Den Unsinn ernst nehmen

Mit seinem neu-dadaistischen „Pfusch“ nimmt Herbert Fritsch Abschied von der Berliner Volksbühne – und feiert seine nunmehr siebte Theatertreffen-Einladung. Unser Autor sah einen Höhepunkt des Festivals.

Mit seinem neu-dadaistischen „Pfusch“ nimmt Herbert Fritsch Abschied von der Berliner Volksbühne – und feiert seine nunmehr siebte Theatertreffen-Einladung. Unser Autor sah einen Höhepunkt des Festivals.

Schon der erste Auftritt in Herbert Fritschs „Pfusch“ an der Volksbühne will nicht so recht gelingen. Aus einem gewaltigen, liegenden Metallzylinder stolziert, stöckelt und purzelt Herbert Fritschs Ensemble. Die Schauspieler*innen kokettieren verschämt, grinsen schüchtern, zupfen an ihren Kleidchen und Perücken herum und starren halb debil ins Publikum. Es präsentiert sich eine unheimlich-komische Puppenclique, die wie eine creepy Mischung aus Omas, Kindern und Clowns herumstakt.

Zum Start der folgenden Nummernrevue wird der gewaltige Zylinder durch den leeren Bühnenraum gerollt, ein sinnloses Hin-und-Her, das durch die Drehbühne endgültig ad absurdum geführt wird. Mit aufgerissenen Augen und hektisch-steifer Gestik laufen die Schauspieler*innen ihren eigenen Händen, Füßen und Zungen hinterher, die sich immerzu selbstständig machen wollen. Sie rollen über den Zylinder und purzeln sich im letzten Moment schnell aus der Gefahrenzone. Im zweiten Anlauf gelingt es Carol Schuler, sich auf den Zylinder zu werfen, wo sie herumstakst und ängstlich-stolz grinst, während ihre Zunge schon wieder ganz, ganz andere Pläne hat.

Höchste Präzision

Es folgt eine Nummer in der Tradition „avantgardistischer Unsinn mit Klavieren“. Die Wahnsinnstruppe rauscht zum Bühnenrand, wo zehn verstimmte Klaviere aus dem Boden fahren, auf denen Cluster-Techno gespielt wird. „Heute gibt’s nur Achtel“, ist die Ansage. Die Rhythmus-Klang-Nummer wird mit schrillem Lachen und übertrieben strahlendem Dauergrinsen aufgepeppt. Es ist ein skelettklappernder Wahnsinnsritt, der aus der Geisterbahn ins Wunderland führt.

Zwischendurch geht’s wieder zurück zum Zylinder, auf den SCHÖN geschrieben und als nächstes sinnbildlich platt gewälzt wird. Schön ist das ja auch nicht. Dafür aber extrem verspielt. Was müssen die auf den Proben für einen Spaß gehabt haben: Einmal den ganzen Tiefsinn und Ernst über Bord werfen und drauf los horsten – Das muss befreien! Dabei ist alles genau einstudiert und keine Geste rutscht in die Beliebigkeit: Der Abend ist mit höchster Präzision gesetzter Unsinn.

Illustration (c) Alexandra Klobouk.

In Schaumstoffbademode der großartigen Victoria Behr wird im zweiten Teil auf einem im Boden versenkten Trampolin geturnt. Die Fritschianer*innen sind jetzt Teilnehmer*innen des Jahrgangsfests eines Turnvereins, das wegen guten Wetters dieses Jahr im Freibad stattfindet. In einer seltsamen Mischung aus turnerischer Strenge, hängenden Schultern und verkrampften Armen werden Übungen absolviert, herumgehüpft und ums Becken gewackelt. Die Bewegungen folgen genauen Regeln, die einerseits vom Kostüm, andererseits von Stummfilm, Turnen und einer puppenhaften Geometrie vorgegeben werden. Für noch mehr Freibadstimmung füllen sie die Trampolinsenke mit quadratischen blauen Schaumstoffwürfeln und montieren ein Sprungbrett. Nach allen denkbaren Fällen des Scheiterns schafft es Wolfram Koch tatsächlich bis zum Absprung, doch dabei bricht das Brett und er fällt in einem Knoten aus Armen und Beinen kopfüber ins Becken, sodass schließlich zwei nackte Beine aus dem Pool ragen.

Warum? – Einfach so. Wie? – Konsequent.

„Pfusch“ ist dadaistisch absurd und unfassbar leicht. Es ist urkomisch und das erstaunlicherweise, ohne sich über irgendwen lustig zu machen, ohne sexistisch oder sonst wie abwertend zu sein. Es versucht auch nicht ironisch oder bildhaft irgendeinen tieferen Sinn begreifbar zu machen. Unterm Sinn liegen zwar Wahnsinn, Blödsinn und Schwachsinn, vor ihnen braucht man aber keinerlei Angst zu haben. Niemand fällt ins Nichts. Denn in der Tiefe ist ein Trampolin, das einen spritzig wieder in die Luft federt. „Pfusch“ beflügelt, indem es einlädt dem Unsinn der Welt einfach mal freie Bahn zu lassen, sich ganz in ihn einzulassen und abstruse Dinge zu tun. Warum? – Einfach so. Wie? – Konsequent.

Das Ende von „Pfusch“ wird dann aber unerwartet ernst oder so ernst, wie es bei Fritsch eben werden kann. Es ist schließlich Herbert Fritschs Abschiedsstück an der Volksbühne. Die Schauspieler*innen treten einzeln an die Rampe, winken und sagen Tschüss. Das Produktionsteam sagt Tschüss. Herbert Fritsch sagt Tschüss. Dann fährt der eiserne Vorhang herunter und setzt mit einem dumpfen Schlag auf, der sich zu einem gewaltigen Donnergrollen steigert, das fast den kräftigen und langen Applaus übertönt. Es ist das Donnern vom Start der Rakete, die sich mit dem Volksbühnenensemble nach Castorf-Centauri aufmacht.

Pfusch
von Herbert Fritsch
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Licht: Torsten König, Musik: Ingo Günther, Ton: Jörg Wilkendorf, Dramaturgie: Sabrina Zwach.
Mit: Florian Anderer, Jan Bluthardt, Werner Eng, Ingo Günther, Wolfram Koch, Annika Meier, Ruth Rosenfeld, Carol Schuler, Varia Sjöström, Stefan Staudinger, Komi Mizrajim Togbonou, Axel Wandtke, Hubert Wild.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

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Johannes Siegmund

1987, Philosoph, Autor, Wien. Arbeitet an Formaten, die Philosophie, Kunst und Politik verbinden: Redakteur bei der Zeitschrift für politisch-philosophische Einmischungen engagée, Teil des Kollektivs philosophy unbound, Kritiken für die nachtkritik. Er schreibt an der Universität der bildenden Künste Wien an seiner Promotion "Philosophie der Flucht" und unterrichtet politische Theorie an der Universität Wien.

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