Die Berliner Festspiele haben eine neue Reihe: Immersion. Auch auf dem Theatertreffen geistert das Wort umher und liegt als Magazin auf den Tischen. Aber was ist das eigentlich? Eine Begriffsgeschichte.
Was kommt beim Stichwort Immersion als erstes in den Sinn?
Nerdige Gamer, die virtuelle Welten mit der Realität verwechseln und sich illusionistisch in Post-Arcade-Hallen verlieren, sagen die einen. Ach, eine klägliche Begriffsmode aus dem angelsächsischen Raum, sagen die anderen und wenden sich wieder dem Guckkasten zu.
Im Wortsinn ist die immersive Erfahrung (lat. immersio) ein Eintauchen in ein fluides Medium, das den Körper umschließt, ein Erleben total absorbieren kann. Total? Hm. Neigt die Etymologie nicht immer ein wenig zur Übertreibung? Emphatische Antwort: Ja, durchaus!
In jüngerer Vergangenheit schwappte die Immersion vonseiten der Media und Game Studies in die kulturwissenschaftlichen Diskurse hinein: Computerspiele und Video-Screen (1990er-Erreger), Ego-Shooter (Nullerjahre-Disput), Virtual Reality und diese seltsamen Brillen (angekommen im Jetztzeitkontinuum).
Ein längerfristiger Blick auf die Kulturgeschichte(n) zeigt aber ebenso analoge Traditionen der Immersion auf: Da wären die christliche Wassertaufe mit dem Versprechen zur Transformation, die Bildgattung des Panoramas mit perspektivischer Illusion oder auch einfach die passionierte Buchlektüre, die im Imaginationsraum versinkt. – Recht unverbundene Phänomene, die sich ob ihrer potenziell immersiven Erfahrungsqualität einen. Gelingt dies, geht das teilnehmende Subjekt vermeintlich distanzlos im Geschehen auf. (Spoiler: Skepsis ist angesagt!) Auch das linguistische Konzept des immersiven Spracherwerbs ist hier mit von der Partie, analoger geht’s wohl kaum.
Ergo: Das Vorurteil, Immersion sei immer irgendwie screengebunden, ist verkürzt.
Der emanzipierte Zuschauer
In den Theaterwissenschaften erhält das Immersive seine ganz eigene Bühne: Das Bestreben, den Zuschauer aktiv ins Geschehen einzubinden, das Dogma der vierten Wand zu durchbrechen, mithin Bühne und Zuschauerraum in eins zu denken, ist nicht nur ästhetisch ziemlich up-to-date, sondern auch mit vielen Namen behaftet: Partizipation, Interaktion – oder neuerdings eben: Immersion. Dort wo der „spectator“ zum „spect-actor“ wird, wird fleißig immersiert.
Dass dies in der Praxis nicht so einfach ist wie auf dem Papier, macht die Debatten so dramatisch, dass die Berliner Festspiele mit ihrem Schwerpunkt „Immersion“ auf (mindestens) dreijährige Sprengkraft vertrauen. Kontroverse Würze streut sich vielerorts ein: Der französische Philosoph Jacques Rancière etwa insistiert auf den emanzipierten Zuschauer als Lob der Distanz, der österreichische Querdenker Robert Pfaller weist auf die Manipulationsgefahr des Mitmachens hin, und der britische Theaterwissenschaftler Adam Alston sieht das Partizipationsgebot als Teil einer neoliberalen Erlebnisindustrie.
Puh, das sitzt. Kinnhaken von links oben.
Gemeinsamer Nenner: Wie können konkret-sinnliches Eintauchen und abstrakt-distanzierende Reflexion gepaart werden, ohne den Begriff zu sprengen?
Immersion ist vielgesichtig, analog wie digital. Ästhetisch und politisch verführend und verdächtig zugleich. Manchmal physisch heikel: Nicht selten lösen Virtual-Reality-Brillen Übelkeit aus, da die Augen Bewegung melden, der Gleichgewichtssinn aber Stillstand verbucht. Manchmal, da funktioniert das absorbierende Erleben obendrein technisch nicht: Die VR-Brille bleibt unscharf, so lange man auch am Rädchen dreht, und drückt mit ihrem Gewicht so sehr auf den Nasenrücken, dass alles andere nichtig wird. Und manchmal, ja manchmal wollen Subjekte auch einfach nicht immersiert werden, weder total noch partiell, sondern schlicht auf Distanz bleiben. Auch ’ne Entscheidung.
Zu den weiteren Einträgen in unserem Theatertreffen A bis Z.