Kein Effekt ist unsterblich

Das „Wunschkonzert“ in der Inszenierung von Katie Mitchell hat leider nicht überlebt. Franz Xaver Kroetz’ kritisches Volksstück erzählt die dröge Einsamkeit der Angestellten „Fräulein Rasch“, die eines nachts durch eine Überdosis Schlaftabletten in aller Ruhe ihrem Leben ein Ende setzt; Mitchells Inszenierung vom Schauspiel Köln hatte am Dienstag beim Theatertreffen Premiere.

Als der Abend noch jung war, hätte er auch Spektakel getauft werden können. Dann wuchs er auf, bekam Tiefe und Mehrschichtigkeit, so dass man ihn ernst nehmen konnte. Nur alt wurde er nicht, sondern nahm sich zu früh durch seine Durchschaubarkeit das Leben.

Dass auf der Bühne ein Film mit Nahaufnahmen, Sounddesign und echtem „Film-Look“ live produziert wird, ist das Spektakel, der große Effekt. Wenn die Hauptdarstellerin (Julia Wieninger) vor der Kulisse ihre Jacke anzieht, knautscht links die Sound-Abteilung zeitgleich Stoff vor dem Mikrofon, das Nahaufnahmen-Double vorne rechts macht eine synchrone Armbewegung vor einer der vielen Kameras, und alles zusammen ist fertig abgemischt zeitgleich auf einer großen Leinwand zu sehen. Die Präzision, das Timing und die Zusammenarbeit der elf Kameraleute, Doubles, Geräuschemacher und Musiker um die Hauptdarstellerin herum sind atemberaubend. Aber irgendwann hat man dann jeden Trick einmal gesehen, und das Staunen verebbt langsam.

Doch gerade dann wächst die Inszenierung. Wenn man sich nämlich auf den Inhalt des Stückes/des Filmes konzentriert und nicht mehr nur auf das Drumherum, sieht man ein Fräulein Rasch, das als einzige dramatische Figur verlassen auf der Bühne steht, während die Filmemacher um sie herum pragmatisch die Technik bändigen oder mechanisch Geräusche machen. Es ist die indirekte, verzerrte Einsamkeit wie in dem Film „Die Truman Show“, in dem das soziale Lebensumfeld eines „echten“ Menschen aus bezahlten Statisten besteht, ohne dass dieser es weiß. Denn die Leute, von denen Fräulein Rasch auf der Bühne umgeben ist, sind nur für die Filmprojektion da und bewegen sich nicht in der Ebene des Spiels. Alles was nach außen dringt, ist durch sie inszeniert, filtriert, zensiert, und spielt sich jenseits einer scheinbar unüberwindbaren Trennung ab. Der Effekt der Doppelung lebt auf.

Aber damit ist das „Wunschkonzert“ leider schon am Ende. So clever dieses Mittel der subtilen Isolierung sein mag, sobald es erfasst ist, ist es begriffen und tot. Denn mit diesem Mittel wird nicht weiter gespielt, es entwickelt sich nicht, es wird nicht missbraucht oder verändert, es ist einfach von Anfang bis Ende da. Und bald ertappt man sich bei dem Gedanken, wie wohl das Geräusch sein wird, wenn endlich mal die kleine Schachtel mit den weißen Tabletten geöffnet wird.

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Matthias Weigel

Matthias Weigel, geboren 1986 in Marktredwitz, studierte in Erlangen Theater- und Medienwissenschaft. Er arbeitet als Redakteur bei nachtkritik.de und ist Projektleiter Second Screen für die Serie About:Kate (Arte) bei Ulmen Television.

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