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Gestern, bei der Premiere von „Das Fest”, einer Produktion des Stuttgarter Staatstheaters, ist es wieder passiert: Ein Schauspieler klettert in den Zuschauerraum zwischen die Sitzreihen und fordert eine Zuschauerin auf, seine Jugendliebe zu spielen. Hier auf dem Theatertreffen mag das ein vereinzelter Fall von plumper Publikumsbeteiligung sein, in Stuttgart passiert das ständig.
Ein höchst subjektiver Beitrag zu Mitmachtheater im schwäbischen Raum und in dieser Form auch generell.
Letztens hat mir ein Bekannter ganz freudig erzählt, er hätte jetzt ein Bierbrau-Set für zuhause.
Leider musste er mit seiner Begeisterung alleine bleiben.
Ich persönlich möchte nicht interaktiv in den Prozess von Hopfengärung eintreten.
Ich kaufe mein Bier gerne im Supermarkt. Und ich kann mich ebenfalls nicht erinnern, dass es mich dort ganz irre in den Fingern gejuckt hätte, selbst hinter der Kasse Platz zu nehmen, um meinen Einkauf einzuscannen.
Genauso wenig interessiert es mich aktiver Teil meiner eigenen Zahnvorsorgeuntersuchung zu sein.
Ich muss nicht in alle Vorgänge des Alltags noch aktiver mit eingebunden werden, als ich es sowieso schon bin. Ich stehe schließlich in der Supermarktschlange und lege das Bier aufs Band, damit es nicht umkippt, während es gen Kasse wandert. Ich bin es, die auf dem Zahnarztstuhl liegt und den Arzt in meinem Mund rumfuhrwerken lässt. Mein Part innerhalb dieser ärztlichen Interaktion ist es, darauf zu achten, dass er keine Restdünstungen vom Vortagsfeierabendbier abbekommt.
In keinem dieser Momente wollte ich inbrünstig rufen: „Ich fühle mich so schrecklich interpassiv.“
Das gilt auch für Theaterbesuche.
Ich möchte nicht, dass mein Gesicht abgefilmt auf der Bühne projiziert wird und ich möchte auch nicht spontan mit Schauspielern eine Runde über die Bretter egal welcher Welt tanzen.
Ich kann Zuschauerbeteiligung im Theater nicht ausstehen, weil…
Ja, Überraschung, Überraschung, das hätte jetzt wirklich niemand geahnt, dass es sich gerade bei diesem Beitrag, um einen interaktiven Text handelt.
Schreiben sie einfach selber weiter, aber vorher sage ich ihnen noch ganz genau, was hier dann stehen soll. Man möchte es ja nicht übertreiben mit der Publikums- bzw. Leserbeteiligung.
Genau diese Haltung ist der Grund, warum ich selten tiefer ins Sitzpolster sinke, als wenn im Zuschauerraum das Licht angeht, obwohl die Vorstellung noch nicht zu Ende sein kann und Schauspieler mit suchenden Blicken durch die Sitzreihen streifen.
Die Vorsilbe Inter- bedeutet übrigens „zwischen, dazwischen“. Eine wortgemäße Umsetzung würde erfordern, dass etwas zwischen zwei Instanzen stattfindet, dadurch, dass beide in eine Handlung oder Verhandlung miteinander eintreten. Meine Erlebnisse zeugen eher davon, dass ich stattdessen in eine Aktion getreten wurde.
Mein posttraumatischer Erfahrungsschatz ist breit, aber ich werde mich auf ein paar markante Beispiele beschränken.
Ein Highlight war die Inszenierung von „Das kalte Herz“ in der Regie von Armin Petras, wo eine beachtliche Menge des Publikums für einen gemeinsamen Reigen volkstümlicher Tänze auf die Bühne geladen wurde. Mir wurde schon beim bloßen Zuschauen dieses Spektakels ganz anders. Warum sollte ich auf einer Theaterbühne während eines Stückes tanzen wollen. Vor allem in dem Bewußtsein, dass das gerade von mir gewollt wird.
Ungefähr genauso viel Mehrwert sah ich in „Kongo Müller“, einer Produktion des Stuttgarter Off-Theaters RMPE, darin, auf Aufforderung des Schauspielers Laurenz Leky gemeinsam mit dem restlichen Publikum vorformulierte Beschimpfungen auf die Bühne zu proleten.
Das war wirklich höchst beeindruckend, als der sowieso schon dünn besiedelte Zuschauerraum beschämt piepsen musste, was der Schauspieler für ein Vollpfosten sei. Selten wurde mir die potentiell kritische Dynamik von (in diesem Fall nicht vorhandenen) Menschenmassen, die vorgefertigte Vorurteile flüstern, so eindrucksvoll präsentiert.
Interaktiver Part Teil 2: Unterstreichen sie im vorhergegangenen Abschnitt alle Worte, die einen Befehl implizieren.
Mir ist klar, was mir in diesen Momenten meiner Beteiligung klar gemacht werden soll.
(Sie können dem Folgenden beim Lesen eine leiernde Tonspur in ihrem Kopf hinzufügen).
Das, was auf der Bühne geschieht, passiert nicht in einem abgetrennten fiktiven Raum, von dem ich durch meine Zuschauerposition isoliert bin, sondern betrifft mich unmittelbar.
Ich bin Teil des Systems, das die Inszenierung möglicherweise kritisiert. Ich erkenne, dass ich in meiner Zuschauerpassivität dieses fiese System, was ich da im Wohlfühlmodus verurteile, aktiv am Leben erhalte.
Ich soll verstehen, dass ich aus meiner Zuschauerrolle heraustreten kann. Wenn ich das im Theater kapiere, schaue ich vielleicht auch in der Realität nicht mehr nur zu.
Kleine Erfrischungsaufgabe für zwischendurch: Bringen Sie den letzten Textblock in eine Reimform.
Dann könnte man einen Songwriter beauftragen, um daraus ein Schunkellied komponieren. Maximal bühnengrenzenüberwindend würde das gesamte Publikum in einer Polonaise durchs Theater ziehen und könnte diese Erkenntnis durch auditive Wiederholung und gleichzeitige Bewegung auch im motorischen Gedächtnis tief verinnerlichen.
Polonaise, Bolognese – ist letztendlich Geschmackssache.
Es ist nicht so, dass man mir Publikumsbeteiligung nicht schmackhaft machen könnte, aber nicht, wenn sie wie eine vorgekaute pädagogische Maßnahme schmeckt.
Und nur gegen diese Art der Pseudo-Interaktion richtet sich dieser Text.
Es gibt selbstverständlich auch sehr gelungene Umsetzungen der Frage, wie man das Publikum mitdenken kann.
Die gelingen vor allem, weil sie mitdenken, dass auch das Publikum zur Selbstreflektion fähig ist.
Mitdenken im Theater ist für mich persönlich nämlich das Pendant zum Liegen auf dem Zahnarztstuhl. Ich präpariere mein Gehirn quasi mit Zahnpasta und -Seide vor dem Theaterbesuch. Dann langweilt es mich zutiefst, wenn mir dauernd erneut vorgeführt wird, dass kreisende Putzbewegungen zum besten Ergebnis führen.
Dann doch lieber das Bierbrau-Set für zu Hause.