Live-Blog zum Publikumsgespräch zu „Don Carlos“

Heute Abend bloggen wir wieder live vom Publikumsgespräch. Diesmal geht es um die „Don-Carlos“-Inszenierung. Der Regisseur Roger Vontobel wird unter anderem mit dem Theatertreffen-Juror Andres Müry, aber hoffentlich auch mit einem kritischen Publikum diskutieren. Moderation: Barbara Burckhardt, Start: 23 Uhr. Zur Vorbereitung empfehlen wir Matt Cornishs Kritik (Englisch), unsere Zitat-Kritik und Johanna von Stülpnagels Zeichnung. Original-Schiller hier.

22:53: Bald geht es los. 30 Leute im Publikum, 16 Stühle auf der Bühne, wer kommt da wohl gleich alles? Nur zur Klärung: Dieses Format ist nicht ironisch gemeint, wir sind eine Art Service.

23:00: Die Reihen füllen sich, angenehmes Murmeln. Bemerkenswert: die Freitagabenddisziplin der tt-Besucher.

23:04: Moderatorin Barbara Burckhardt bittet „die Herrschaften“ auf die Bühne: Regisseur Roger Vontobel besetzt die Stühle mit Cast und Crew.

23:06: Barbara Burckhardt entschuldigt sich im Namen der Berliner Festspiele für die Affenhitze in den Rängen.

23:08: Vontobel: Don Carlos ist eines der besten Drehbücher, die ich je gelesen habe. – Ja, genau, eine Art Tatort.

23:09: Nochmal Vontobel: Die Dinge überschlagen sich, die Arbeit mit Video hat es ermöglicht, dass sehr viel gleichzeitig passiert.

23:12: Dramaturg Robert Koall freut sich, dass jemand endlich die Textfassung erwähnt. Immer noch ein „dreieinhalb Stunden-Abend“. 40 Prozent der Originals sind uns heute entgangen, ohne Kürzung säßen wir jetzt noch in der Affenhitze.

23:13: Burkhart Klaußner redet über die unendliche Verquickung von Privatem und Politischem bei Schiller, bei Schiller sei das aufgehoben wie die „Fliege im Elfenbein“. Äh, Bernstein.

23:18: Sprung zu den Accessoires. Bühnenbildnerin Magda Willi will den Zuschauer über einen „genaueren Realismus“ einsteigen lassen und „in diesem abstrakten Raum kleine Fenster schaffen“.

23:20: Der Großinquisitor wird „wie aus der Gruft herausgeholt“, das sei so eine erste Assoziation gewesen, die sie zu dieser Szene gehabt hätten, erklärt Vontobel. Er war heute im Café Keyzer Soze (Berlin-Mitte), das sei ja bei Kevin Spacey auch so eine mystische nicht erkennbare Figur in der Ecke, die sich immer im Geschehen hält.

23:23: tt-Juror Andres Müry: Diese Aufführung passt gut nach Berlin. Diese Texte sind Erinnerungsspeicher – er finde, dass die Beschäftigung mit Klassikern im Theater zum Kerngeschäft gehören müsse, das sei in der Jury aber durchaus umstritten.

23:25: Lob von Lore Stefanek (Großinquisitor) an dieses Ensemble. Burkhart Klaußner trommelt auf seinen Wasserglasrand. Sprung in den Ensemble-Generationenkonflikt. Barbara Burckhardt fragt, ob Vontobel eine Trendwende markiert, indem er als jüngster beim tt eingeladener Regisseur den ältesten Autor inszeniert – ohne Angst vor psychologischem Theater. Vontobel: „Ich erlebe die Welt kohärent und nicht postdramatisch. Ich empfinde mich trotzdem als modernen Menschen, ich kann nicht anders, denn ich lebe ja jetzt.“ Aber das tun wir doch alle!

23:29: Erste Fragen aus dem Publikum. Irgendwie gehts darum, dass sich die Schauspieler Christian Friedel (Don Carlos) und Matthias Reichwald (Marquis von Posa) schon vorher kannten. Zweite Frage: Ist Humor in dieser Inszenierung beabsichtigt? Alle lachen. (Hinter uns schreibt eine Frau Facebook-Updates auf ihrem ipad).

23:38: Nun wird die Inszenierung von Macht diskutiert. Ist der Großinquisitor eine Art Teufel? Oder gar die Mutter, wie eine Zuschauerin in Dresden dachte? Vontobel: „Irgendjemand ist immer in dem Spinnennetz von jemand anderem. Man könnte es auch Matrix nennen.“

23:37: Dieses live-blog ist heute länger, weil: Es geht um Schiller!

23:39: Jetzt kommt eine leichte Kritik: derbe Lacher im Publikum oder Techniker im Videobild, war das Absicht? Ein Bruch? Pathos bei Schiller und Vontobel – „alles geschmacklich diskutierbar“ (Matthias Reichwald). Jetzt noch mehr Fragen von demselben Zuschauer. Er meldet sich, wie in der Schule. „Thema Kostüme“ und was läuft da eigentlich alles, bei Don Carlos, politisch?

23:43: „Heutige Kostüme“ mit Zeitlosigkeit, antwortet Vontobel, Ästhetik der Kennedys, also DER politischen Familie. Ach, ich dachte, das wären die von Guttenbergs (Frisur). Und war da nicht auch was von Doris Day in den Kostümen? Unten auf der Seitenbühen spielt jetzt gleich Erika Stucky.

 

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Nikola Richter, Jahrgang 1976, leitet seit 2009 das Theatertreffen-Blog. Sie ist Autorin und veröffentlichte Lyrik, Prosa und Hörspiele. Als freie Redakteurin entwickelt sie insbesondere Buch- und Blogkonzepte, z.B. newplays-Blog oder Los Superdemokraticos. Wenn sie offline ist, geht sie spazieren, kocht Gemüsegerichte und versucht, Jazzgeige zu lernen. Darüber schreibt sie auch auf myfavouritestrings.wordpress.com.

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