Ich, Kritikerin.

„Othello c´est qui“, Gewinnerstück des letztjährigen Theater Festival Impulse, hinterfragt die europäische Sucht nach theatralen Klassikerinterpretationen. Mit Tanz, Zitaten und Geschichten aus dem Leben der Protagonisten öffnet es den kulturellen Horizont des Publikums. tt-Bloggerin Alexandra Müller fühlte sich davon inspiriert, ihr eigenes Theaterkritisieren unter die Lupe zu nehmen. Na, dann.

Kritiker zu sein ist eigentlich eine saublöde Sache. Zum Beispiel: Ich sitze jetzt um 8.50 Uhr in meiner Küche am Fenster, auf dem Herd kocht der erste Kaffee und ich soll über „Othello c´est qui“ von Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen schreiben. Das habe ich gestern Abend noch gesehen, leider schon sehr müde. Dabei hat es Aufmerksamkeit verdient, dieses Stück, das hier ist, weil es den Preis des „Theater Festival Impulse“ gewonnen hat.

An dieser Stelle muss ich es nun kompetent beschreiben. Das ist blöderweise gleichzeitig das Wichtigste und das Schwierigste. Falls Sie das Stück nämlich nicht gesehen haben, sind Sie darauf angewiesen, wie ich den Abend beschreibe. Zum Beispiel ist es wichtig zu wissen, dass den weiblichen Part Cornelia Dörr übernahm, die weiß ist und den männlichen Part der afrikanische Tänzer und Choreograph Franck Edmond Yao.

Aber wie erkläre ich, dass das Stück keinen traditionellen Text hatte, sondern eine Simultanübersetzung war: Yao erzählt auf Französisch, Dörr übersetzt das, unterhält sich aber auch mit ihm und übersetzt das wiederum dem Publikum? Und dann natürlich Othello: Das ganze Stück ist eine Annäherung an den Mythos Othello – und seine Europa-Lastigkeit.

Kennst du Othello? Non.

Yao erzählt zu Beginn, dass er die Rolle des Othello angeboten bekommen habe. Die Rolle eines Schwarzen. Eine Rolle, die in Deutschland alle großen Schauspieler spielen wollten. Er habe daraufhin Freunde in Afrika angerufen und sie gefragt, ob sie Othello kännten. Die Antwort sei jedes Mal gewesen: „Non!“

Wie soll ich erklären, was danach kommt, diese leise, kluge Befragung des „Othello“, die Befragung des Klassiker-Spielens überhaupt, wie Dörr sie in einem langen Selbsterfahrungs-Monolog mit „Maria Stuart“-Einsprenkseln vornimmt. Und der Humor muss ja auch noch mit rein! Der Humor, der entsteht, wenn Dörr sich in Alexander Scheers Othello verwandelt und mit dem genuschelten Ausruf: „Taschentuch“ die Wand der Seitenbühne hochkrabbelt.

Gleichzeitig soll ich in diesen Beschreibungen schon eine leise Hinführung zu meiner Kritik verpacken. Und darf dabei nicht „interessant“ sagen, nicht „wundervoll“, „toll“ oder „schön“. Das ist alles zu belanglos und wird „Othello c’est qui“ auch nicht gerecht.

„Ich habe das getan, um euch zu erklären, wie Othello ist.“

Wenn ich beschreibe, wie die beiden Spieler ganz langsam hinübergleiten in etwas, von dem man nicht mehr weiß, ob es nun echte Erfahrungen sind oder Spiel, dann sollen Sie schon die Verstörung verspüren, die das trotz Müdigkeit bei mir ausgelöst hat: Yao erzählt, wie „die Ehre“ beschädigt werden kann, wenn ein Freund Gerüchte über die eigene Freundin verbreitet – zum Beispiel, dass sie fremdgegangen sei. Gelangen diese Gerüchte zu den Eltern, dann sei das eine schlimme Verletzung, dann müsse man etwas unternehmen. Zum Beispiel diese Frau bestrafen.

Noch während der Wechsel zwischen melodischem Französisch und deutscher Übersetzung über das Publikum hinweggleitet, geht der athletische Yao plötzlich auf die schmale Dörr los. Er reißt an ihren Haaren, schreit sie auf Französisch an, springt um sie herum, so dass sie sich nur noch wegducken kann. Er treibt sie in die Enge.

Kurzum:

Ist das lebendig genug? Trifft das den Punkt? Oder müsste ich kritischer sein? Erklärt es, was meine Faszination ausgemacht hat? Oder erklärt es nur, „wie Othello ist“? Das sagt Yao nämlich am Ende, bedankt sich, und die beiden Schauspieler verbeugen sich. Genauso wie ich mich hier schleunigst verbeugen sollte und den Text mit einem möglichst knackigen Satz verlassen sollte. 3000 Zeichen sind schon lange weg. Eigentlich sollte das ja kurz werden – das gibt wieder Schelte in der Redaktionssitzung. So ist das nämlich, in der Kritik, saublöd. Aber wenigstens darf ich mir solche Stücke anschauen.

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Alexandra Müller

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