Nis-Momme Stockmann, Autor des diesjährigen tt-Stückemarkts, hat ein Händchen für Doppelungen. Zeitgleich bei zwei Stückemärkten (Heidelberg, Berlin) eingeladen, und nun doppelt ausgezeichnet: Wir gratulieren! Für sein Stück „Der Mann der die Welt aß„, das am 10. Mai in Berlin szenisch gelesen wurde, erhielt er den Autorenpreis des Heidelberger Stückemarktes und den Preis des Freundeskreises (Publikumspreis). In der Theatertreffen-Blog-Serie „Mein erstes Mal“ erzählt er, wann seine Liebe zum Theater begann.
Jes – Mein erstes Mal Theater – das war, abgesehen von einigen schon zu guten Teilen verblassten Kindergartenerinnerungen, „Antigone“ im Schleswig-Holsteinischen Landestheater mit einer halben Palette Hansa Dosenbier im Kopf. Ziemlich spätes erstes Theatererlebnis – aber als kurzsichtiger, leicht übergewichtiger Insulaner fing bei mir einiges so ein bisschen später an als bei den anderen.
Antigone. Wir waren mit der Schule da und ich Fuchs hatte den Text in weiser Voraussicht extra nicht gelesen. Wegen meiner ultimativen Geflashtheit von Theateratmosphäre, Parfümgeruch und Erhabenheit des Theaterbetriebs hab ich aber nicht ein Wort mitgekriegt. Ich habe zwei Stunden mit brennenden Wangen in den Gesten und Posen gelesen und gestaunt. Eine alberne, inszenierte Erhabenheit, fast schon so eine Art Spiritualität – die, wie ich erst sehr viel später lernen sollte, von Theatermachern superbewusst angelegt wird – überwob alles, und trotzdem machte mir irgendwas ein taumeliges Gefühl, dass man von heftigen Schlägen in den Magen oder vom Verliebtsein kennt.
Folgender wichtiger Zusammenhang erschloss sich mir an diesem Abend in noch sehr rudimentärer Hansa-Dosenbier gefilterter Form: Aufgrund allerlei kulturhistorischem Ballast durchzieht Theater in jedem seiner Produktionsschritte ein fast schon putziges ultimatives Streben nach Erhöhung. (Diese selbstverkrampfende Sonderstellung von Theatermachern im Generellen, Dramatikern aber im Besonderen merkt man zum Beispiel dadurch, dass man als solcher nicht wie Autoren anderer Genres dazu eingeladen wird, bei Fußballspielen gutgelaunt in Logen rumzuhängen.)
Gleichzeitig entwickelt das Theater aber seine Kraft ausschließlich zwischen den Polemiken. In Tränen auf puderstaubigen Wangen, in dem raumfüllenden Schrei, den man im Unterleib vibrieren spürt, in dem Stolpern, das vom Ensemble weggespielt wird, und selbst in dem betrunkenen Inspizienten, der den Vorhang zu früh auf- oder zugehen lässt.
In den Tränen, im Gelächter. Da ist Theater.
Theater ist Empathie. Verinnerlichung von emotionalem Gestus. (Und das klammert das postdramatische oder das politische Stück nicht aus, denn alles was uns verändert, verändert uns über die kurzen, hervorragend geteerten Autobahnen des Herzen). Darum kann Theater überall auf der Welt (unabhängig von Produktionsaufwand und Besetzung) wunderbar sein.
Also der Lehren zwei zog ich aus diesem Erlebnis. Zum einen: Die großen Themen spiegeln sich am wirkungsvollsten, ganz haarfein und subtil im Intimen. Und: Dafür ist das Theater das allerallerbeste Medium. Und zum anderen: betrunken ins Theater gehen ist super. Aber wie ich bei Antigone zum ersten Mal, danach aber immer wieder (und zuletzt erst vor kurzem im Gorki bei meinem eigenen Stück) gemerkt habe, gibt es trotz weitverbreiteter Akzeptanz gegenüber dem Alkoholismus innerhalb der Theaterberufe eine total geringe dafür, in den Vorstellungen pinkeln zu müssen.
Die heftigsten Beschimpfungen musste ich bei Pollesch ertragen. Bei Polleschstücken geht nie jemand aufs Klo!
Das wundert mich total. Wenn man sich bei Polleschstücken vielleicht irgendwo in einem finsteren Winkel der Garderobe einen Katheter legen lassen kann, dann wäre ich zwar hoch erfreut, aber überhaupt nicht überrascht. Naja: Dafür wird bei Pollesch viel gehustet.