Workshop als Work-Shock

Foto John von Düffel, Johannes

Auch bei diesem tt-Stückemarkt sind fünf Nachwuchsdramatiker eingeladen, ihre Arbeiten vier Tage lang in einem Autorenworkshop zu diskutieren. Ein Gespräch mit Mentor John von Düffel.

Foto John von Düffel, Johannes

Den Blick für das eigene Werk schärfen: John von Düffel, hier im Gespräch mit Workshop-Teilnehmer Davide Carnevali. Foto: Johannes Schneider

„Lernziel: sich selbst entdecken“ steht in der tt-Broschüre über den Dramatikerworkshop. Wie schafft man das in vier Tagen?

Die Hauptaufgabe für mich als Mentor besteht zunächst einmal darin, die spezifische Qualität der einzelnen Autorinnen und Autoren zu finden: was das ist, was der Autor erzählen will, was ihn umtreibt und beschäftigt, und wie man durch die richtigen Fragen dafür sorgen kann, dass sich seine eigene Qualität immer weiter schärft und entwickelt.

Wie hilft da die Gruppensituation?

Dadurch, dass mehrere andere dabei sind – auch andere Autoren -, führt es heraus aus einem simplen Autor-Lektor-Verhältnis. Eine Positionsbestimmung im Sinne von „Das will ich, das will ich nicht, das ist mir nah, das ist mir fremd“ passiert viel stärker, wenn jeder und jede mit verschiedenen Meinungen konfrontiert ist:  Mehr und mehr findet dadurch jeder seinen eigenen Weg.

Welche Fragen muss man dafür stellen?

Das ist sehr tastend. Man muss sich der Verantwortung bewusst sein, die man gerade in der Position des Mentors hat: Wenn man ein Urteil ausspricht oder eine Suggestivfrage stellt, wo alle denken „Dem gefällt das alles nicht“, dann springen die anderen Teilnehmer unter Umständen auf den Zug mit auf. Und dann hat man auf einmal einen Autor verstört, obwohl man das gar nicht wollte.

Wie „hart“ darf denn getastet werden? Wenn Sie einer Workshopteilnehmerin sagen, sie soll den Ort ihrer Handlung verändern, ist das ja schon ein durchaus empfindlicher Eingriff …

Es ist kein Schmusekurs in dem Sinne, dass man keine radikalen Fragen oder auch mal etwas ganz grundsätzlich in Frage stellen darf. Ich bin ganz froh, dass wir trotz des harmonischen Grundgefühls nicht nur verklausulieren. Ein Satz wie „Ich würde da die Hälfte streichen“ muss sagbar sein. Wenn ein Grundrespekt füreinander und ein Grundinteresse aneinander besteht, kann man auch solche Sachen sagen, das finde ich wichtig.

Wie kann man harsche Urteile umgehen?

Ich wähle immer eher den Weg über die Stärken, die Qualitäten, die mich überzeugen.

Findet man die immer?

Obwohl ich die Autoren nicht selbst auswähle, habe ich noch nie den Fall gehabt, dass ich an einem Autor oder einer Autorin nichts gefunden habe. Ich habe immer nachvollziehen können, was die Jury interessant fand. Es gab immer einen Punkt, wo man bemerkt: Man begegnet einer eigenen Kraft, einem eigenen Willen. Den gilt es dann zu fördern.

Wie kann man es moderieren, wenn die Workshopteilnehmer aneinander diese eigene Kraft nicht finden?

Es gibt Autoren, die sind schlichtweg monomanischer veranlagt als andere. Die können von so einer Situation natürlich nicht so sehr profitieren. Manche können sich wirklich nur in dem ausdrücken, was sie eigentlich schreiben, und nicht im Reden über das Schreiben. Für die ist es dann schwierig.

Es gibt ja Leute, die sagen, dass nur diese exzentrischen Monomanen wahre Schriftsteller sind …

Darüber, was der wahre Autor ist, kann man ganz verschiedener Meinung sein. Ich habe auch immer gesagt, dass ich kein wahrer Autor bin, weil ich es in der totalen Einsamkeit des Quasi-Genialen gar nicht aushalten würde: Auf einer Berghütte wohnen, keine Menschen mehr sehen, keine Familie haben, keinen Sport treiben, nur trinken, rauchen und irgendwelche Drogen nehmen, das war ich nie und wollte es auch nie sein. Autoren sind kein Menschenschlag. Wenn man sich in diesen Autorenklischees und -images nicht wiederfindet, muss das nicht heißen, dass man kein Autor ist. Wo jemand seine produktive Energie bezieht und was er für sich produktiv machen kann, das ist die Kunst des jeweils Einzelnen.

Wie soll ein Workshop idealerweise auf einen jungen Autoren/eine junge Autorin wirken?

Jeder Workshop ist auch ein Work-Shock. Anschließende Irritation ist dabei ganz normal, aber das ist auch genau das, was dann hoffentlich jeder und jede für sich produktiv machen kann. Dass man hier ist, ist schon Bestätigung genug. Jetzt gilt es, Kritik zu üben, es soll ja schließlich weiterführen.

Wie wirkt das Theatertreffen auf die Workshopatmosphäre ein?

Wir diskutieren im Workshop nicht über einzelne Aufführungen, aber das Bild dessen, was Theater heute sein kann, wird natürlich geweitet. Die Konventionalität, die sich manchmal in Regieanweisungen ausdrückt, von denen man dann als erfahrener Theaterdramaturg denkt, dass das nie ein Regisseur so umsetzen wird, das hat eben stark damit zu tun, dass von Seiten der jungen Autoren manchmal nicht so viel Theater geguckt wird und vor allem nicht in dieser Qualität und Dichte. Wenn man hier ein paar starke Theatereindrücke empfangen hat, macht das den Kopf frei von Theaterklischees, die einfach nicht mehr zeitgemäß sind.

Lesen Sie morgen einen investigativen Bericht über die Workshoparbeit mit Statements der Workshopteilnehmer Charlotte Roos, Ursula Knoll und Stephan Lack.

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Johannes Schneider

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