Unsere Autorin hat durchs Programmheft geblättert und stellt fest: Intervention ist das neue Schwarz. Über Protest nach Plan in Zeiten von Purgatory Partys.
KRITIK, KRITIK, selbstreferentielle KRITIK! Wohin das Auge reicht, stößt man beim Entfalten des Spielplan-Leporellos in diesem Jahr unweigerlich auf eine künstlerische Intervention nach der anderen. Es wuchert dort, doch formvollendet: Wie hartnäckige Insekten, die sich der Organismus Theatertreffen freiwillig ins Fell gestreichelt hat, sitzen die kritischen Einmischungen dem Programm zwischen Keynotes, Workshops und dem terminologisch tiefstapelnden Format des „Gesprächs“ im Nacken.
Manche dieser Interventionen, die sich zur Mitte des Festivals schlagartig häufen, stehen in der typographischen Tradition des umarmenden Reims und umklammern einen Programmpunkt fest von beiden Seiten: Welchen Reiz bietet eine solche diskursive Triole? (Tipp: Zu fragen wäre Festspiele-Intendant Thomas Oberender nach der Eröffnung des Stückemarkts in Sandwich-Position.) Andere Interventionen bleiben unter sich, wildern im eigenen Terrain und platzieren sich mondäner, nämlich simultan zueinander. Der Wiederholungszwang stellt kein Hemmnis dar: Wie das Kalendarium unbefangen zeigt, kann nicht nur minutiös getaktet interveniert werden, sondern auch mehrfach hintereinander mit gleichem Konzept. Credo: Das ist noch gut, nichts nutzt sich ab, so lange es noch Authentizität suggeriert. Raffinierte Kritik? Ja! Raumzeitlich aus der Reihe tanzen? Och nö, lieber nicht. Der Leporello glänzt durch seine selbst verschriebene Unterwanderung gleich viel mehr; er changiert, er schillert, er funkelt planvoll.
Professioneller Dienstleistungsservice
Wo es Programmmachern früher reichte, situationsgebundene Beiträge der irgendwie zur Live Art gehörigen Sorte mit dem durchlässigen Genrebegriff „Performance“ zu kennzeichnen, steht heute das von einer aktionistischen Aura umgebene Label der künstlerischen Intervention: Intervenieren klingt präsentisch-zeitgemäß, ist en vogue, ein Modewort für die politisch Erotisierten. Auch auf Seiten der künstlerischen Produktion wird die Konjunktur der Intervention längst erkannt und – mit einem potenziellen Augenzwinkern als motorischem Tic der Ironie – markttechnisch geschickt eingebunden: Die Marketing-Ikonen vom Berliner Performance-Kollektiv Talking Straight, die in diesem Jahr sogar das Finale des Theatertreffens mit einer „Purgatory Party“ subversieren, promoten die eigene künstlerische Praxis als „professionellen Dienstleistungsservice“ mit „breitem Portfolio“ für dankbare Abnehmer von simulierten Coaching-Seminaren oder pseudo-religiösen Ritualen im Immersionsformat. Nicht nur für Theaterfestspiele mit dem Druck zu einem Rahmenprogramm, das doch bitte noch kritischer und zäsurierend ereignishafter als im Vorjahr sein möge, ist dieses Angebot interessant: Auch Veranstalter von wissenschaftlichen Konferenzen oder (mentalen) Wandertagen der Unternehmensführung buchen allzu gern.
Etymologisch ist der Intervention eigentlich eine grundsätzliche Ambivalenz eingeschrieben: Sie wirkt als Unterbrechung und Vermittlung zugleich, folgt einem agonistischen Prinzip. Ideengeschichtlich bedeutsam wurde sie im Feld der Politik. Dort bezeichnet man das aktive Mitmischen einer am Konflikt vermeintlich unbeteiligten Partei als Intervention. Bei ihrer späteren Begriffsmigration in künstlerische Kontexte etablierten sich bestimmte Spezifika: Interventionen, so heterogen sie in ihren konkreten Ausführungen auch sind, erfolgen in der Regel ohne Auftrag, sind flüchtig, bewegen sich (Achtung, Banditenromantik!) an den Rändern zur Illegalität. Sie verfolgen eine potenziell gemeinschaftsstiftende Agenda „von unten“, zeigen alternative soziopolitische Räume auf.
Total on fleek
Auch mit Aufmerksamkeitsökonomien kennen sie sich bestens aus: Radikale Formen des Performativen! Transgressive Strategien! Grenzgänge! Vermeintlich stabile Strukturen als marginale ausstellen! Irritation! Yeah. – Was bleibt davon übrig?, interveniert der aufgeweckte Programmlesende.
Gemäß dem Ethos größtmöglicher Transparenz bleibt anzumerken, dass auch das Theatertreffen-Blog selbst genuin interventionistische Anliegen verfolgt: Eingeladen und aufgerufen, das Programmgeschehen und allerlei Randereignisse mit einem kritischen Blick von außen zu betrachten, während man im Herzen des Festivalzentrums im Büro sitzt, intervenieren wir hier so auf Abruf vor uns hin. Die Institution holt sich die Kritik an sich selbst ins Haus und züchtet Parasiten heran, die den Organismus Theatertreffen diverser machen. – Das ein oder andere wäre gewiss noch genauer auszuintervenieren. Als Fazit bleibt vorerst nur die saloppe Erkenntnis, die schon seit ihrem Eintrag ins Urban Dictionary der frühen 2010er-Jahre nicht mehr on fleek, sondern schlicht lexikalisiert ist: This – is – so – meta.
P.S.: Mein (antizipiertes) persönliches Highlight aus dem opulenten Spielplan der Interventionen sind LIGNAs „Noten zur Geste“: Subversiv wird es Do, 11.05.2017 um 15 Uhr s.t. im Unteren Foyer des Hauses der Berliner Festspiele, und Fr, 12.05.2017 um 18 Uhr, ebenda. Ich bin spontan zum Umsturz bereit.
Unvollständige Lektüren:
Friedrich v. Borries: Glossar der Interventionen. Annäherung an einen überverwendeten, aber unterbestimmten Begriff, Berlin 2012.
Judith Butler / Gayatri Spivak: Who Sings the Nation-State? Language, Politics, Belonging, London 2007.
Doreen Hartmann et al. (Hgg.): Interventionen. Grenzüberschreitungen in Ästhetik, Politik und Ökonomie, München 2012.
Frauke Surmann: Ästhetische In(ter)ventionen im öffentlichen Raum. Grundzüge einer politischen Ästhetik, Bielefeld 2014.
Elke Zobl / Rosa Reitsamer (Hgg.): Intervene! Künstlerische Interventionen, p|art|icipate 4.3 (2014).