Interview mit Mona el Gammal zu ihrer Zeit- und Rauminstallation „Haus//Nummer/Null“

Mona el Gammals Rauminstallation „Haus//Nummer/Null“, die sie gemeinsam mit dem Autor und Regisseur Juri Padel und ihrem Team erarbeitet hat, wurde von Signa Köstler als eine von drei Produktionen für den diesjährigen Stückemarkt ausgewählt. Ich habe vor Beginn des Stückemarktes eine Voraufführung besucht und hatte am 14. Mai die Gelegenheit, mit Mona el Gammal im Café Alberts in der Nähe von „Haus//Nummer/Null“ ein Interview zu führen.
Was war für „Haus//Nummer/Null“ dein Antrieb, das zu machen? Gab es für dich so etwas wie ein gesellschaftliches Thema, das dich umgetrieben hat? 
Dadurch dass wir in „Haus//Nummer/Null“ so ein sehr komplexes Gesellschaftssystem – ein Privatunternehmen, das den Staat ersetzt hat – aufgebaut und dem ganzen auch ein Gesetzbuch geschrieben haben, konnten wir natürlich in ganz verschiedene Richtungen arbeiten. „Haus//Nummer/Null“ spielt in der Zukunft, den 2030er Jahren, also einer Zukunft, die viele unserer Gäste noch erleben werden. Es ging also darum, eine Zukunft zu betreten, eine mögliche, eine unangenehme vielleicht, aber eine durchaus vorstellbare und eigentlich realistische. Vieles von dem was es bei uns gibt, gibt es tatsächlich schon, das haben wir recherchiert, das ist gar nicht so futuristisch.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel solche Nährstoffautomaten. Wir sind dabei Fleisch zu züchten. Der Desinfektionswahn, den es ja bei jungen Eltern mittlerweile ganz stark gibt, die ihre Kinder nicht mehr in den Dreck lassen. Körperfunktionsüberwachung. Das Funktionieren wie eine Maschine. Und so ein Leistungsdruck. Vereinzelung. Stigmatisierung. Unsere Protagonistin ist eine politisch Verfolgte. Das haben wir ja durchaus auch sehr präsent in unserer Gesellschaft. Unsere Protagonistin Frau N. hat die Kurve gekriegt. Sie hat das ganze mit aufgebaut. Sie hat für das IFM gearbeitet und dann gemerkt, dass es falsch läuft und hat sich dann der Gegenbewegung angeschlossen. Es wäre wünschenswert, wenn das mehr Menschen in unserer Gesellschaft auch tun würden. Dann hätten wir diesen ganzen Scheiß vielleicht nicht in dem Maße.
Das heißt, das Ganze ist auch ein Appell an jeden Einzelnen zu schauen, wo man Widerstand leisten kann gegen solche negativen bzw. totalitären Tendenzen, die es jetzt schon gibt?
Ein Appell würde ich nicht sagen. Es gibt nicht die eine Aussage bei „Haus//Nummer/Null“. Jeder Zuschauer geht da mit einer eigenen Version raus. Und das finde ich auch gut so. Wir wollen nichts Didaktisches machen. Ich glaube, das kommt auch nicht an. Uns ist wichtig, dass man in diese Welt eintreten kann. Es gibt viele Zuschauer, die sich fürchten, die das ganz schrecklich finden, die zittern, die kurz vorm Nervenzusammenbruch sind, das hatten wir gestern zum Beispiel. Das kann einem ja schon beklemmend vorkommen. Und wenn man da mal kurz drüber nachdenkt – und so viel trauen wir ja dem Zuschauer zu, dass er denkt, so kann es ja werden –, dann kommt vielleicht auch der Gedanke: da müsste man vielleicht was gegen tun. Ich würde nicht sagen, dass das eine direkte Aufforderung ist. Aber es ist auf jeden Fall so, dass ich mir vor allem von meiner Generation erhoffe, die am meisten in der Verantwortung steht, weil sie die meiste Energie hat, dass sie unsere Zukunft gestaltet. Unser Format spricht ja auch vor allem Jüngere an. Wir hoffen generell schon, dass Gedanken losgestoßen werden und ein Gefühl für Verantwortung aufkommt. Das steckt auch teilweise in den Texten. Frau N. klagt an, ganz klar. Gerade am Schluss sagt sie auch, wie bequem die Menschen sind, spricht über das Einverständnis der Masse. Dass alle immer so schön mitlaufen. Dass es keinen so richtig interessiert, dass niemand wirklich Verantwortung übernimmt. Eben nicht mit dem Zeigefinger gedacht, sondern eher so: habt ihr Bock so zu leben, wenn nicht, dann sollte man vielleicht mal aufwachen.
Da du das gerade schon angerissen hast, dass sich Leute in den Vorstellungen fürchten: wie sind generell die Reaktionen auf „Haus//Nummer/Null“?
Wir kriegen nicht die Reaktionen danach, aber wir beobachten die Leute ja währenddessen. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Grundsätzlich würde ich unterstellen: alle sind so ein bisschen verunsichert. Dann gibt es Leute, die finden das alles ganz lustig, die muss man dann erst mal ein wenig einschüchtern mit dem IFM. Und dann gibt es Leute, die sind sehr ängstlich, die trauen sich nicht wirklich die Räume zu betreten. Man konnte ja auch Sondergenehmigungen beim IFM bekommen, zu zweit reinzugehen. Dann verhält man sich aber komplett anders. Die Leute sind viel aufmerksamer, wenn sie alleine sind. Sie lenken sich gegenseitig nicht ab. Und sie kommen auch nicht auf dumme Ideen, irgendwelche Sachen zu klauen oder zu zerstören.
Das heißt so etwas gab es nicht, dass der Raum verändert wurde?
Es gab schon zwei Versuche, dass geklaut wurde. Wir haben das mitgekriegt, wir sehen das ja. Wir haben dann auch die Leute gerügt. Eine Person mussten wir auch rausschmeißen, weil die hat einfach weitergemacht, was ich überhaupt nicht verstehe, wie man auf die Idee kommt, da irgendwelche Sachen zu klauen. Einer davon war sogar eine Person, die in der Öffentlichkeit steht. Und als wir der Person gesagt haben, sie solle das bitte zurückstellen, hat sie laut gesagt: „Warum?“ Na ja, weil das Diebstahl ist!? Ich glaube, dass so was dann auch wieder Übersprungshandlungen sind, weil die Leute sich nicht wohlfühlen.
Natürlich ist das eine klare Verabredung, dass man nichts mitnimmt. Aber es ist ja dann auch eine künstlerische Frage, inwiefern dieser Raum vom Zuschauer verändert werden kann. Im Grunde ist es ja so, dass der Zuschauer das Ganze durch seine Präsenz beeinflusst – aber eben nicht physisch.
Genau, und das ist auch nicht wirklich die Idee. Natürlich werden ständig irgendwelche Sachen in die Hand genommen und wieder anders zurückgestellt. Das lasse ich dann meistens auch so. Aber ich gucke auch abends noch mal durch die Räume. Manche Leute hinterlassen auch was, kleine Notizen: liebe Grüße oder kleine rote Herzchen. Das nehme ich dann raus, auch wenn es süß ist. Ich sehe das ganze eher immer so wie ein Buch. „Haus//Nummer/Null“ ist das erste, was wir selbst geschrieben haben. Vorher habe ich immer mit literarischen Vorlagen gearbeitet. Ich sehe das so, dass der Zuschauer in eine Geschichte reinspringt. Er ist dann in diesem Buch, in dieser Welt. Wir haben ja auch eine sehr klare Führung. Manche Zuschauer gehen dem nicht wirklich nach, mit denen spielen wir dann ein wenig anders. Aber an sich gibt es diese Führung, und die ist auch ziemlich linear. Und es ist auch nicht so gedacht, dass der Zuschauer –
Das Buch verändert.
Wir wollen ganz klar eine Geschichte erzählen. Die erzählt sich aber eh immer anders, weil jeder mit seiner speziellen Biografie da reinkommt. Der eine macht eine Schublade auf und findet da irgendwas, und andere interessieren sich eher für die Nahrungsmittel oder diesen OP-Raum oder die Geschichte mit dem Chip oder die Flucht, oder was auch immer. Da legt jeder seinen eigenen Fokus. Der Zuschauer ist selbst gefordert. Und je mehr der Zuschauer sich interessiert, umso mehr findet er auch und kann die Geschichte für sich zusammensetzen. Wir sind ja mit den Erfahrungen aus Köln hierher gekommen. Da sind ganz spannende Sachen passiert. Da war Frau N. dann plötzlich lesbisch und hat eine aufregende Affaire gehabt und hat Kinder in Afrika adoptiert und solche Sachen. In Köln gab es noch mehr gesellschaftspolitische Diskussionen danach. Man hat sogar Schlachtpläne für die Zukunft gemacht. Hier mit dem Theatertreffen-Publikum ist es anders, weil die Zuschauer hier so viel anderes Programm drumherum haben.
Die dystopische Welt, die ihr da aufmacht: woraus hat die sich gespeist? Was waren da Vorlagen, Inspirationen?
Ursprünglich habe ich an einer anderen Geschichte gearbeitet. Erst habe ich keine Geschichte gefunden, die ich erzählen wollte. Dann ist mir klar geworden, dass mich die Frage nach der Zukunft und Visionen der Zukunft interessieren. Ich habe auch recht schnell gemerkt, dass mir das sehr leicht fällt, mich in die Zukunft zu begeben. Dann habe ich angefangen mit Juri Padel zu arbeiten, weil ich auch gemerkt habe, dass ich nicht gerne alleine schreibe. Ich habe extrem viel gelesen: wissenschaftliche, soziologische Bücher, die sich mit Zukunftsforschung beschäftigen. Solche über Tendenzen in der Wirtschaft, in der Kriegsindustrie. „Klimakriege“ habe ich gelesen. „Wie wir leben werden“ von Matthias Horx. Von all dem inspiriert haben Juri und ich dann das Skript zusammen geschrieben.
Wie nimmst du den Stückemarkt-Rahmen wahr und wie siehst du „Haus//Nummer/Null“ darin? Und was sagst du zu der Debatte um Autorenschaft, darüber, dass der Stückemarkt weggeht von der Autorenförderung hin zu neuen, performativen Formen? Chris Thorpe in diesem Jahr vielleicht mal ausgenommen.
Ich bin da nicht so bewandert. Es gibt ja mittlerweile ziemlich viele Stückemärkte. Bei uns waren zum Beispiel drei Leute von Stückemärkten aus anderen Städten da. Es gibt ja andere Formate der Autorenförderung. Ich habe, als ich mich in die Thematik eingelesen hab, das so verstanden, dass das Theatertreffen Vorreiter sein möchte und sie gucken, dass sie sich ständig weiterentwickeln. Daher die Formatsveränderung, weil einfach schon sehr viel Autorenförderung stattfindet. Ich find es natürlich schön, nicht nur weil wir hier gezeigt werden, dass hier auch andere Formate gezeigt werden. Ich sehe das auch absolut als eine Form von Autorenschaft, was wir tun, als Kollektiv.
Wie funktioniert denn für dich Autorenschaft bei „Haus//Nummer/Null“?
Es funktioniert nicht so, dass einer alleine in der Kammer sitzt und schreibt, sondern dass Juri und ich uns zusammensetzen und uns überlegen, welche Geschichte wollen wir erzählen und dann gemeinsam anfangen Texte zu entwickeln. Und dann schreibt er, und ich baue. Er schickt mir dann die Texte und ich bringe die mit rein. Und wir haben ja tatsächlich sehr viele Texte. Es gibt dieses Gesetzbuch. Es gibt die Briefe. Es gibt alles, was auf den Projektionen läuft. Es gibt die Texte, die gesprochen werden. Radionachrichten, Interviews. Die Manifeste. Zum Rhizomat gibt es noch ganz viel Material. Das ist teilweise selbst geschrieben, teilweise sind das Collagen aus Zitaten. Und es gibt nicht nur diesen bedeutungsgeladenen Text, sondern auch sehr viel Raum und Gegenstände, die auch eine Bedeutung tragen. Ich finde ja, „Haus//Nummer/Null“ funktioniert sehr plakativ. Es sind für mich ganz klare Räume. Du kommst rein und denkst, aha: ein geheimer Raum hinter der Wand. Das sind sehr eindeutige Geschichten, weil natürlich der Zuschauer nicht viel Zeit hat und das ganze schnell erfassen muss. Und ich glaube, dass es deshalb auch sehr in Bildern funktioniert. Du hast eigentlich ein klares Bild und kriegst dann den Text dazu. Und ich finde auch, das ist das, was auf der Bühne passiert. Bei uns gibt es nur keine physische Anwesenheit. Mir ist es auch extrem wichtig, dass die Figuren keine Gesichter bekommen, weil das der Fantasie noch mehr Raum lässt.
Und es gibt zu diesem Autorenschaftsbegriff bei dir ja auch ein ganz stark räumliches Konzept. Es gibt eine Autorenschaft der Texte, die anders funktioniert, die in einem kollektiveren Prozess abläuft und in dem Konzept der „narrative spaces“ spielt der Raum ja generell eine viel größere gestalterische Rolle.
Ja, und ich komme natürlich vom Raum. Und ich finde auch, Räume beeinflussen uns ganz extrem. Zum Beispiel hier, wo wir jetzt sitzen, würde man sich niemals anfangen wohlzufühlen. Ich zumindest nicht. Der Raum besteht ja nicht nur aus den vier Wänden, sondern auch aus der ganzen Einrichtung und den Einzelheiten. Wir manipulieren ja auch die Temperatur bei „Haus//Nummer/Null“, die Gerüche. Wir bestimmen, wie lange die Leute in diesen Räumen sind. Wann Licht da ist, wann das Licht gewechselt wird. Das alles ist für mich der Raum. Und natürlich brauche ich auch die Sprache dafür. Nur will ich halt nicht, dass jemand da steht und sagt, ich bin Frau N. Die Figur der Frau N. ist mir extrem wichtig. Die gibt es auch schon länger als es das Haus Nummer Null gibt. Frau N. ist für mich ein Bild von jemandem, der in einem System lebt und immer dieses System unterstützt hat und dann irgendwann endlich aufwacht und merkt, dass doch alles nicht so gut läuft. Frau N. entscheidet sich dagegen, obwohl man ihre Tochter wegnimmt, obwohl ihr Mann sie verlässt und obwohl sie unter politisches Arrest gestellt wird und fertiggemacht wird. Das kommt ja auch in diesem Videointerview raus. Da bekommt sie Besuch, und dann sagt er: denk doch mal an dein Leben! Und sie sagt, mein Leben, mein Leben, das ist mir eigentlich egal, ich habe wieder eine Aufgabe. Ich sehe einen Sinn, seit ich ich für dieses Rhizomat forsche und versuche an einer Zukunft zu arbeiten. Und wenn ich da jetzt einen Schauspieler für hinstelle, und dieser Schauspieler ist dann 30 Prozent oder 80 Prozent unsympathisch, dann verliere ich einen Großteil der Zuschauer. Außerdem bin ich auch ein großer Fan von Geisterwelten. Und man ist ja beides. Man ist der Verfolgte in dem Haus. Man weiß, man hat nicht viel Zeit. Man wird weitergeschickt. Dann kommt immer wieder diese Kontamination in so und so viel Minuten. Und gleichzeitig verfolgt man auch diesen Geist von Frau N. Man weiß nicht, ob der nicht irgendwo hinter der nächsten Ecke sitzt. Manche Leute wissen das wirklich nicht. Die haben so viel Angst jemandem zu begegnen. Es kann passieren, dass jemand kommt, aber nur, wenn die Leute völlig durchdrehen. Und es ist natürlich ein schockierender Moment. Aber einer, der mich in diesem Format nicht allzusehr interessiert. Dass dann die Leute anfangen zu spielen und für Frau N. Position beziehen oder das IFM beschimpfen – das finde ich alles gut. Der „narrative space“ ist allerdings nicht so sehr dafür gedacht, eine Mitspieler-Rolle wie beispielsweise in einer SIGNA-Show anzunehmen, sondern eher dafür durch eine Geschichte geleitet zu werden.
Kannst du das noch mal näher erläutern, warum Interaktion dir für das Projekt nicht so wichtig ist?
Ich finde das ganze schon sehr interaktiv: der Identitätscheck am Anfang. Die Leute müssen sich selbst die Wege freimachen, die Türen aufmachen. Sie müssen selber Sachen in die Hand nehmen, Sachen öffnen. Sie befinden sich ja alleine in Privaträumen. Da fühlen sich viele schon sehr unwohl. Sie wissen nicht so richtig, ob sie dürfen. Ihr Geheimraum wird auch von fünfzig Prozent der Leute nicht betreten. Das finde ich superspannend. Ich find das natürlich auch ein bisschen schade, weil ich den Raum so gerne mag. Aber es passiert eben nicht. Das ganze ist ja aber auch wie eine Vagina-Form, man geht so richtig in sie rein. Vielleicht ist das manchen Leuten auch zu krass. Ich finde das alles schon sehr interaktiv. Wir haben zum Beispiel überlegt, ob die Leute am Anfang eine Pille schlucken müssen. Ewig hat mich das beschäftigt. Wir haben die zwar hergestellt, diese 4G-Pille. Man findet sie auch in dem Haus. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass mir das dann zu weit geht. Wir haben sehr verschiedene Zuschauer. Und manche stehen überhaupt nicht auf Interaktion. Ich kann das auch verstehen, weil sie in manchen Momenten auch albern wird. Dann ist das Mitmachen um des Mitmachens willen. Mir geht es gar nicht so sehr darum, dass die Leute mitmachen, sondern darum, dass sie wahrnehmen. Sie füllen die Abwesenheit des Darstellers durch ihre eigene Präsenz. Es werden ja alle Sinne bedient, außer der Geschmackssinn. Es ist hauptsächlich eine sinnliche Erfahrung, die wir da schaffen wollen. Das, was da an Interaktion verlangt wird, das reicht mir schon. Die Leute sind schon sehr gefordert damit, dass sie irgendwann begreifen, dass sie beobachtet werden. Sie wissen dann gar nicht mehr, wie sie sich verhalten sollen. Wenn sie dann auch noch was machen müssten, kommen sie ja auch in eine Position, wo sie für uns was spielen. Und darum geht es uns nicht. Wir sitzen ja nicht im Regie-Raum und denken uns: haha, guck mal, was der da macht. Wir gucken eher, wie verhält der sich, was können wir dem jetzt geben. Wie können wir ihn  weiterleiten. Braucht er jetzt mehr Licht, um das lesen zu können. Oder gerade nicht, soll der mal aufhören, da zu lesen. Oder erschrecken wir ihn jetzt mal von hinten mit einem Ton. Aber das passiert natürlich ganz schnell, dass sich jemand als Beobachteter unwohl fühlt. Und dem dann noch zu sagen: jetzt steh mal auf einem Bein und dreh dich im Kreis – dann wird es auch schwierig werden nicht zu glauben, dass wir das zu unserer persönlichen Belustigung tun.
Wenn du wieder ein eigenes Projekt im Rahmen der „narrative spaces“ machen wirst, was wären da Sachen, die du nach „Haus//Nummer/Null“ anders angehen oder neu erforschen wollen würdest?
Ich würde es nie wieder mit so wenig Budget machen, weil mein Team völlig kaputt ist. Bis zu einem Punkt, wo es nicht mehr schön ist. Die haben unglaublich durchgehalten, aber denen geht es echt nicht gut. Das macht keinen Spaß. Wir wollen auf jeden Fall weiter mit dem Rhizomat arbeiten. Ich denke, dass ich mit den „narrative spaces“ in der Zukunft bleibe, das finde ich grad sehr spannend. Oder mir begegnet mal wieder ein literarischer Text, den ich umsetzen möchte, was natürlich auch viel einfacher ist, was ich auch gerne mache. Dann bin ich freier und kann viel mehr alleine entwickeln.
Wirst du dich dann auch wieder mit gesellschaftspolitischen Themen befassen?
Ich entwickele sowieso nichts, was sich nicht mit aktuellen gesellschaftlichen Zuständen beschäftigt, weil mich das nicht interessiert. Ich denke ja immer, ich mache was, was ich Menschen zeige. Und dann mache ich nichts über Ponys, weil ich Ponys süß finde. Und das finde ich wirklich. Ich könnte mich auch ein Jahr nur mit Ponys beschäftigen und denen dann vielleicht noch Schaum aus dem Kopf kommen lassen. Das fände ich lustig. Aber das würde mir jetzt nicht reichen, um das anderen Leuten zu zeigen. Den Anspruch habe ich auch an mich selbst. Sonst hätte ich auch Medizin studieren können, um Menschen zu heilen. Wenn ich so viel Energie und so viel Lebenszeit und so viel Kraft in ein Projekt stecke, dann muss es auch eine Relevanz für einen großen Kreis von Menschen haben. Und das ist für mich auch immer unsere aktuelle Gesellschaft. Schon vor allem hier in Deutschland. Ich war auch eine Zeit lang in Barcelona und habe angefangen, da ein Projekt zu entwickeln. Das fand ich sehr schwierig, weil mir diese Kultur noch zu fremd war und ich die Sprache auch nur so halb beherrsche. Dann habe ich gedacht, ich beschäftige mich erst mal von uns ausgehend. Aber natürlich macht dann so eine Form wie wir es jetzt bei „Haus//Nummer/Null“ hatten mit so einer gesamten Systementwicklung total Spaß, weil wir trotzdem alles Globale mit einbauen konnten: Die Welt wird in Zonen aufgeteilt. Man beutet die eine Zone komplett aus, versklavt da die Menschen: Afrika, was ja auch so ist. Es ist halt alles gar nicht so weit weg. Ich bin mir nicht sicher, ob das nächste Projekt wieder in der Zukunft spielt, aber ich werde mit Sicherheit ein Thema behandeln, was alle Menschen angeht. Und es wird dann auch sicher wieder so verständlich sein, dass es hoffentlich auch die meisten Menschen anspricht. Weil mich Sachen nerven, die dann immer nur für so eine elitäre, kleine Publikumswelt geschaffen sind, die wissen, welche Strömungen und Zitate in die Sachen einfließen, und der Ottonormalverbraucher kann nichts damit anfangen.
Das heißt, es ist schon dein Anspruch, dass jeder mit „Haus//Nummer/Null“ gemeint ist?
Ja, weil ich denke, dass ist einfach jedermanns Thema, Zukunft gestalten, geht alle etwas an. Das ist ein Anspruch, den ich an jeden Menschen habe. Aber vor allem an die Menschen, die es sich leisten können. Es gibt auch viele Menschen in unserer Gesellschaft, die so starke existenzielle Probleme haben und die erst mal gucken müssen, dass sie irgendwie Futter auf den Tisch bekommen oder dass sie in der Nacht irgendwas zum Schlafen haben. Aber ganz besonders diese jüngere Generation, die aus der gehobenen Mittelschicht kommt, oder nur aus der Mittelschicht, die ihre Bildung genossen haben – wenn die dann den ganzen Tag nur über Design reden oder die nächste Party, das macht mich wahnsinnig.
Foto: Melanie Lotus Göbl
Die Berliner Zeitung ist Partner des Theatertreffen-Blogs.

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Jannis Klasing

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