Drei Fragen an Martin Kušej

Wir haben die Regisseure der zum tt09 eingeladenen Inszenierungen um einen kurzen Blog-Beitrag gebeten, indem wir ihnen eine Frage stellten. Der 1961 in Kärnten geborene Martin Kušej erklärt, warum er den österreichischen Autor Karl Schönherr ablehnt, aber doch spannend findet.

Der Weibsteufel, Burgtheater Wien. Foto: Georg Soulek

Das Spiel mit Naturgewalten: Birgit Minichmayr (Weib), Nicholas Ofczarek (Junger Grenzjäger) in "Der Weibsteufel", Burgtheater Wien. Foto: Georg Soulek

Was interessiert Sie an ideologisch verbrämten Stücken?

Ideologie hat momentan tatsächlich etwas Antiquiertes und die meisten jungen Theatermacher fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser… Gleichzeitig fällt deren „Ideologie-Kritik“ meistens extrem kraftlos aus, bewegt sich im Ungefähren, Unverbindlichen, Allgemeinen. Mich interessiert an diesem Komplex natürlich auch, dass mein Widerstandsgeist auf den Plan gerufen wird (was halt auch eine gewisse humanistische Bildung bedingt und in dieser Tradition, wenn man so will, sehe ich mich schon); andererseits verbirgt sich hinter dem Schreckgespenst Ideologie oft auch einfach eine Haltung, eine Idee, eine klare Forderung nach Veränderung oder Utopie. Das sind für mich unbedingt wichtige Bestandteile meiner Arbeit.

Im speziellen Fall von Karl Schönherr ist die Ideologie natürlich eine abzulehnende. Da springe ich einfach mal über meinen Schatten – nämlich, das was man früher altmodisch die „Intention des Autors“ genannt hat, auch szenisch umzusetzen – und helfe diesem eminent theatralischen und hochemotionalen Dichter ein bisschen auf die Sprünge. Ich kann ja die einhundertjährige Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Denkens nicht ignorieren. So zeigt sich, dass jenseits seiner „verbrämenden“ Ideologie tatsächlich ein toller Autor zu finden ist, der einfach ganz grundsätzliche, fast archaisch anmutende Problemfelder des Menschen thematisiert. Diese tief in uns verankerten Abgründe die Geschlechtlichkeit, die Identität oder den Glauben betreffend, lotet er sehr gnadenlos aus – und wie meine Erfahrung zeigt, löst das auch immer noch ein enormes Interesse aus.

Sie inszenieren gerne österreichische Groß-Autoren: Lieben Sie Ihre Heimat?

In dieser Frage ist genau das enthalten, was mich stört. Sprechen wir von österreichischer Literatur, hat das in Deutschland schnell so einen folkloristisch-touristischen Touch… Mir geht es immer in erster Linie darum – und da entwickle ich einen gewissen missionarischen Eifer, der zugegebenermaßen meist zu frustrierenden Resultaten führt – die österreichische Dramatik als integrativen und gleichberechtigten Bestandteil der deutschsprachigen Literatur zu etablieren. Vor allem Grillparzer und Nestroy werden noch immer schlichtweg ignoriert. Dabei gibt es gerade aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wenige Dichter, die so scharf und intelligent Fragen zu Gesellschaft und Ästhetik formuliert haben wie Grillparzer, oder so böse und abgründig-komisch die Zeitläufte zwischen Wiener Kongress und der 1848er Revolution analysieren wie Nestroy. Außerdem sind heutige österreichische Autoren wie Handke, Turrini oder Jelinek gar nicht denkbar ohne diese Vorreiter. Übrigens auch nicht in weiterer Folge Werner Schwab oder – ganz aktuell und immerhin jetzt sogar in Deutschland hip – Ewald Palmetshofer oder Händl Klaus…

Aber um nochmal kurz auf den zweiten Teil der Frage zurückzukommen: Nein, ich liebe meine Heimat nicht! Ich werde sie aber auch nicht richtig los – und ich denke, dass das auch ziemlich genau der Kreuzungspunkt mit den meisten österreichischen Autoren ist. Da herrscht sicher eine Art Seelenverwandtschaft, die mir dann auch deren Stücke besonders nahe bringt.

Sind Geschlechterrollen eine Naturgewalt?

Ja, wenn man diese komisch formulierte Frage einfach mal so ungebrochen zulässt, dann: Ja! Das ist genau die extreme Grenzzone, in die uns Schönherr – durchaus gegen unsere aufgeklärten und freudianisch geprägten Ansichten – einfach mal so überfallsartig hineinzieht. Ich beobachte das bei jeder einzelnen Aufführung vom „Weibsteufel“ und es ist wirklich äußerst faszinierend, wie sich innerhalb von eineinhalb Stunden unter hunderten Zusehern ein klarer gemeinsamer Konsens einstellt, einen tiefen Blick in die eigene Erfahrungswelt, in die eigene Seelenlandschaft getan zu haben. Schönherr scheint eine sehr simple und wenig komplexe Sprache zu benutzen; auch die Konstellation seiner Charaktere ist erst einmal nicht besonders umwerfend. Und doch schafft er es, wie ein besonders raffinierter Komponist, eine Art hochdramatischer Musik zu erzeugen, der man bald hilflos ausgesetzt ist und in deren Gefühlswelten man sich herrlich verlieren kann. Dazu kommen noch die drei unglaublich konzentrierten und auf höchstem Niveau spielenden Schauspieler – ja, ich glaube, da wird sowas wie „Naturgewalt“ dargestellt! Etwas, das jeder in sich spürt und das ab und an mal auch raus will…

–––

Martin Kušej

Alle Artikel