Borkman (6) – Das Ende einer Ära

Gestern fand die 25. und letzte Vorstellung der Borkman-Saga von und mit und um Vegard Vinge statt. Die letzen beiden Wochen haben wir Blogger jede einzelne Vorstellung twitternd/zeichnend/fotografierend und schreibend begleitet, ich bin nun die letzte in der Runde.
Ich bin erschlagen von diesem Abend (oder muss man es schon „Tag“ nennen, bei zwölf Stunden Dauertheater?). Es war einfach zu viel von allem – auf die bestmögliche und überwältigendste Art. Über John Gabriel Borkman habe ich zwar nichts erfahren, aber das war mir völlig egal.
Man könnte hier jetzt auch ein paar tausend Zeichen über das Bühnenbild schreiben, mit all seinen Details und der wunderbaren Theatermalerei, oder über die Masken, oder über Vinges Schweinereien, aber das haben andere schon. Was mich wirklich umgehauen hat, waren die Geräusche, die Musik, die Laute. Es wird kaum gesprochen, ab und zu ein Satz, der dann gern auch wiederholt wird (so zum Beispiel „ Das Gesetz kennt keine Ausnahme“, schätzungsweise an die 300 Mal).
Die Schauspieler selbst geben überhaupt keinen Laut von sich – sie werden synchronisiert durch verzerrte Stimmen, teilweise spricht Vinge selbst. Das Besondere ist, dass jeder der Charaktere, also Erhart, der Sohn Borkmans, Borkmans Ehefrau und ihre Schwester (Borkmans Geliebte) und auch Vegard Vinge (mehr Zirkusdirektor als Figur) jeweils durch ganz bestimmte Geräusche gekennzeichnet sind. Die Körperhaltung jeder Figur ist spezifisch und somit auch ihr Gang unterschiedlich – konsequenterweise ist jedem Charakter ein anderer Sound zugeordnet – ein Schritt, ein Geräusch. Dies führt dazu, dass man die Augen schließen kann und weiß, wer sich gerade auf der Bühne befindet. Ein Leitmotiv, wie bei Wagners Ring der Nibelungen.
Überhaupt spielt Richard Wagner eine wichtige Rolle während der zwölf Stunden: Am Anfang der Vorstellung hört man die Parsifal-Ouvertüre. Wagners letztes Bühnenwerk ist ja für eine gewisse Handlungsarmut, aber dafür umso mehr musikalische Intensität, bekannt – Vinge warnt einen also vor.Im Laufe der Aufführung werden fast alle Wagner-Opern verwurstet, allerdings nur Ouvertüren und Zwischenspiele, das dramatische Gesinge bleibt einem erspart. Neben dem schon erwähnten Parsifal, kommen auch „Lohengrin“ (das ist die Oper mit dem Schwan und der Identitätsproblematik), drei von vier Teilen des Rings (oder habe ich Siegfried einfach nur überhört?) und „Der fliegende Holländer“ zum Einsatz. Als in einer Szene plötzlich ein 30-Mann-Orchester in Skelettkostümen und mit Pappinstrumenten bewaffnet auf der Bühne stand, war ich schon bereit für die nächste Wagnersche Schöpfung ­– und wurde überrascht: Mozarts Requiem.
Doch nicht nur die „E-Musik“, auch die „U-Musik“ bekommt ihren Platz, so sind beispielsweise die Szenen in Erharts Kinderzimmer mit A-HAs „Living a Boys Adventure Tale“ unterlegt. Aber auch Chartstürmer der letzten Jahre kommen zum Einsatz, Owl City mit „Fireflies“ zum Beispiel. Eingestreut finden sich auch noch eine Paganini-Caprice, Klaviersonaten der üblichen Verdächtigen (Beethoven, Schubert), der Donauwalzer, gegen Ende auch Filmmusik der übleren („Fluch der Karibik“) und weniger („E.T.“) übleren Sorte, ein bisschen aus Puccini´s „La Boheme“ (Wagner war wohl alle), Techno von DJ Tiesto und einiges mir Unbekanntes (hat jemand noch mehr erkannt?).
Mein Fazit: Nicht nur visuell und inhaltlich, sondern auch akustisch schwer zu durchdringen, dieser Borkman! Und trotzdem freue ich mich schon auf weitere theatrale Herausforderungen aus dem Hause Vinge & Müller. Nächstes Jahr schon beim TT vielleicht?

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Magdalena Hiller

www.viertewand.at

Magdalena Hiller, geboren 1989 in Wien, studiert Wirtschaftsrecht – hat aber privat eher wenig mit der Juristerei zu tun. Vielmehr ist ihre Hauptbeschäftigung der exzessive Besuch von Theater- und Opernvorführungen aller Art. Nach Hospitanzen und Assistenzen am Schauspielhaus Wien und Büroarbeit der interessanteren Sorte bei den Salzburger Festspielen, gründete sie 2011 ihren Kulturblog „Vierte Wand", der die Wiener Theaterszene ergründet.

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