Als heute um 19 Uhr anstelle der Inszenierung nur ein Film über Christoph Marthalers Theater mit dem Waldhaus gezeigt wurde, war das Stück bereits einer der meist diskutierten Beiträge zum diesjährigen Theatertreffen. Eben, weil es beim tt09 niemand sehen kann.
Man kann über das „Theater mit dem Waldhaus“ nicht viel sagen: Das Stück, das im Sommer letzten Jahres den Raum des exklusiven Künstlerhotels Waldhaus in Sils Maria im Oberengadin bespielte, hat kaum jemand gesehen. „Ein Luxusvergnügen in jedem Sinn“, nannte es die Badische Zeitung, eins, das im 5-Sterne-Hotel auf 1800 Metern Höhe „den in- und externen Gästen des Hotels vorbehalten bleibt“; jenen, die bereit waren, 150 Franken (etwa 100 Euro) für einen exklusiven Abend mit Theater und Pausendinner auszugeben.
Wengierek: „Schlitzohrig vorenthalten!“
Was man aber sagen kann, ist – und das ist doch gut –, dass die Nominierung der Marthaler-Inszenierung eine leidenschaftliche Debatte ausgelöst hat: darüber, was „sinnvollerweise“ zum Theatertreffen einzuladen ist. „Es ist ein Witz, die einzige Produktion außerhalb der Metropolen, Christoph Marthalers ‚Waldhaus‘ aus Sils-Maria nach Berlin einzuladen, obwohl sie in Berlin nicht gezeigt werden kann“, echauffierte sich Peter Michalzik bei Bekanntwerden der Auswahl in der Frankfurter Rundschau. Reinhard Wengierek ging in der Welt noch ein Stück weiter: „Und eben das ist der Skandal: Die im eigenen Saft wabernde Gelegenheitsnummer eines Stars wird von hochmütig kennerischen Fürsprechern zur Sensation stilisiert, derweil man Höherrangiges, schnippisch beiseite lässt. Das schadet nicht nur der Seriosität dieser Best-Of-Auslese, sondern vor allem dem zu Unrecht Erwählten, der obendrein – aus schlitzohrig vorgeschobenem Grund? – dem Festivalpublikum vorenthalten wird.“
Laufenberg: „Ist das Adlon etwa mal ganz eingepackt?“
Von schlitzohrig könne keine Rede sein, hält die Festivalleiterin Iris Laufenberg dagegen. Sie selbst sei wenig begeistert von der Entwicklung, habe sich nur „schleichend daran gewöhnt“, dass das Stück nicht gezeigt werden könne. „Wir sind nicht dahingefahren, um es letztlich nicht hierhinzuholen.“ Jedoch seien die Überlegungen über eine geeignete Umsetzung in Berlin allesamt gescheitert: „Es gehört ja wesentlich zu der dem Stück zugrunde liegenden Erfahrung, dass dieses Hotel in der Zwischensaison, in der das Stück erarbeitet wurde, komplett leersteht. Das gibt es hier in Berlin einfach nicht.“ Laufenberg legt Wert darauf, dass das Theater „mit“ (Sic!) dem Waldhaus ohne das Waldhaus eben nicht funktioniere, aus genau diesen Gründen: „Oder ist das Adlon irgendwann mal ganz eingepackt?“
„Durchgesetzt ist überhaupt kein Kriterium!“
Aber hätte Laufenberg nicht mäßigend auf die Jury einwirken können, jene Institution, die, so vermutet Marthaler, durch das Gipfelerlebnis auf 2.000 Metern einen „Knall“ bekommen habe? Dann hätte man einem neuen Talent eine Chance geben können und nicht dem bereits anerkannten, „durchgesetzten“ (Wengierek) Großregisseur (13 Marthaler-Inszenierungen wurden seit 1993 für das Theatertreffen nominiert). Doch hier bleibt die Festivalleiterin dezidiert elitär: „Durchgesetzt ist überhaupt kein Kriterium, es geht wirklich immer nur um die einzelne Inszenierung.“ Gleichzeitig räumt sie ein: „Wenn es einen eindeutigen Elftplatzierten gegeben hätte, dann hätte man darüber nochmal reden können. Den gab es aber nicht!“ Ein Weiteres weist Laufenberg von sich: mit der geldsparenden Nonpräsenz von Marthalers „Waldhaus“ Schlingensiefs „Kirche der Angst“ gegenzufinanzieren. „Die Berliner ‚Kirche der Angst‘ wurde durch Sponsorengelder ermöglicht. Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun.“
Verminderte Präsenz
Es bleibt die Frage, ob diese Einladung – der eindrucksvollen filmischen Dokumentation von Sarah Derendinger, die heute Abend gezeigt wurde, zum Trotz – gerechtfertigt ist. Die körperliche Präsenz, das Erlebnis des Waldhauses in seiner Bearbeitung durch Christoph Marthaler kann sich so vorzeigen und analysieren, nicht aber herstellen lassen. Laufenbergs Argument, dass aufgrund des chronischen Platzmangels beim Theatertreffen eh viele Inszenierungen vielen nicht zugänglich seien, wirkt auch nicht wirklich tröstlich, wenn man an all das denkt, was anstelle Marthalers – für eine dann schon wieder größere Schar Glücklicher – hätte gespielt werden können. Immerhin ein bisschen Präsenz war dann doch gegeben: Hoteldirektor Felix Dietrich und sein Sohn Claudio wohnten der Videoaufführung bei.