Sind Sie vielleicht der…?

Schminke, Kostüme, dreißig Meter Luftlinie: Schauspieler nach der Vorstellung wieder zu erkennen, kann schwierig sein. Anläufe zu einem spontanen Interview.

Schminke, Kostüme und dreißig Meter Luftlinie: Schauspieler nach der Vorstellung wieder zu erkennen, kann schwierig sein. Anläufe zu einem spontanen Interview.

Michael Althen hat einmal geschrieben, er sei eigentlich nur Filmkritiker geworden, damit er mit all den schönen Frauen, die er sonst nur von der Leinwand kennt, auch mal Auge in Auge sprechen kann, zum Beispiel in einem Interview. Diese Aussage ist natürlich ziemlich korrupt und würde heutzutage im unrühmlichen Abfalleimer der Altherrenphantasie landen. Aber es ist auch ein Körnchen Wahrheit darin. Im Theater verhält es sich nicht anders, die Zuschauer lieben ihre Schauspieler.

Also her mit dem Interview! Zu 12 Uhr ist die Verleihung des Theaterpreises an Herbert Fritsch angesetzt, eine passende Gelegenheit, im Anschluss einen Darsteller oder eine Darstellerin aus der gestrigen Eröffnungsinszenierung „Drei Schwestern“ am Arm zu packen. Ich schlendere draußen durchs Getümmel, blicke prüfend um mich, setze mich auf die Bank, trinke Sekt. Neben mir will ein älterer Herr einer RBB-Moderatorin ein besonderes Geheimnis verraten. Frank Castorf hätte er auch schon angeschrieben, ja, der hätte aber nicht geantwortet. Ich höre noch: „…dreihundert Russen…“, dann wird es unverständlich. Einmarsch der russischen Armee in die Volksbühne?

Starren und Belauschen

Nun, ich habe selber einen journalistischen Auftrag. Drüben steht einer, der sieht ein bisschen aus wie der Nikolai von gestern. Unterhält sich angeregt. Ich blättere im Programmheft, Nikolai wird von einem gewissen Max Rothbart gespielt. Ich übe leise vor mich hin: „Hallo, bist du vielleicht Max Rothbart?“ oder „Du bist doch Max Rothbart!“ oder „Entschuldigen Sie die Frage, aber haben Sie zufällig gestern hier mitgespielt?“ Irgendwie sieht der aus wie der Nikolai, irgendwie aber auch nicht. Schwierig. Ich gehe rein, nehme mir noch einen Sekt und treffe zum Glück Corinna, die auch für das Theatertreffen-Blog schreibt. Ich zeige ihr den Typen, der vielleicht so aussieht wie Max Rothbart und frage sie rundheraus, ob sie glaubt, dass er es ist. Corinna ist unschlüssig. Ich erläutere ihr zusätzlich, dass es so schwierig sei, die Schauspieler wieder zu erkennen, weil sie ja den ganzen Abend über in diesem Haus gespielt haben und man sie eigentlich gar nicht richtig sehen konnte. Dann nicken wir beide. Mittlerweile hat unser Starren in Richtung des Menschen, von dem wir immer weniger glauben, dass er Max Rothbart ist, Aufmerksamkeit erregt. Er äugt interessiert zurück in unsere Richtung. Es ist definitiv nicht Max Rothbart! Schnell weggucken und dann rennen.

Zwei Stunden später sitze ich wieder mit Corinna auf der Terrasse neben dem Bühneneingang. Ich bin immer noch auf der Suche nach jemandem, der irgendwas mit „Drei Schwestern“ zu tun hat. Auf dem Rasenplatz tummelt sich die Volksbühnen-Liga. Die kenne ich wenigstens. Alle ballen sich um Herbert Fritsch, lachen heiter und gelöst. Achtung, eine Frau kommt aus dem Bühneneingang. Glatte, braune Haare. Das könnte vielleicht die sein, die gestern Olga gespielt hat. Olga geht zu einem grünen Liegestuhl und legt sich hinein, nur ist jetzt ein Baum zwischen uns und Olga und versperrt die Sichtachse. Beide versuchen wir, uns ganz natürlich nach hinten zu lehnen, um am Baum vorbei einen Blick auf die braunhaarige Frau zu ergattern, ohne rücklinks von der Bierbank zu fallen. Corinna sagt: „Nee, das ist sie nicht.“

„Ist der Herr Castorf eben hier reingegangen?“

Dann sagt Corinna „Da kommt er!“ und meint damit Wolfram Koch. Ich verehre Wolfram Koch. Zutiefst. Außerdem hat er einen wunderschönen Gang, mit dem er lässig an uns vorbei in den Bühneneingang geht. Jetzt kommt auch noch Castorf. Frank Castorf sieht immer unheimlich erholt aus und hat braun gebrannte Haut. Ich überlege, ob ich ihn wegen der dreihundert Russen warnen soll. Aber da hat ihn schon der Bühneneingang verschluckt. Irgendwas muss es da drinnen geben, denn nun zottelt auch noch Carl Hegemann ins Bild, sieht sich suchend um. Am Eingang steht ein Security-Mann, der jetzt von Hegemann sehr höflich eine Frage gestellt bekommt: „Ist der Herr Castorf eben hier reingegangen?“  – „Nö!“, sagt der Security-Mann, ohne mit der Wimper zu zucken. Das ist so lustig, dass mir vor Lachen die Bratwurst auf meinem Teller in den Rotkohl verrutscht. Hegemann verwirrt zurück zum Rasenplatz.

Wolfram Koch schlendert aus dem Bühneneingang wieder an uns vorbei, verabschiedet sich bei den Technikern. „Danke, war toll, hat Spaß gemacht.“ Wolfram Koch ist auch noch furchtbar nett. Wir lachen immer noch, strahlen ihn an. Sein Blick streift uns, er geht weiter, stutzt, bleibt stehen, denkt nach, dreht sich zu uns um. Offenbar denkt er jetzt, dass er uns kennt. „Ach!“, sagt er mit gespieltem Erkennen und nickt uns zu: „Tschüss!“ Wolfram Koch ist einfach furchtbar begabt.

Es stimmt natürlich, ich schreibe eigentlich für das Blog, um Auge in Auge mit den Schauspielern zu sprechen. Manchmal genügen auch nur zwei Worte.

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Eva Marburg

Freie Dramaturgin, Autorin und Journalistin, Berlin. Studierte Theater- und Literaturwissenschaft in Berlin und New York und arbeitet neben ihrer dramaturgischen Tätigkeit als freischaffende Dozentin für Kulturgeschichte. Gegenwärtig studiert sie zudem Kulturjournalismus (MA) an der Universität der Künste Berlin.

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