis juri aufwacht – und dann quatschen wir vielleicht ein bisschen.

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Fadrina Arpagaus, geboren 1980 in Zürich, studierte Germanistik und Philosophie in Zürich und Berlin. Während ihres Studiums hospitierte und assistierte sie am Schauspielhaus Zürich u.a. bei Christoph Marthaler, Christoph Schlingensief und Schorsch Kamerun und in der freien Szene Berlins. Danach begann sie eine Dissertation mit dem Titel „Radikale Gefährdung. Subjektkonstitutionen in Theatertexten des 21. Jahrhunderts“ und arbeitete als Journalistin, unter anderem für "der Freitag" und Kulturkritik.ch. Zurzeit ist sie als Dramaturgieassistentin und ab nächster Spielzeit als Dramaturgin am Theater Basel engagiert, wo sie für das Schauspiel den Blog entworfen hat.

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